Die schreckliche Wahrheit
Originaltitel: The Awful Truth; Regie: Leo McCarey; Drehbuch: Viña Delmar; Kamera: Joseph Walker; Musik: Morris Stoloff; Darsteller: Irene Dunne, Cary Grant, Ralph Bellamy, Alexander D’Arcy, Cecil Cunningham. USA 1937.
»Schau dir bloß diesen Regen an!« — »Wieso? Tut er noch was anderes außer fallen?«
Von allen mir bekannten screwball comedies, ein von mir bevorzugtes Genre, ist mir »The Awful Truth« vermutlich die liebste. Ein Film, der streckenweise wie abfotografiertes Theater wirkt, eine letztlich mediokre Story hat — und trotzdem zur Championsleague in der Kombination von Text und Darstellung gehört. Die Meisterleistung der Dramaturgie fußt nicht auf der Allerweltsgeschichte der austauschbaren Handlung, sondern entfaltet sich über die hohe Qualität des gesprochenen Wortes, das den Film wie eine musikalische Komposition trägt: ein Lehrbeispiel für Dialogführung, ein pikant-spitzzüngiges Verbalkräftemessen zwischen Mann und Frau.
Eine Verkettung von albernen Missverständnissen führt dazu, dass sich die Eheleute Lucy und Jerry Warriner gegenseitig der Untreue verdächtigen und um Scheidung ersuchen. Die offizielle Trennung wird durch die Auseinandersetzung um das Sorgerecht für den gemeinsamen Hund Mr. Smith (der von dem talentierten Terrier Asta gespielt wird, der aus The Thin Man bekannt ist) beeinträchtigt. Die Entscheidung des Richters lautet: Das Tier kommt in die Obhut von Lucy, während dem Noch-Gatten lediglich ein Besuchsrecht eingeräumt wird. Von dem macht Jerry dann auch reichlich Gebrauch, um den Lebenswandel seiner Gattin zu beobachten, die von einem entsetzlich naiven Landei (hervorragend: Ralph Bellamy) umgarnt wird. Den Warriners bleiben 90 Tage, bis die Scheidung rechtskräftig wird; Zeit genug, sich wieder zu versöhnen, denn obschon auch Jerry zwischenzeitlich Damenbekanntschaften macht, lieben er und Judy einander immer noch.
Nach einer Stummfilmversion (1925) und einer etwas zu zahmen Fassung mit Henry Daniell und Ina Claire (1929) war »The Awful Truth« bereits die dritte Verfilmung von Arthur Richmans Bühnenstück gewesen — und ein riesiger Publikumserfolg. Besonders die Darsteller — »The Awful Truth« ist bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend besetzt! — wurden mit Lobeshymnen bedacht. Dabei hatte Cary Grant sich während der Dreharbeiten äußerst unwohl gefühlt und sich sogar aus seinem Vertrag rauskaufen wollen. Er und Irene Dunne, die für ihr locker-spaßiges Spiel sogar für einen Oscar vorgeschlagen wurde, arbeiteten in der Folgezeit noch zwei weitere Male in ähnlich gelagerten Filmen zusammen. Weitere Nominierungen gab es für Ralph Bellamy, den Schnitt, das Drehbuch und in der Sparte Bester Film, doch lediglich Leo McCarey konnte die Statuette als Bester Regisseur in Empfang nehmen. 1953 gab es noch ein Remake mit Jane Wyman und Ray Milland, das weder den Charme noch den Witz der McCarey-Verfilmung erreichen konnte. Dieser Film gehört wirklich in jede Sammlung!
André Schneider