22. Juni 2016

Als habe er meine Gedanken lesen können, meldete sich Antony am 7. Juni mit der Frage: »Hey hon, do you want a role in my next film?« bei mir. Jetzt stehe ich zusammen mit Gaëtan Vettier, Thomas Laroppe, Amanda Jane Fleming, Arthur Gillet und Biño Sauitzvy auf der Besetzungsliste von »Frig«, Antonys neuem Film, der im Spätsommer in Paris entstehen wird. Gleich im Anschluss spiele ich mit Alexandre Vallès in »Bd. Voltaire«, einem Drama über die letzten 48 Stunden vor den Anschlägen von Paris. Die Wohnungssuche in Paris wurde mir von Optimale abgenommen; im Herbst werde ich vier Wochen lang in einem Apartment im 17. Arrondissement wohnen. Während Antony sein Drehbuch noch zurückhält, lässt sich aus Alexandres Skript schon erkennen, dass ich meinen französischen Text mit englischem Akzent werde sprechen müssen. Beide Filme kommen 2017 heraus. — Ich überlege, meine Mutter für ein Wochenende nach Paris einzuladen. Sie wird dieses Jahr 66 und hat die Stadt noch nie gesehen.

Im Übrigen habe ich nicht viel zu erzählen. Ich hangle mich ungelenk durch die langen Arbeitstage und den wechselhaften Frühsommer und ärgere mich mit der Hausverwaltung herum. Letztes Jahr war es das Abflussrohr von der Toilette — man schritt erst ein, nachdem der Mieter im Erdgeschoss einen Wasserschaden meldete —, jetzt ist es das Waschbecken im Bad, das allmählich aus der Wand bricht. Auf E-Mails und Einschreiben wird nicht reagiert, das Telefon wird entweder gar nicht abgehoben oder ich werde, wie vorigen Mittwoch, abgewürgt. Ich überlege, selbst einen Klempner kommen zu lassen und den Herrschaften die Rechnung zu schicken. So oder so muss das Problem behoben werden. Die Wand zwischen Badezimmer und Küche ist so dünn, dass ich fürchte, dass das abfallende Waschbecken ein Loch hineinreißen könnte.
Ferner bin ich wieder einmal dabei, meine DVD-Sammlung auszudünnen und plane, mal wieder ein paar Pakete zu à 50 Euro zu verkaufen. Es haben sich im Lauf der letzten Jahre wieder einige Filme angesammelt, die bei mir einfach falsch aufgehoben sind. Was sonst? Der »Looking«-Trailer gefällt mir. Finde es immer noch schade, dass die Serie eingestellt wurde. War wohl zu nahe an der Realität für die Zielgruppe. Es ist immer ganz aufschlussreich, mit den Verleihern zu sprechen. »Ob der Film gut oder schlecht ist, interessiert eigentlich nicht. Sobald ein halbnackter Mann auf dem Cover ist, wird die DVD gekauft«, erzählte uns Steve im November. Der halbnackte Mann auf dem Cover sollte möglichst unter 30 und glattrasiert sein und einen Waschbrettbauch haben. Langweilige Schönlinge anstelle von Charaktergesichtern. Der Sexismus unter Schwulen ist auch nicht besser als der in der heteronormativen Welt. Speziell vor diesem Hintergrund ist es beruhigend, dass es in Deutschland noch Filmemacher wie Florian Gottschick und Kai Stänicke gibt. — Am meisten freue ich mich filmtechnisch auf »The Shallows« (Regie: Jaume Collet-Serra). In den USA läuft er am Freitag an, wir müssen uns noch bis August gedulden. »Absolutely Fabulous« (Regie: Mandie Fletcher) startet hier auch erst im September. Aber 2016 flattert so schnell, dass es scheint, als blättere man lediglich die Seiten eines sehr dünnen Buches um. Zwischenzeitlich sterben mit Sicherheit von ein paar Stars (oder Ex-Stars), treten auf Fußballplätzen ein paar Millionäre gegen Bälle und ereifern sich Kurzstreckendenker über Flüchtlinge.

Helena und André im April.

Helena und André im April.

In freien Stunden höre ich mir Interviews mit Camille Paglia, Reden von Elizabeth Warren und Auftritte von Patrick Salmen auf YouTube an. Ist doch ganz nett, endlich einen Internetanschluss zu haben — ich hatte mich noch bis Herbst 2015 gesträubt — und sich quasi »nebenher« zu bilden. Bei offenem Fenster auf dem Bett liegen und klugen Menschen zuhören — nicht das Schlechteste an einem regnerischen Tag. Bis Paris würde ich gerne noch abnehmen, aber wie macht man das bei einer sitzenden Tätigkeit, die einem vor- und hinterher keine Freizeit lässt? Welches Schwimmbad hat zwischen ein Uhr nachts und sechs Uhr morgens geöffnet?
Nun hat Orlando meine breit angekündigte Blog-Sommerpause unterbrochen. Wir lesen uns am 1. Oktober wieder — es sei denn, besondere Umstände zwingen mich zu einer weiteren Unterbrechung. Auf der Termin-Seite findet Ihr regelmäßige Updates, unter anderem über die Festivalteilnahmen von Sur les traces de ma mère. Möge Euch der Sommer verwöhnen, bleibt stark.
Herzlichst,

André

20. Juni 2016

Paris, Brüssel, Orlando. November, März, Juni. Die Intervalle verkürzen sich, die Schockwellen ebben nicht ab. Kurzzeitig bringt das Entsetzen die Menschen zusammen, es gibt so etwas wie eine katastrophenbedingte Kurzzeitsolidarität, ähnlich wie bei einer Überschwemmung oder einem Erdbeben. Lichterketten, die auch niemanden zum Leben erwecken. Einigung in der Trauer. Am Samstag erstrahlte das Brandenburger Tor in den Farben des Regenbogens. Ian, sein Vater, seine Stiefmutter, mein Chef und ich waren auch dort und tief bewegt; als ich mich aufs Fahrrad schwang und meinen Heimweg antrat, überkam mich die tiefe Traurigkeit ob des Gedankens, dass es immer erst zu einer Tragödie kommen muss, ehe die Menschen ihre Scheu voreinander verlieren und einander die Hände reichen können. Gerade die gay community, die, ich habe es bereits geschrieben, eigentlich nicht existiert, pflegt interne Aversionen und Divergenzen so sehr, dass die samstägliche Solidarität einem ein wenig wie eine Fata Morgana vorkam. (Unlängst las ich einen treffenden Kommentar im Netz: »Wer wissen will, was Dummheit, Machtgier, Egomanie, Bosheit, Intriganz und Niedertracht sind, der muss nur in die Berliner Schwulenszene eintauchen und es darin ein Jahr ohne harte Drogen und Alkohol aushalten. Gegen die Sorte völlig gnaden- und rücksichtslosen Körper- und Schönheitskult als oberstem Dogma allen Seins, gegen die Art abgründigster, bösartigster Ränke und Hinterlist, die dort in weiten Teilen gegeneinander an der Tagesordnung sind, erscheint jedes Schlangennest wie ein heimeliges […] Paradies. Und wer es wagt, in dieser Berliner Szene kritische Worte […] zu äußern, wird von den selbsternannten Herr*innen des schwulen Meinungsdiktats mit einer Gnadenlosigkeit niedergemacht, die ich inzwischen als eindeutig totalitär bezeichnen würde. […] Insofern ist die Szene auch nur ein stark komprimiertes Spiegelbild der inzwischen allzu oft eher garstigen Zustände in der Mehrheitsgesellschaft.«) In einem guten Gespräch mit Manuel Simbürger vor etwa zwei Wochen kamen wir auf dieses Thema. Das war noch vor Orlando. Wir sprachen über unsere Tätigkeit für das »Männer«-Magazin und auf die Verflechtungen innerhalb der »Gemeinschaft«, die ich hier einfach in Anführungszeichen setzen muss, weil es einfach vorne und hinten nicht passt. Aber ich möchte mich nicht noch einmal darüber auslassen. Es ist nicht die Zeit und nicht der Ort dafür. Abschließend möchte ich eine Kolumne aus der »Süddeutschen Zeitung«, die ich gestern beim Surfen im Netz fand, mit Euch teilen.
Herzliche Grüße,

André

Brandenburger Tor

Orlando
Der Attentäter von Florida raubte Schwulen und Lesben das Vertrauen, dass es sichere Orte für sie gibt.
Bericht von Carolin Emcke, Süddeutsche Zeitung, 17. Juni 2016.

Es fühlt sich an, als wäre einem die Haut vom Leib gezogen worden. Mit einem einzigen Riss. Von den Fußsohlen bis zum Schädel. So als gäbe es keine Schutzschicht mehr. Als läge alles bloß und wund. Ausgeliefert dem, was da noch kommen möge. Dieser Schmerz über die eigene Schutzlosigkeit ist vielleicht das Bitterste neben der Trauer, die seit dem Massaker von Orlando eingezogen ist und die nicht mehr verschwinden will. Wenn es etwas gibt, das Menschen, die anders aussehen, anders lieben oder anders begehren als die normgebende Mehrheit, wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle oder queere Menschen etwas miteinander gemein haben, dann die Erfahrung der Verwundbarkeit.

Wie immer einzigartig und singulär als Individuen, das, was queere Menschen kollektiv verbindet, ist nicht zuletzt dieses Gefühl der Verletzbarkeit: immer noch mit herablassenden Blicken betrachtet zu werden, wenn wir auf der Straße Hand in Hand laufen oder uns küssen, immer noch mit Schimpfwörtern bedacht und bedroht zu werden auf dem Schulhof oder in der U-Bahn oder im Netz, immer noch gegen Gesetze ankämpfen zu müssen, die uns als »krank« kategorisieren oder kriminalisieren, immer noch begründen zu müssen, warum wir vielleicht nicht gleichartig, aber doch gleichwertig sind, warum wir Kinder lieben und fördern können wie andere Familien auch, immer noch Gefahr zu laufen, am helllichten Tag oder des Nachts angegriffen und zusammengeschlagen zu werden. »Schwule Orte werden immer wieder von der Geschichte dieser Gewalt heimgesucht«, schreibt der französische Philosoph Didier Eribon in seinem jüngsten Buch »Rückkehr nach Reims«. »Jede Allee, jede Parkbank, jeder blickgeschützte Winkel trägt die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft solcher Attacken in sich.« Das alles nur, weil es diesen Hass gibt auf die Art wie wir lieben oder leben. Weil es diesen Hass gibt auf unser Glück, für das wir uns nicht schämen wollen. Daran hat sich nichts geändert, nur weil manche von uns Bürgermeister oder Umweltministerin oder Popstars werden können.

Deswegen sind Clubs wie das Pulse in Orlando nicht einfach nur Clubs. Es sind Orte, an denen niemand Angst zu haben braucht. Es sind Orte, an denen sich alle richtig fühlen können — und vor allem sicher. Es sind die Stunden und die Nächte in Clubs wie dem Pulse, in denen sich aufatmen lässt, in denen es sich endlich frei und unbeschwert anfühlt, weil es nichts Besonderes ist, als wer oder wie wir lieben wollen. Hier dürfen alle sein, was sie sein wollen und mit wem: alle Fantasien, alle Körper, jede Hautfarbe, jedes Alter, jeder Glaube darf sich hier zeigen. Die Unterschiede, die sonst zählen, draußen oder auf dem Papier, sind an diesen Orten nicht relevant. Für die Latinos und Latinas, die sich in Orlando im Pulse am vergangenen Wochenende zur »Latino Night« trafen, spielte keine Rolle, was andernorts thematisiert wird: ob sie Englisch oder Spanisch sprechen, ob sie amerikanische Dokumente besitzen oder nicht, ob es mit Donald Trump einen Präsidentschafts-Kandidaten gibt, der eine Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten errichten will.

Der Attentäter von Orlando tötete in jener Nacht nicht nur 49 Menschen und verletzte 53, er nahm nicht nur den Angehörigen ihre geliebten Partner und Partnerinnen, ihre Kinder oder Eltern. Sondern er traf mit seiner mörderischen Tat auch dieses Vertrauen, an Orten wie diesen endlich aufgehoben, endlich sicher zu sein vor Ausgrenzung und Gewalt. Diese Haut, die doch etwas Schutz versprach, sie ist aufgerissen. Darunter liegt nun blankes Entsetzen — und natürlich auch das trotzig-mutige Aufbäumen gegen die eigene Furcht.

Das Motiv des Massenmörders ist eindeutig: Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle — und alles, was als anderes markiert wird. Ob sich dieser Hass noch in der dschihadistischen Ideologie des IS seine Legitimation zur Gewalt suchte oder ob der Hass sich selbst genug war — das spielt primär für diejenigen eine Rolle, die dieses Verbrechen instrumentalisieren wollen für ihre politischen Ziele. Es ist ein so vertrautes wie geschmackloses Spektakel, wie Homosexuelle vor allem dann wahrgenommen und als Menschen mit Rechten verteidigt werden, wenn sie sich als Spielfiguren in der feindseligen Kampagne gegen Muslime einsetzen lassen. Da werden dann auf einmal Schwule und Lesben zu Galionsfiguren für die offene und tolerante Gesellschaft erklärt — die es ansonsten aber immer noch ablehnt, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen, weil irgendein »Bauchgefühl« dem entgegensteht. Dass wiederum der IS das Massaker von Orlando jubilierend sich selbst zuschreibt, wundert nicht, wenn man bedenkt, mit welch menschenverachtender Brutalität sie queere Menschen in ihrem Gebiet foltern und hinrichten. Ob der IS allerdings den Anschlag wirklich in Auftrag gegeben oder auch nur eine Verbindung zu dem Mörder hatte, scheint fraglich zu sein, nach allem, was bekannt ist. Aber das ist für die Strategie der IS-Mafia nicht einmal mehr nötig.

Selbst wenn das Attentat von Orlando durch einen einzelnen Täter verübt wurde, so war er doch kein Einzeltäter. Denn der Hass oder auch der Selbsthass ist nicht individuell. Beides braucht ideologische Vorlagen, in die er sich ausschüttet. Sollte es stimmen, dass der Mörder zuvor regelmäßiger Gast im Pulse war, sollte es stimmen, dass er mindestens homoerotische Neigungen hatte, dann verbindet sich der Hass wohl auch mit der Scham. Die Vorstellung jedoch, dass jemand sich zu schämen hätte, nur weil er oder sie anders liebt und begehrt als ein religiöser oder ideologischer Kanon es vorgibt, die entwickelt niemand allein. Die Scham wird in Familien tradiert, in muslimischen oder evangelikalen oder katholischen Gemeinden, sie wird in Schulbüchern festgeschrieben und in Gesetzen. Die Verantwortung für einen Anschlag wie den von Orlando lässt sich nicht delegieren an terroristische Netzwerke oder kriminelle oder pathologische Einzeltäter. Das wäre zu einfach. Die ehrliche, selbstkritische Auseinandersetzung über die furchtbare Wirkung der verordneten Scham muss in den Familien beginnen, in den Schulen, in den religiösen Einrichtungen und in den Parlamenten.

»Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz«, heißt es bei Max Horkheimer und Theodor Adorno in der »Dialektik der Aufklärung«, und so müssen die Gesellschaften, die wirklich offen sein wollen, die nicht zu Komplizen pseudo-religiöser Fanatiker werden wollen, endlich den rechtlichen Schutz, den die Menschenrechte und das Grundgesetz versprechen, auch auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und intersexuelle Menschen ausweiten. Nicht rechtlich fast gleich, sondern gleich wollen wir sein.

Filmtipp #311 bis #410: 100 Filme, über die ich nicht viel schreiben möchte, …

…die aber trotzdem empfehlenswert sind und eigentlich in jede Sammlung gehören!

Citizen Kane

Citizen Kane

#311: Citizen Kane (Orson Welles, 1941)
Das schöne Wort »Rosebud«, geraunt von Orson Welles. Muss man noch mehr sagen?

#312: Der dritte Mann (Carol Reed, 1949)
Carol Reed (The Man Between) zeigt uns ein gespenstisch-verschwörerisches Wien in einem heute noch packenden Nachkriegs-Krimi mit exzellenter Besetzung und einer Musik, die man nicht so leicht vergisst.

#313: Zwölf Uhr mittags (Fred Zinnemann, 1952)
Vier Oscars gab es für Zinnemanns meisterliches Drama, das Western und Anti-Western in einem ist und dem alternden Gary Cooper zu einer zweiten Karriere verhalf. Der gibt uns einen alternden Marshall, der sich dem Schatten seiner Vergangenheit, gespielt von Ian MacDonald, stellen muss, um mit seiner Braut, einer von Grace Kelly dargestellten Quäkerin, endlich Ruhe und Glück zu finden.

#314: La Strada — Das Lied der Straße (Federico Fellini, 1954)
Schöner kann Kino nicht sein: Giulietta Masina als weinender Clown. Das Mädchen Gelsomina wird für ein paar Lire und etwas Essen von ihrer Mutter an den Gaukler Zampano (Anthony Quinn) verkauft, mit dem sie durch die Lande zieht. Der grobschlächtige Mann misshandelt und schikaniert das Mädchen. Als sie versucht, ihm davonzulaufen, prügelt er sie. Gelsomina glaubt, sich mit ihrem Schicksal abfinden zu müssen. Als Zampano sich einem Wanderzirkus anschließt und sie bei einem Seiltänzer zum ersten Mal die Liebe erfährt, entdeckt das Mädchen seine Stärke.

#315: Metropolis (Fritz Lang, 1927)
In Zeiten, als das deutsche Kino noch weltführend war und Hollywood nicht mehr als eine Zweigstelle, entstand der damals teuerste Streifen der Filmgeschichte in Berlin und Babelsberg. Produzent Erich Pommer, Regisseur Fritz Lang und dessen Ehefrau, die Drehbuchautorin Thea von Harbou, schufen in einem Anfall von Gigantomanie mit Kameramann Karl Freund und Schauspielern wie Brigitte Helm, Gustav Fröhlich und Fritz Rasp die erste Science-Fiction-Utopie des Kinos. Über sechs Dekaden wurde das Meisterwerk gekürzt, umgeschnitten, verstümmelt, eingefärbt und neu vertont, so dass inzwischen jede Generation ihre eigene Version von »Metropolis« hat — und bis heute ließ sich das Epos nicht vollständig rekonstruieren. (Für Cineasten unumgänglich ist die Lektüre von Thomas Elsaessers brillanter Abhandlung über den Film, die 2000 im Europa Verlag erschienen ist.)

#316: Marokko (Josef von Sternberg, 1931)
Marlene Dietrich küsst in Frack und Zylinder eine Frau auf den Mund und verdreht Gary Cooper den Kopf. Großes Hollywoodkino von Josef von Sternberg und Marlenes einzige Oscarnominierung.

#317: Menschen im Hotel (Edmund Goulding, 1932)
Vicki Baums Bestseller um die Gäste und Angestellten eines feudalen Berliner Hotels wurde von Hollywood mit viel Pomp und Glitzer auf die Leinwand gebracht: Greta Garbo, John Barrymore, Joan Crawford, Wallace Beery, Lionel Barrymore, Lewis Stone und Jean Hersholt sind als Ensemble unschlagbar. Das Drama der großen Gesten wurde 1932 als Bester Film mit einem Oscar ausgezeichnet. 1959 entstand in Deutschland ein fades Remake mit O. W. Fischer und Heinz Rühmann, dem der Vergleich mit dem Original nicht gut bekommt.

#318: Anna Karenina (Clarence Brown, 1935)
Die klare Botschaft macht den Film so gut: Frauen mit Liebeskummer sollten sich von Bahnhöfen fernhalten.

# 319: Verdacht (Alfred Hitchcock, 1941)
Joan Fontaine spielt eine junge Ehefrau, die ihren Gatten verdächtigt, sie ihres Geldes wegen töten zu wollen, und erhielt dafür 1942 verdientermaßen einen Oscar. Schlüsselszene: Cary Grant trägt ein gruselig leuchtendes Glas Milch die Treppe hinauf.

Shadow of a Doubt

Shadow of a Doubt

#320: Im Schatten des Zweifels (Alfred Hitchcock, 1943)
Hitchcock hielt diesen sauberen Thriller über einen lieben Onkel, der sich als skrupelloser Witwenmörder entpuppt, für seinen besten. Joseph Cotten verkörpert den Miesnik beängstigend gut, und Teresa Wright gibt die Nichte, die ihm auf die Schliche kommt und sich dadurch in Gefahr bringt.

#321: Hellzapoppin — In der Hölle ist der Teufel los (H. C. Potter, 1941)
Film-im-Film-im-Film-im-Film-im-Film: Völlig überdreht, zum Brüllen komisch und visuell so irre, dass es einem fast die Augäpfel sprengt. Sie kennen diese Low-Budget-Perle nicht? Nachholen!

#322: Kinder des Olymp (Marcel Carné, 1945)
Carnés traumwandlerisch schöner Streifen liefert auch 70+ Jahre nach seiner Uraufführung den Beweis, dass Film KUNST ist und wie ein Gedicht durchkomponiert werden kann. Drehbuch: Jacques Prévert.

#323: Todsünde (John M. Stahl, 1945)
Eine frühe Variante von Finchers »Gone Girl« mit Gene Tierney in ihrer zweitbesten Rolle.

#324: Die Schöne und die Bestie (Jean Cocteau, 1946)
Jean Cocteau inszeniert (mit René Cléments Hilfe) seinen Lover Jean Marais als Märchenprinz und als Biest, das die schöne Josette Day zu ehelichen wünscht. Niemand, der Herz und Hirn besitzt, kann diesem Meisterwerk widerstehen — und Nein, Disney kann da nicht mithalten! Die Musik komponierte Georges Auric.

#325: Der Fremde im Zug (Alfred Hitchcock, 1951)
Farley Granger und Robert Walker tauschen ihre Morde. Raymond Chandler adaptierte Patricia Highsmiths Roman für die große Leinwand, und Hitchcock fuhr damit einen seiner größten Erfolge ein. Oft kopiert und bis heute nur einmal erreicht: in La vittima designata.

#326: Der Wilde (Laslo Benedek, 1953)
Marlon Brando in Jeans und Lederjacke auf einem Motorrad — 1953 galt das als revolutionär und anrüchig!

#327: Jenseits von Eden (Elia Kazan, 1955)
Monterey, Kalifornien. In den 1910ern wetteifert der junge Cal Trask (James Dean) mit seinem Bruder Aron (Richard Davalos) um die Gunst des gestrengen Vaters Adam (Raymond Massey). Der Kampf der Brüder ist aussichtslos. Cal verliebt sich in Abra (Julie Harris), die eigentlich Arons Freundin ist. Auf der Suche nach seinem Platz im Leben stöbert er seine Mutter (Jo Van Fleet) auf, die ihre Söhne im Stich ließ und nun ein Bordell betreibt. Ein nach John Steinbeck entstandener Edelschinken unter der Ägide Elia Kazans, der für seine feinsinnige Schauspielführung berühmt und bewundert wurde. Seinerzeit für vier Oscars nominiert (Dean als Hauptdarsteller, Kazan als Regisseur, Paul Osborn als Autor und Jo Van Fleet als Beste Nebendarstellerin), gewann einzig Van Fleet für ihren eindringlichen Auftritt als hartherzige Anti-Mutter.

#328: …denn sie wissen nicht, was sie tun (Nicholas Ray, 1955)
Dieser Film machte James Dean zu einer Ikone für eine neue Generation, die sich mit Jeans, gegelten Haaren, illegalen Autorennen und Zigaretten im Mundwinkel gegen ihre biederen Eltern aufzulehnen versuchte. Er kämpft als Jim Stark gegen seinen schwachen Vater (Jim Backus) und seine zänkische Mutter (Ann Doran), die immer wieder mit ihm umziehen, so dass er sich nie wirklich etablieren kann. Jim verliebt sich in Judy (Natalie Wood) und findet in dem homosexuellen Plato (Sal Mineo) einen wahren Freund, während sich alle anderen (u. a. Dennis Hopper, Corey Allen und Nick Adams) vehement gegen den Neuankömmling stellen. Als Jim, Judy und Plato sich in einer alten Villa verschanzen, um Vater-Mutter-Kind zu spielen, spitzt sich das Drama unverhofft brutal zu… — Schwierig, die Handlung kurz zu umreißen, so facettenreich und fein verschachtelt ist das kluge Drehbuch von Stewart Stern, Irving Shulman und Nick Ray aufgebaut, das ebenso wie Wood und Mineo für einen Oscar vorgeschlagen wurde. Alle drei Hauptdarsteller starben frühzeitig eines unnatürlichen Todes: Jimmy Dean verunglückte 1955 im Alter von 24 Jahren mit seinem Auto, Natalie Wood ertrank 1982 unter bis heute ungeklärten Umständen vor der Küste Kaliforniens und Sal Mineo wurde am 12. Februar 1976 im Alter von 37 Jahren vor seinem Wohnhaus von einem Angreifer mit einem Stich ins Herz getötet.

#329: Giganten (George Stevens, 1956)
Mein James-Dean-Lieblingsfilm war auch der erste, den ich damals (1990?) sah: Rock Hudson und Liz Taylor betreiben eine Rinderfarm in Texas, auf der Jimmy Dean als kleiner Hilfsarbeiter Jett Rink jobbt. Als Hudsons Schwester (Mercedes McCambridge) stirbt, erbt Jett ein kleines Stück Land, auf dem er schließlich Öl findet. Jett wird reich, aber sein Glück findet er nicht, denn Liz bleibt bei Rock. George Stevens setzte Edna Ferbers epischen Roman einfach gigantisch um: 201 Minuten lang, hevorragend fotografiert und brillant gespielt. Neben dem glänzenden Star-Trio in den Hauptrollen können wir Carroll Baker, Chill Wills, Dennis Hopper, Sal Mineo, Rod Taylor und Judith Evelyn bewundern. Der Film wurde in zehn Kategorien für den Oscar nominiert, doch nur Stevens konnte die Statuette für seine Regieleistung mit nach Hause nehmen. James Dean erhielt für »Giant« seine zweite posthume Nominierung.

Cat on a Hot Tin Roof

Cat on a Hot Tin Roof

#330: Die Katze auf dem heißen Blechdach (Richard Brooks, 1958)
Ganz großes Hollywood-Tennis nach Tennessee Williams mit einer Liz Taylor, die selten besser war, und einem Paul Newman, der die Vorstellung seines Lebens gibt. Um diesen Film kommt keiner herum, der das Kino und/oder das Theater liebt.

#331: Der Frosch mit der Maske (Harald Reinl, 1959)
Auftakt der bis 1972 beispiellos erfolgreichen deutschen Edgar Wallace-Kinoserie. »Der Frosch mit der Maske« war noch eine deutsch-dänische Co-Produktion, kommt unvermutet brutal und gruselig daher und hielt dem Zahn der Zeit erstaunlich gut stand. Da vergibt man doch gerne, dass deutsche Schauspieler in deutschen bzw. dänischen Kulissen Klischee-Vorstellungen von England bzw. Engländern abspulen. Der adrette Joachim Fuchsberger und Eddi Arent sind auch hier schon dabei.

#332: Augen der Angst (Michael Powell, 1960)
Dieser dreckige kleine Schocker aus England schlug seinerzeit derart hohe Wellen, dass der Skandal sowohl die internationale Karriere des Hauptdarstellers Karlheinz Böhm, als auch die des Regisseurs Powell nachhaltig beschädigte. Erst über 20 Jahre erfuhr der Streifen die ihm zustehende Würdigung.

#333: Psycho (Alfred Hitchcock, 1960)
Diebin Janet Leigh geht duschen, obwohl das Badezimmer schon verdächtig nach Schlachthof aussieht, und Anthony Perkins hat Probleme mit seiner Mutter. Alfred Hitchcocks wohl berühmtester Thriller prägte ein ganzes Genre — bis heute!

#334: Boccaccio 70 (diverse, 1962)
Sophia Loren, Marisa Solinas, Romy Schneider und Anita Ekberg in einem erotischen Reigen vierer italienischer Meister: De Sica, Monicelli, Visconti und Fellini. 1962 ein Skandal, heute eher von nostalgischem Wert.

#335: Was geschah wirklich mit Baby Jane? (Robert Aldrich, 1962)
Bette Davis und Joan Crawford als böse, alte Schwestern, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Klingt ein bisschen nach Psychodrama oder Thriller, in Wahrheit ist dies eine bitterböse schwarze Komödie von Robert Aldrich.

#336: Wer die Nachtigall stört (Robert Mulligan, 1962)
Gregory Peck gibt in dieser anspruchsvollen Literaturverfilmung nach Harper Lees Bestseller die Vorstellung seines Lebens. In der Originalfassung hört man Kim Stanleys Stimme als Erzählerin.

#337: Meuterei auf der Bounty (Lewis Milestone, 1962)
Marlon Brando meutert in einem epischen Schinken, der so kostspielig wurde, dass er — zusammen mit dem zeitgleich entstandenen »Cleopatra« (Regie: Joseph L. Mankiewicz) — das Ende des klassichen Hollywood-Studiosystems einläutete. Beide Filme verschlissen -zig Regisseure (Carol Reed verließ das »Bounty«-Set nach enervierenden Streitereien mit der Produktion) und konnten trotz guter Einspielergebnisse ihre horrenden Kosten kaum wieder einspielen. Brando sagte später, dass die Arbeit an diesem Film das schrecklichste Erlebnis seines Lebens war. Bei der Oscar-Verleihung ging der Abenteuerfilm trotz sieben Nominierungen übrigens leer aus. Richard Harris, Trevor Howard und Hugh Griffith spielten neben Brando die Hauptrollen.

#338: Der Prozess (Orson Welles, 1962)
Orson Welles bezeichnete seine kongeniale Kafka-Adaption mit Anthony Perkins und Romy Schneider als seinen besten Film; ich widerspreche nicht. Das Meisterwerk bedarf keines weiteren Kommentars.

#339: Die Verachtung (Jean-Luc Godard, 1963)
Fritz Lang spielt sich selbst in diesem doppelbödigen Drama über das Filmemachen, und Brigitte Bardot gibt eine erstaunlich passable Vorstellung als ein Starlet, das unter der Eifersucht ihres Mannes/Drehbuchautoren (gespielt von Michel Piccoli) leidet, als sie während Filmarbeiten ein vermeintliches Techtelmechtel mit einem Filmproduzenten beginnt. Eine von Godards wenigen Auftragsarbeiten und ganz sicher der kommerziellste unter seinen Filmen. Mit Jack Palance und Georgia Moll in Nebenrollen und der ziemlich ansprechenden Kameraarbeit von Raoul Coutard.

Paranoiac

Paranoiac

#340: Haus des Grauens (Freddie Francis, 1963)
Während Freddie Francis als Kameramann zu den besten der Welt gehörte, waren seine Regiearbeiten meist eher so là là. Dieser feine psychologische Thriller aus dem Hause Hammer mit Oliver Reed (der schon mit 24 aussah wie 44) und Janette Scott, die sich kurz darauf gegen böse Pflanzen zu wehren hatte, ist die rühmliche Ausnahme. Der freche kleine Schocker ist wirklich spannend und — wie soll man von Freddie Francis anderes erwarten? — hervorragend fotografiert.

#341: Die Regenschirme von Cherbourg (Jacques Demy, 1964)
Die Franzosen wollten der Welt nach West Side Story und Co. beweisen, dass auch sie Musical können. Können sie! Die wie üblich schauspielerisch etwas blasse Catherine Deneuve wird von dem niedlichen Nino Castelnuovo dabei mühelos an die Wand gespielt.

#342: Blow-up (Michelangelo Antonioni, 1966)
David Hemmings fotografiert ein Liebespaar im Park. Die Frau, gespielt von Vanessa Redgrave, möchte mit allen Mitteln den Film an sich reißen. Als Hemmings die Bilder vergrößert, sieht er im Gebüsch eine Leiche. In seinem englischsprachigen Debüt verpackte Antonioni sein Portrait des Swinging London als Krimi. »In ›Blow-up‹ ging es um die Einheit und den Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, den Konflikt zwischen dem, was objektiv ist und dem, was der einzelne sieht, hört oder begreift.« (Vanessa Redgrave, »Autobiographie«) Der leise, behäbige Film war ein Welterfolg und ist längst ein Klassiker, der immer wieder neu gesehen und bewertet werden kann.

#343: Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (Mike Nichols, 1966)
Liz und Dick spielen quasi sich selbst — seinerzeit das Kinoereignis der Saison. Fünf Oscars heimste das Ehedrama nach Edward Albees Bühnenstück ein: Elizabeth Taylor als Beste Hauptdarstellerin, Sandy Dennis als Beste Nebendarstellerin, Haskell Wexler für die Beste Schwarzweiß-Kamera, Irene Sharaff für die Kostüme sowie Dick Sylbert und George James Hopkins für die Bauten. Dazu gab’s acht weitere Nominierungen (u. a. für Ernest Lehmans Drehbuch und Mike Nichols’ Regie). Zur Handlung: Martha trinkt.

#344: Die Mädchen von Rochefort (Jacques Demy, 1967)
Für sein zweites großes Musical holte sich Jacques Demy namhafte Unterstützung aus den USA: Gene Kelly und George Chakiris singen und tanzen neben den Schwestern Catherine Deneuve und Françoise Dorléac: Delphine (Deneuve) ist Tanzlehrerin, während Solange (Dorléac) sich als Komponistin und Klavierlehrerin verdingt. Die beiden leben in Rochefort. Maxence (Jacques Perrin) ist Dichter und Maler und absolviert gerade seinen Wehrdient. Simon (Michel Piccoli) gehört ein Musikgeschäft. Alle suchen nach Liebe, ungewahr der Tatsache, dass ihre idealen Partner näher sind, als sie denken. Die Handlung ist völlig uninteressant und banal, aber die Euphorie und Lebensfreude, die den Zuschauer förmlich anspringt, ist schier unglaublich, was vor allem an Michel Legrands phantastischem Soundtrack liegen dürfte.

#345: Spiel mir das Lied vom Tod (Sergio Leone, 1968)
Selbst Western-Muffel wie ich lieben diesen epischen Klassiker mit der wohl stärksten Musik der Filmgeschichte und einem Charles Bronson, der traurigen Blickes auf seiner Mundharmonika spielt und auf Rache an Henry Fonda sinnt. Einfach ein Muss!

#346: Geraubte Küsse (François Truffaut, 1968)
»Truffauts Film gibt sich nonchalant, oberflächlich und detailverliebt — wie sein Held Antoine. Der Zuschauer spürt bald, wie sich die Details zu einem Stück wirklichen Leben verdichten«, schwärmte einst die »Frankfurter Rundschau« von dieser leichtfüßigen Komödie um den tollpatschig verliebten Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) und seiner Angebeten Christine (Claude Jade). Tipp: Unbedingt im Original (mit Untertiteln) schauen!

#347: Armee im Schatten (Jean-Pierre Melville, 1969)
Mit neunjähriger Verspätung kam Melvilles erschütternder Film über die französische Résistance im Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik, auf den Hofer Filmtagen 1978. Den deutschen Verleihern war die Erinnerung an die Zeit, die die Deutschen doch gerne vergessen wollten, zu heikel. Der Regisseur nahm den Roman von Joseph Kessel, den er seinerzeit im Londoner Exil gelesen hatte, als Ausgangspunkt für sein Kriegsdrama, das zwischen Oktober 1942 und Februar 1943 angesiedelt ist. Lino Ventura, Simone Signoret, Jean-Pierre Cassel, Serge Reggiani und Paul Meurisse spielen die Hauptrollen. Der Film beginnt mit einer gespenstischen Sequenz, in der eine Kolonne deutscher Soldaten im Stechschritt durch den Triumphbogen marschiert.

#348: Tisch und Bett (François Truffaut, 1970)
Ein viertes Mal schickt Truffaut Jean-Pierre Léaud als Antoine Doinel ins Rennen und stellt ihm die süße Claude Jade zur Seite. Wir machen Bekanntschaft mit einem Mikrokosmos der Gesellschaft, die sich aus denkbar skurrilen Typen zusammensetzt.

#349: Und erlöse uns nicht von dem Bösen (Joël Séria, 1971)
Sérias gab mit diesem Skandalfilm sein Debüt: Zwei pubertierende Klosterschülerinnen entschließen sich, ihr Leben dem Teufel zu widmen. So führen sie Männer in Versuchung, quälen  Tiere, legen Feuer — und schrecken schließlich nicht einmal mehr vor Mord zurück. Kommt einem irgendwie bekannt vor, nicht? Séria berief sich auf den Parker-Hulme-Mordfall aus dem Jahre 1954, der später auch Peter Jacksons »Heavenly Creatures« (1994) inspirierte. Anders als dieser kritisierte Séria in seinem Film ganz offen die katholische Kirche und servierte dem Zuschauer reichlich Gewalt und nackte Haut, weshalb das Werk zeitweise verboten war. Die erlesene Bildgestaltung ist heute noch fesselnd.

Angst essen Seele auf

Angst essen Seele auf

#350: Angst essen Seele auf (Rainer Werner Fassbinder, 1974)
Fassbinders bester Film: 60jährige Putzfrau, verwitwet, verliebt sich in einen 20 Jahre jüngeren marokkanischen Gastarbeiter und lernt die zwei deutschen Kerneigenschaften — Neid und Missgunst — auf die ganz harte Tour kennen.

#351: Trio Infernal (Francis Girod, 1974)
Michel Piccoli, Romy Schneider und Mascha Gonska als Höllentrio, das mordend durch Frankreich zieht und die Leichen ihrer Opfer in Schwefelsäure auflöst. Die grelle Satire mit der wohl witzigsten musikalischen Komposition Ennio Morricones war der Skandalfilm des Jahres 1974.

#352: Die Ritter der Kokosnuss (Terry Gilliam, Terry Jones, 1975)
Auf der Suche nach dem Heiligen Gral geraten die Monty Pythons u. a. an notgeile Nonnen und an ein blutrünstiges Killer-Kaninchen. Was nach einer albernen Mittelalter-Klamotte klingt, ist in der Tat eine alberne Mittelalter-Klamotte — und längst ein unantastbarer Kultfilm des schlechten Geschmacks. Wer es liebt, sich die Schenkel zu klopfen, sollte dieses Meisterwerk nicht verpassen!

#353: Halloween (John Carpenter, 1978)
»Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« — Carpenters bemerkenswert unblutig-subtiler Horrorfilm ist längst ein Klassiker und machte Jamie Lee Curtis zur Scream Queen einer neuen Generation von Kinogängern. Handlungsmäßig ist das Werk eine pfiffige Variation des englischen Thrillers Fright.

#354: Alien — Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Ridley Scott, 1979)
Die Story brachte Mario Bava bereits 1965, neu allerdings war a) das von Hansruedi Giger entworfene Alien selbst — und b) das zeitgemäß-feministische Konzept, eine Frau (Sigourney Weaver) ihren Mann stehen zu lassen. Ein Muss!

#355: Das Leben des Brian (Terry Jones, 1979)
»Always look on the bright side of life…« — Ja, diesen Film findet die katholische Kirche bis heute nicht lustig, gesunde Menschen schon.

#356: Victor/Victoria (Blake Edwards, 1982)
Julie Andrews spielt Victoria, eine engagementlose Sängerin, die sich in ihrer Not als Mann verkleidet, der sich als Frau verkleidet, und erobert flugs die Nachtclubbühnen von Paris — und das Herz von James Garner, der hart an ihrer Charade zu knabbern hat. Unübertroffen: Lesley Ann Warren als dusseliges Gangsterliebchen. Blake Edwards’ letzter guter Film.

#357: Excalibur (John Boorman, 1981)
Boormans ambitioniert-verschwenderisches Fantasy-Großprojekt über King Arthur und die Ritter der Tafelrunde ist allein schon wegen der Besetzung allein ein Klassiker: Nigel Terry, Helen Mirren, Nicol Williamson, Gabriel Byrne, Liam Neeson, Patrick Stewart und Ciarán Hinds geben sich in großen und kleineren Röllchen ein Stelldichein. Und Nicholas Clay macht sich (mal wieder) telegen nackig. Der 140minütige, liebevoll gestaltete Film erhielt für seine exzellente Kameraarbeit (Alex Thomson) 1982 eine Oscarnominierung.

#358: Gremlins (Joe Dante, 1984)
Der perfekte Weihnachtsfilm mit possierlich-fiesen und froschfotzengrünen Monstern, die eine Kleinstadt in Schutt und Asche legen. Längst zum Kultfilm avanciert, die etwas lahme Fortsetzung folgte Anfang der 1990er.

#359: Aliens (James Cameron, 1986)
»Alien« setzte 1979 neue Maßstäbe für das Science-Fiction-Genre. Gigantomane James Cameron wäre aber nicht er selbst, wenn er das Ganze nicht größer, schneller, besser machen würde: Die Fortsetzung von Ridley Scotts Klassiker ist ein fulminanter Action-Schocker mit einem Finale, das einem den Atem stocken lässt. Sigourney Weaver erhielt als erste Schauspielerin in einem Actionfilm eine Oscarnominierung und liefert sich einen strunzgeilen Zweikampf mit der wohl bösesten Mutter der Filmgeschichte.

Mauvais sang

Mauvais sang

#360: Die Nacht ist jung (Leos Carax, 1986)
Ein mysteriöser Virus befällt Menschen, die miteinander schlafen, ohne sich zu lieben. Carax’ frühes Meisterwerk (Originaltitel: »Mauvais sang«, also »schlechtes Blut«) zeigt eine Welt voller Dunkelheit und Poesie — visionär, verspielt und völlig entrückt. Auf dem Höhepunkt der Aids-Krise entstanden, gibt der Film die Antwort auf so viele Fragen. Die Antwort heißt: Liebe. In den Hauptrollen: Juliette Binoche, Michel Piccoli, Denis Lavant, Serge Reggiani und die damals 16jährige Julie Delpy. David Bowie singt »Modern Love«.

#361: Wenn der Wind weht (Jimmy T. Murakami, 1986)
Ein Zeichentrickfilm, der beileibe nichts für Kinder ist: Ein liebenswertes älteres Ehepaar geht nach einem Nuklearangriff elendiglich zugrunde. Peter Schiff und Brigitte Mira synchronisierten die deutsche Fassung, während David Bowie den Titelsong aus der Feder von Roger Waters sang. Ein beklemmender, tieftrauriger Film, der leider, leider immer aktuell bleiben wird.

#362: Hairspray (John Waters, 1988)
Debbie Harry drückt ihrer Tochter Pickel aus, Divine und Jerry Stiller sind verheiratet, Ricki Lake möchte einfach nur tanzen und Pia Zadora rezitiert Allen Ginsberg — das konnte es nur bei John Waters geben! Später wurde aus dem Tanzfilm ein Musical, das dann wiederum mit John Travolta verfilmt wurde. Scientology machte es möglich. In jedem Falle ist das Original dem Remake vorzuziehen. Die Frisuren bzw. Perücken sind so over the top, die Musik so wunderbar sixties und selbst die Nebenröllchen so superb besetzt, dass die Freude einfach nicht zu schlagen ist.

#363: Geierwally (Walter Bockmayer, 1988)
»Den einzigen Lüxüs, den er moi gönnt, sind diese Melkhandschuhe hier! Kannste auch nicht mit inne Oper jehen!« — Bühnenregisseur und -autor Bockmayer ließ Ende der 1980er im Allgäu die Kölner Tunten los, mit Ralph Morgenstern als Tante Luckard und ihm selbst als Christel von der Post. Der Rest der Besetzung liest sich wie ein who is who des Neuen Deutschen Films: von Christoph Eichhorn über Ortrud Beginnen, Brigitte Janner, Karl-Heinz von Hassel, Elisabeth Volkmann bis hin zu Barbara Valentin waren sie alle dabei. Samy Orfgen gibt uns die Wally, während Veronica Ferres in ihrer ersten und bis heute besten Rolle zu sehen ist. Chapeau!

#364: Ödipussi (Vicco von Bülow, 1988)
Nach über 30 Jahren war »Ödipussi« die erste westdeutsche Produktion, die in der BRD und der DDR zeitgleich in den Kinos anlief — und das mit ungeheuerlichem Erfolg: mehr als fünf Millionen Zuschauer lachten sich auf beiden Seiten der Grenze scheckig über das 56jährige Muttersöhnchen Paul Winkelmann (Loriot), das, frisch in Liebe zu einer biederen Diplom-Psychologin (Evelyn Hamann) entbrannt, den Zorn seiner Übermutter (Katharina Brauren) auf sich zieht, als es sich abnabeln will. Hinreißend: Edda Seippel als Hamanns drög-zickige Mutter, die der Brauren fast die Schau stiehlt.

#365: Mondsüchtig (Norman Jewison, 1988)
Cher erspielte sich als italo-amerikanische Buchhalterin, die sich in den Bruder des Mannes verliebt, dessen Heiratsantrag sie gerade erst angenommen hat, einen Oscar. Der junge Nicolas Cage spielt den stürmisch-verliebten Ronny Cammareri, Danny Aiello dessen gehörnten Bruder. Auch der Rest der Besetzung des aus Kostengründen in Toronto gedrehten New York-Films ist schlicht großartig: Olympia Dukakis (Oscar als Beste Nebendarstellerin), Vincent Gardenia und John Mahoney bringen die charmant-melancholische Komödie über die verschlungenen Pfade der Liebe zum Leben. Der dritte Oscar ging 1988 an John Patrick Shanley für sein exzellentes Original-Drehbuch, das mit den schönsten Dialogen aufwartet, die man sich nur wünschen kann.

#366: Freundinnen (Garry Marshall, 1988)
Tränendrüsen-Klassiker und Starvehikel für Bette Midler: Zwei Mädchen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, verbindet eine lebenslange Freundschaft, bis eine der beiden stirbt. Barbara Hershey spielt die schüchterne, leider kranke Schönheit, während die schrille Bette einfach die Midler ist. Geiles Tennis!

#367: Ein kurzer Film über das Töten (Krzysztof Kieslowski, 1988)
Eindrucksvoller als von Kieslowski kann das fünfte Gebot — »Du sollst nicht töten!« — filmisch nicht umgesetzt werden. Hier wird gleich zweimal getötet: Zuerst bringt ein Jugendlicher einen wahllos ausgesuchten Taxifahrer um. Das zweite Mal, der Junge ist inzwischen verhaftet worden, steht seine Exekution durch Erhängen an. Kieslowskis minutiöse Darstellung des Tötens — des ungesetzlichen wie des gesetzlichen — ist in ihrem schauderhaften Realismus nicht nur ein Plädoyer gegen die Todesstrafe, sondern zugleich eine Parabel auf die Fehlbarkeit des Menschen und auf dessen Unfähigkeit, Schuld und Sühne konsequent auseinanderzuhalten.

#368: Ein kurzer Film über die Liebe (Krzysztof Kieslowski, 1988)
Ein tristes Warschauer Neubauviertel sozialistischer Bauart. Tomek, ein 19jähriger Voyeur mit Milchbubigesicht, stellt seiner attraktiven, fast doppelt so alten, vis-à-vis wohnenden Nachbarin Magda Nacht für Nacht mit einem Fernglas nach und verliebt sich dabei in sie. Tomek arbeitet bei der Post und ist schüchtern. Magda ist Künstlerin, kennt zahllose Männer, die Liebe indes nicht… — Kieslowski war unbestreitbar einer der besten Filmregisseure der Welt. Seine Filme leben von der drückenden Kraft ihrer Bilder und verzichten weitgehend auf Dialoge. Auch in diesem Werk gelingt es dem Meister, dank schauspielerischer Bestleistungen der Hauptdarsteller, authentischen Original-Drehorten und einem Drehbuch, das menschliche Fehler und Schwächen schonungslos offenlegt, eine erschütternde und eindringliche Momentaufnahme eines kaputten, von Begierde, Enttäuschung und Ernüchterung beherrschten Landes und einer nicht minder kaputten Gesellschaft, der normale zwischenmenschliche Beziehungen abhold geworden sind, zu zeichnen.

#369: Harry und Sally (Rob Reiner, 1989)
Meg Ryan spielt Billy Crystal in einem Restaurant lautstark einen Orgasmus vor — diese Szene allein machte »When Harry Met Sally« zu einem instant classic der romantischen Komödie. Nora Ephrons Drehbuch strotzt vor Esprit und Originalität, und das bei einer Story, die banaler nicht sein könnte. Dazu jazzt ein wunderbarer Soundtrack. Nur schade, dass Melanie Griffith die Rolle der Sally in letzter Minute absagen musste.

The Abyss

The Abyss

#370: Abyss — Abgrund des Grauens (James Cameron, 1989)
Dies war Markus’ Lieblingsfilm. Ich verstehe ihn gut. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

#371: Hexen hexen (Nicolas Roeg, 1990)
Roald Dahls gruseliges Kinderbuch wurde von Nicolas Roeg zu einem märchenhaften, atmosphärisch dichten Film gemacht, der auch Erwachsenen die dunklen Ängste von Kindern eindrucksvoll vor Augen führt. Anjelica Huston glänzt mit ihrer lustvollen Verkörperung der bösen (deutschen) Oberhexe Frau Ernst, die den teuflischen Plan verfolgt, alle Kinder Englands in Mäuse zu verwandeln. Der kleine Luke (Jason Fisher) und seine Großmutter (Mai Zetterling) kommen Frau Ernst und ihrer Folgschaft in einem englischen Kurhotel auf die Spur. Brenda Blethyn, Jane Horrocks und Rowan Atkinson alias Mr. Bean sind in Nebenrollen dabei. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die grandiosen Masken von Jim Henson und die beeindruckenden Spezialeffekte, die bemerkenswert gut gealtert sind.

#372: Das Ende der Unschuld (Gus Van Sant, 1991)
Um den Film kam seinerzeit niemand wirklich herum: Der an Narkolepsie leidende River Phoenix und Keanu Reeves als Stricherpärchen auf einer Odyssee durch triste Landschaften. Udo Kier ist als alternde Tucke mit dabei. Heute wirkt »My Own Private Idaho« unerwartetermaßen ein wenig angestaubt, führt einem jedoch nach wie vor das Lebensgefühl und den Zeitgeist der frühen Neunziger vor Augen.

#373: Pappa ante portas (Vicco von Bülow, 1991)
Den Totalverriss im »Spiegel«, der Loriots zweiten Kinofilm als »ein Rinnsal seniler Sketche in einer ungelenken Story« verhöhnte, kann man kaum fassen, handelt es sich doch um eine durch und durch gelungene Salonkomödie mit einem bemerkenswerten Staraufgebot bis in die kleinsten Nebenrollen: Neben Loriot und seiner Lieblings-Partnerin Evelyn Hamann geben sich Dagmar Biener, Ortrud Beginnen, Hans-Peter Korff, Irm Hermann, Gerda Gmelin, Inge Wolffberg und Katharina Brauren die Ehre. Gedreht wurde kurz vor der Vereinigung von BRD und DDR an Originalschauplätzen in Berlin, auf der vorpommerschen Ostseeinsel Usedom sowie auf Loriots persönlichen Wunsch hin in den Defa-Studios in Babelsberg. Die pointierten Dialoge, der sanft abgefederte Slapstick und Loriots unverwüstliche Liebe zum Detail machten die 5-Millionen-DM-Produktion zu einem der besten deutschen Kinobeiträge überhaupt.

#374: Smoking/No Smoking (Alain Resnais, 1993)
Renais’ gewagter Doppelfilm (Gesamtlänge: 277 Minuten!) war 1993 ein imposanter Kritikererfolg. Neben dem Silbernen Bären in Berlin heimste der Film fünf Césars ein. Die beiden Filme basieren auf dem achtteiligen Theaterzyklus »Intimate Exchanges« von Alan Ayckbourn. Sämtliche neun Charaktere werden von zwei Schauspielern (Sabine Azema und Pierre Arditi) verkörpert. Die Brillanz der Inszenierung lässt den Zuschauer die Zeit vergessen; eine Ermutigung für all die, die vor dem fünfstündigen Filmerlebnis zurückschrecken.

#375: Exotica (Atom Egoyan, 1994)
Wer sich nur einen einzigen Atom Egoyan-Film anschauen möchte, sollte diesen wählen.

#376: Chungking Express (Wong Kar Wai, 1994)
Wer sich nur einen einzigen Wong Kar Wai-Film anschauen möchte, sollte diesen wählen.

#377: Sieben (David Fincher, 1995)
Der wohl nihilistischste Thriller der 1990er, meisterhaft in Szene gesetzt von David Fincher: Morgan Freeman und Brad Pitt jagen einen Killer, der Menschen für deren Todsünden bestraft. Ein oft kopiertes, nie erreichtes Meisterwerk, das man mindestens einmal gesehen haben sollte.

#378: Tesis (Alejandro Amenábar, 1996)
Was Fincher mit »Seven« fürs US-amerikanische Kino tat, gelang im Jahr darauf Amenábar für das spanische Kino: einen der besten Thriller der 1990er zu schaffen. Ana Torrent (Cría cuervos…) spielt eine Filmstudentin, die eine Abhandlung über snuff movies schreiben will und dabei auf ein Video stößt, auf dem eine ehemalige Mitstudentin zu Tode gequält wird. Fele Martínez und Eduardo Noriega bemühen sich redlich um die junge Frau, doch mindestens einer von ihnen ist wirklich nicht ganz koscher… Der Streifen ist auch nach 20 Jahren noch hochgradig spannend und verstört nachhaltig.

#379: Mitternacht im Garten von Gut und Böse (Clint Eastwood, 1997)
Clint Eastwood führt uns nach Savannah und zeichnet geradezu detailbesessen ein ebenso liebevolles wie bissiges Portrait vom amerikanischen Süden (der Film dauert 156 Minuten). John Cusack spielt einen Reporter, der sich mit einem Kunstsammler (Kevin Spacey) anfreundet, der sich schon bald nach Cusacks Ankunft den Beschuldigungen, er habe Jude Law umgebracht, stellen muss. Spacey war selten besser, und The Lady Chablis gibt eine oscarreife Vorstellung, die man nur in der englischen Originalfassung wirklich schätzen kann. Der Soundtrack, allesamt Songs von Johnny Mercer, gehört zu den besten der 1990er: Rosemary Clooney, Paula Cole, Brad Mehldau, k.d. lang und Tony Bennett geben sich neben Kevin Spacey und Alison Eastwood die Ehre.

Gattaca

Gattaca

#380: Gattaca (Andrew Niccol, 1997)
Ein bisschen Huxley, ein bisschen Orwell und das Gespann Ethan Hawke-Uma Thurman-Jude Law machten aus dem Sci-Fi-Melodram in den späten 1990ern einen Kultfilm: In einer nicht allzu fernen Zukunft werden genetisch optimierte, also quasi perfekte Menschen im Reagenzglas geschaffen und gehören zur Elite, während auf natürlichem Wege gezeugte, »fehlerhafte« Menschen unpreviligierte Jobs erledigen müssen. Ein Mann versucht, das System zu überlisten. Mit Gore Vidal, Ernest Borgnine, Xander Berkeley, Maya Rudolph (!), Elias Koteas, Alan Arkin und dem bildhübschen Loren Dean als Hawkes perfektem Bruder. Slawomir Idziak schuf als Kameramann einige brillante Bildfolgen. Leider konnte Regie-Debütant Niccol hiernach keinen weiteren Erfolg mehr verbuchen. Einer der »Gattaca«-Produzenten war übrigens Danny DeVito. Musik: Michael Nyman.

#381: Romy und Michele (David Mirkin, 1997)
»Let’s fold scarves!«
— Genau, diese durch und durch bekloppte Komödie lässt einen kindlich-euphorisch den Alltag in die nächstbeste Tonne kloppen und das Leben feiern. Genuss ohne Reue!

#382: The Big Lebowski (Joel Coen, 1998)
Es war als kleines, unscheinbares Komödien-Projekt für zwischendurch geplant und entwickelte sich zum nachhaltigsten Kultstreifen der Coen-Brüder. Dies dürfte der handlungsarme und logiklöchrige Spaßmacher vor allem Jeff Bridges zu verdanken haben, der mit »The Dude« eine der berühmtesten Figuren der Kinogeschichte kreierte. Laut der Zuschauer-Bewertungen auf IMDb.com gehört »The Big Lebowski« zu den 150 besten Filmen überhaupt.

#383: Wonderland (Michael Winterbottom, 1999)
Episodisch aufgebautes Winterbottom-Frühwerk, das ein realistisches Bild Londons des ausgehenden letzten Jahrtausends präsentiert (die Kamera immer auf Augenhöhe). Neben hervorragenden Schauspielerleistungen wartet der Streifen mit einer von Michael Nymans schönsten Kompositionen auf.

#384: Dancer in the Dark (Lars von Trier, 2000)
Trivial gestricktes und genial inszeniertes Musical und Anti-Musical in einem, außerdem der erste Teil von Lars von Triers Amerika-Trilogie. Der von Björk gesprochene Satz »In a musical, nothing dreadful ever happens« wird in grauenhafter Weise ins Gegenteil verkehrt. Die spielt in beängstigender Intensität eine europäische Immigrantin namens Selma. Alleinerziehend und aufgrund einer Erbkrankheit langsam erblindend, arbeitet sie mehrere Schichten in einer Fabrik, um ihrem Sohn eine Augenoperation zu ermöglichen, damit ihn nicht dasselbe Schicksal ereilt. Doch ihr bester Freund und Vermieter stiehlt ihr das hart erarbeitete Geld, und sie tötet ihn in Notwehr. Eine Verkettung von Missverständnissen führt dazu, dass Björk/Selma wegen vorsätzlichem Mord zum Tode durch den Strang verurteilt und hingerichtet wird. Grandios fehlbesetzt: Catherine Deneuve als Fabrikarbeiterin. In Nebenrollen dabei: David Morse, Joel Grey, Peter Stormare, Jean-Marc Barr, Siobhan Fallon und natürlich Udo Kier.

#385: Toutes les nuits (Eugène Green, 2001)
Kunst 1. Der in New York geborene französische Filmemacher Eugène Green adaptiert hier Flaubert und lässt im Sommer 1967 zwei Freunde (Alexis Loret und Adrien Michaux) an eine schöne Frau (Christelle Prot) geraten. Es kommt darauf an, an sich abgedroschene Konstellationen neuartig zu erzählen. Ein von der Kritik gefeiertes Filmkunstwerk, aus dem vor allem die Hauptdarstellerin hervorsticht.

#386: The Salton Sea (D. J. Caruso, 2002)
Val Kilmer spielt sich die Seele aus dem Leib in diesem düster-melancholischen Thriller-Meisterwerk, das so edel fotografiert ist, dass man jedes einzelne Bild ausdrucken und rahmen möchte. Lief hierzulande leider nicht einmal im Kino und gilt wohl auch deswegen immer noch als Geheimtipp.

#387: Memento (Christopher Nolan, 2000)
Nolans erster großer Kassenknüller kommt ein bisschen wie ein Independent-Film daher und wickelt einen mit Spannung und Charme ein. Es geht — wenig originell für einen Thriller — um einen Mann mit Amnesie (Guy Pierce), der auf seinem Rachefeldzug immer tiefer in einem Sumpf des Bösen versackt. Der Regisseur spielt hierbei versiert mit verschiedenen Zeit- und Wahrnehmungsebenen.

#388: Die Klavierspielerin (Michael Haneke, 2001)
Haneke verfilmt Jelinek mit der Huppert. Das ist in vielerlei Hinsicht unerträglich, soll und muss es aber auch sein. Wo der Dialog: »Ich habe deine Schamhaare gesehen, Mutter!« — »So, jetzt wird aber geschlafen!« unter Almodóvars Ägide zum schrillen Melodrama geworden wäre, servieren uns Haneke, Jelinek, Huppert und die anbetungswürdige Annie Girardot ein sprödes, kaltes, in seiner Unmenschlichkeit geradezu widerwärtiges Würgekino, das zu den interessantesten Werken der letzten 20 Jahre gehört und von jedem einmal gesehen werden sollte.

#389: Die fabelhafte Welt der Amélie (Jean-Pierre Jeunet, 2001)
Eine beziehungsgestörte Psychopathin mit Helfersyndrom (Audrey Tautou) stalkt das Objekt ihrer Begierde (Mathieu Kassovitz) quer durch Paris. Nein, kein Thriller, sondern ein auf Kult getrimmtes Großstadtmärchen, in dem sich Regisseur Jean-Pierre Jeunet vor allem selbst feiert. Wer gerne auf Cineast machen möchte, muss sich diesen Streifen antun; für den Rest bietet er immerhin gepflegte Sonntagnachmittagunterhaltung mit schicker Musik von Yann Tiersen und grünstichigen Bildern.

The Ring

The Ring

#390: Ring (Gore Verbinski, 2002)
US-Remake des japanischen Horroroklassikers: Naomi Watts, die Königin der Remakes, spielt eine Frau, die von einem Videotape verfolgt wird. Klingt irgendwie bekloppt, ist aber mächtig unterhaltsam.

#391: Der Pianist (Roman Polanski, 2002)
Vielleicht wurde die Biographie Wladyslaw Szpilmans Polanskis klarster Film, auf jeden Fall wurde es sein persönlichster. Er, der als Kind das Krakauer Ghetto er- und überlebt hatte, beschwört nüchtern und schonungslos eben jene düstere Zeit wieder hervor. Adrien Brody gibt als Szpilman die Vorstellung seines Lebens. Ein Leckerbissen von einem Film!

#392: Das Meer in mir (Alejandro Amenábar, 2004)
Kein Film über Blasenschwäche, sondern ein bravourös gespieltes, höchst filigranes Drama um selbstbestimmtes Leben- und Sterbenwollen. Sicher einer der besten spanischen Filme der letzten 30 Jahre.

#393: 8 Frauen (François Ozon, 2002)
François Ozon besetzte seine farbenfrohe Adaption des beliebten Boulevard-Theaterstücks aus den 1950ern mit der Crème de la crème des französischen Filmgeschäfts: Danielle Darrieux, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Virginie Ledoyen, Ludivine Sagnier und Firmine Richard sind Opfer und Täterinnen zugleich in dieser schwungvollen Krimikomödie à la Agatha Christie.

#394: Big Fish — Der Zauber, der ein Leben zur Legende macht (Tim Burton, 2003)
Albert Finney und Billy Crudup spielen in Tim Burtons wohl schönstem Film Vater und Sohn. Ewan McGregor gibt uns Finney als jungen Mann, und Jessica Lange ist auch mit dabei. Der mit Danny DeVito, Steve Buscemi und Marion Cotillard bis in die Nebenrollen stimmig besetzte Streifen über die Macht der Phantasie und die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn rührt einem die Tränen aus dem Schädel. Ein Muss!

#395: Gosford Park (Robert Altman, 2001)
Der mit Abstand beste Film aus Altmans Spätwerk seziert das englische Klassensystem im Jahre 1932, aufbereitet als Krimikomödie im Agatha Christie-Stil. Dafür heimste Julian Fellowes’ Drehbuch einen verdienten Oscar ein, der Film selbst erhielt sechs weitere Nominierungen (u. a. als Bester Film) und schnitt auch an der Kinokasse ganz gut ab. Der Grund dafür dürfte in der illustren Besetzung liegen: Maggie Smith, Michael Gambon, Kristin Scott Thomas, Charles Dance, Tom Hollander, Jeremy Northam, James Wilby, Ryan Phillippe, Stephen Fry, Kelly Macdonald, Clive Owen, Helen Mirren, Eileen Atkins, Emily Watson, Alan Bates, Derek Jacobi, Richard E. Grant und Sophie Thompson geben sich in hervorragend herausgearbeiteten Rollen die Ehre und bilden eines der besten Ensembles der jüngeren Filmgeschichte.

#396: Chihiros Reise ins Zauberland (Hayao Miyazaki, 2001)
Japanischer Animationsfilm-Klassiker für nicht mehr ganz so kleine Kinder. Mit der Stimme von Nina Hagen als Hexe und einer Musik, die unter die Haut geht.

#397: Le monde vivant (Eugène Green, 2003)
Kunst 2. Ein Oger hält sich in seinem Schloss zwei Kinder, die er essen möchte. Ein Ritter, sein Kumpan und die Frau des Ogers, welche ihren Gatten gerne loswerden möchte, sind bestrebt, die Kinder zu retten. Ein mittelalterliches Märchen in zeitgenössischem Gewand mit der Besetzung aus »Toutes les nuits«.

#398: Le Pont des Arts (Eugène Green, 2004)
Kunst 3. Paris in den 1970ern: Das Leben eines an Depressionen leidenden Philosophiestudenten wird durch die Kraft der Musik und die Verliebtheit in eine schöne Sängerin drastisch verändert. Die Besetzung aus »Toutes les nuits« und »Le monde vivant« erhält prominente Unterstützung von Natacha Régnier, Jérémie Renier und Olivier Gourmet. Bloß nicht einschüchtern lassen! Die französische DVD hat englische Untertitel.

#399: Capote (Bennett Miller, 2005)
Truman Capote bricht 1959 mit seiner Freundin Harper Lee (Catherine Keener) zu Recherchezwecken nach Kansas auf, um zwei Mörder zu befragen. Dabei entsteht zwischen dem Autor und einem der zum Tode verurteilten Männer (Clifton Collins jr.) eine tiefe Freundschaft. Die Entstehungsgeschichte von »In Cold Blood«, Capotes erfolgreichstem Roman, ist spannender und aufwühlender als das Buch selbst. Der viel zu früh verstorbene Philip Seymour Hoffman erhielt für seine schauspielerische Glanzleistung u. a. einen Oscar.

Lemming

Lemming

#400: Lemming (Dominik Moll, 2005)
Einer der besten Lynch-Filme — abgesehen davon, dass er nicht von David Lynch, sondern von Dominik Moll stammt. Charlotte Gainsbourg und Laurent Lucas spielen ein Ehepaar, das Besuch von Lucas’ Boss (André Dussollier) und dessen spröder Gattin (Charlotte Rampling) erhält. Plötzlich ist Rampling tot, und im Küchenabfluss findet sich ein totes Nagetier. Ja, und dies ist nur der Anfang einer verstörenden tour de force. Ein Muss!

#401: Borat (Larry Charles, 2006)
»Come to Kazakhstan, it’s nice!« — Zum Brüllen komische Satire, bei dem die westliche Welt ordentlich ihr Fett weg kriegt. Das Ganze ist klugerweise als Mockumentary aufgezogen.

#402: Black Sheep (Jonathan King, 2006)
Erfolgreiche neuseeländische Horrorkomödie um amoklaufende Schafe, die Menschen ihre Eingeweide herausreißen wollen. Unappetitlich, witzig und ganz viel Määääähhhh!

#403: Disturbia (D. J. Caruso, 2007)
Überraschend spannende Neuauflage von Rear Window mit Shia LaBeouf, bevor ihm der Ruhm zu Kopfe stieg.

#404: Dunkelblaufastschwarz (Daniel Sánchez Arévalo, 2006)
Mit 22 Preisen überhäuftes, in seiner Simplizität beeindruckend umgesetztes Drama um einen unfruchtbaren jungen Mann, der seinen frisch verliebten Bruder bittet, seine im Gefängnis sitzende Freundin für ihn zu schwängern. Für mich vor zehn Jahren einer der besten europäischen Filme des Jahres.

#405: P.S. Ich liebe dich (Richard LaGravenese, 2007)
Tränendrücker nach Cecelia Aherns Trivial-Bestseller. Ganz ordentliche Besetzung in den Nebenrollen (Harry Connick Jr., Kathy Bates, Jeffrey Dean Morgan, James Marsters, Gina Gershon, Lisa Kudrow), ein guter Soundtrack und schicke Außenaufnahmen in Irland heben die Schmonzette erfrischend über den Durchschnitt

#406: Willkommen bei den Sch’tis (Dany Boon, 2008)
Wir haben seinerzeit im Kino so sehr gelacht, dass wir den Film ein zweites Mal anschauen mussten, weil wir die Hälfte praktisch verpasst haben. Ein Meisterwerk auch der Synchronarbeit. Darüber hinaus die erfolgreichste französische Produktion seit Anbeginn des Kinos.

#407: A Single Man (Tom Ford, 2009)
Ein Modedesigner verfilmt Christopher Isherwoods wohl persönlichstes Buch über Trauer und Neubeginn, gewinnt dafür Colin Firth und Julianne Moore und schafft ein Aufsehen erregendes Werk, das ebenso herzensschön wie glatt und kalt ist — durchgestylt bis in die letzte Faser. Dennoch ein interessantes Werk über die Schönheit und eine hymnische Liebeserklärung an das Leben.

#408: Der Auftragslover (Pascal Chaumeil, 2010)
Vanessa Paradis und Romain Duris in einer ziemlich amerikanisch aufgemotzten Liebeskomödie über einen Mann, der von Berufs wegen Paare auseinander bringt und sich bei einem besonders schwierigen Auftrag an der Côte d’Azur in eines seiner Zielobjekte verliebt. Dazu hört man George Michael und tanzt zum »Dirty Dancing«-Soundtrack. Als Sidekick mit dabei: François Damiens. Fünf César-Nominierungen.

#409: Kleine wahre Lügen (Guillaume Canet, 2010)
Französisches Starkino vom Feinsten: Jean Dujardin liegt nach einem schweren Verkehrsunfall dem Tode nahe im Krankenhaus. Seine Clique von Freunden verbringt ihren jährlichen Urlaub zusammen. Doch ihre Trauer und die kleinen Geheimnisse treiben sie allmählich auseinander. François Cluzet, Benoît Magimel, Gilles Lelouche, Marion Cotillard, Anne Marivin und viele andere haben in 135 Minuten mehr als genug Zeit, sich schauspielerisch zu entfalten. Inszenatorisch bleibt vor allem die Anfangssequenz mit dem wirklich fiesen Motorrad-Unfall im Gedächtnis.

Les contes de la nuit

Les contes de la nuit

#410: Les contes de la nuit (Michel Ocelot, 2011)
Sechs exotische Fabeln werden hier elegant miteinander verwoben und führen uns von Tibet über das mittelalterliche Europa bis hin zum Land des Todes. Das Ganze ist phantasievoll und mehr als ansprechend animiert und wun-der-schön! Für Kinder ab acht Jahren geeignet.