30. Juni 2021

Leben mit Corona-Blues
Bericht von Björn Berndt, männer* GAB, 6. Mai 2021

In seinem Roman Es wird schon hell beschreibt der Autor André Schneider Gedanken, die ihm im März 2020 mit der damals frisch gestarteten Corona-Pandemie durch den Kopf gingen. So könnte man den Inhalt grob zusammenfassen.

Spannend ist das Ganze deswegen, weil er seine aufmerksamen Alltagsbeobachtungen in poetische Worte zu verpacken weiß: »Affenähnlich hangeln wir uns von Ast zu Ast, von Tag zu Tag«, heißt es da zum Beispiel. Schneider schafft es, mit seinen zwischen Nüchternheit, einer pragmatischen Düsternis und ebensolcher Zuversicht hin- und herpendelnden Gedanken das Gefühl der geraubten Unbeschwertheit treffend zu beschreiben.

Spannend ist auch André Schneiders impulsiver Lebenslauf: Nach Ausbildungen in Indischer Kunstgeschichte und Philologie sowie Schauspielerei, seiner Arbeit als Comedian, Schauspieler, Drehbuchschreiber und Filmproduzent sowie Autor für Lifestyle- und Film-Magazine entschloss er sich 2019 für eine Ausbildung zum Erzieher: »Ich hatte schlicht den Spaß verloren und hatte mir mehr und mehr einen Sinn hinter meinem Tun ›kreieren‹ müssen«, erklärt er seine Entscheidung. »Im sozialen Bereich ist der Sinn immer da.« Bleibt zu hoffen, dass er in Zukunft auch noch Zeit für neue Bücher finden wird.

Filmtipp #768: Weekend

Weekend

Originaltitel: Weekend; Regie: Andrew Haigh; Drehbuch: Andrew Haigh; Kamera: Urszula Pontikos [Ula Pontikos]; Musik: James Edward Barker; Darsteller: Tom Cullen, Chris New, Jonathan Race, Laura Freeman, Loreto Murray [Loretto Murray]. GB 2011.

weekend

Als ich mit Le deuxième commencement 2012 in Paris war, wurden mehrfach Vergleiche zu »Weekend« gezogen, einen Film, von dem ich bis dato noch nie gehört hatte. Es sollten noch weitere fünf Jahre vergehen, bis ich ihn zum ersten Mal sehen konnte. Um’s gleich vorweg zu nehmen: Mein Film kann »Weekend« nicht einmal im Ansatz das Wasser reichen! Denn bei Andrew Haighs zweiter Regiearbeit (nach »Greek Pete« (2009), der eher durchschnittlich war) handelt es sich um ein kleines Meisterwerk, nicht zu vergleichen mit den Fingerübungen eines leidlich begabten Regie-Amateurs wie mir! Nach »Weekend« kreierte Haigh in den USA mit »Looking« die erste wirklich gelungene schwule TV-Serie. Ein weiterer sehr sehenswerter Streifen des Regisseurs wurde 2015 »45 Years« mit Charlotte Rampling und Tom Courtenay.

Am Anfang steht ein one-night stand: Nach einem öden Abendessen bei Freunden zieht es Russell (Cullen) in einen Club, wo er Glen (New) kennenlernt. Die beiden landen bei ihm. Am nächsten Morgen bittet ihn Glen, seine Eindrücke von der letzten Nacht für ein Kunstprojekt auf Band zu sprechen. Der eher schüchterne und konservative Russell, der ungern über seine Lust spricht, um in seinem heteronormativen Umfeld nicht anzuecken, wird mit der schonungslosen Offenheit von Glen konfrontiert, der sich brüstet, jedem Hetero sein Schwulsein ins Gesicht brüllen zu wollen. Die Jungs sind also von Grund auf verschieden. Dennoch tauschen sie ihre Nummern auf und verabreden sich noch einmal. So lernen sie sich besser kennen, erzählen sich Geheimnisse, schlafen und streiten miteinander. Am Sonntagmorgen, so erfährt der Zuschauer, muss Glen zum Flughafen, da er für mehrere Jahre in die Vereinigten Staaten geht, um dort sein Kunststudium fortzuführen. Für Russell, der als Waisenjunge groß geworden ist und ohnehin Verlustängste hat, eine emotionale Herausforderung — und auch Glen zeigt sich weniger abgebrüht und kalt, als er selbst zunächst hoffte.

Das Ganze erinnert passagenweise an Before Sunrise und ist von der ersten bis zur letzten Sekunde hinreißend. An nur 16 Tagen komplett on location in Nottingham gedreht, wurde »Weekend« vom BFI mittlerweile zum zweitbesten LGBT-Film aller Zeiten gewählt (!). In der Festivalsaison 2011/12 regnete es zahllose Preise für den Film, den Regisseur und seine engagiert aufspielenden Hauptdarsteller.
»Der Spiegel« goutierte »Weekend« mit liebevoller Wertschätzung: Es sei ein »dokumentarisch anmutender Film über die Möglichkeit von Liebe, die eigentlich gar nicht möglich sein kann. Und er ist wundervoll. Es gibt keine spektakulären Wendungen, keine hochdramatischen Liebesschwüre, keine in letzter Sekunde aufgelösten Missverständnisse. ›Weekend‹ beobachtet seine beiden Helden nur mit geradezu beiläufiger Gelassenheit dabei, wie sie sich langsam gegenseitig entdecken. Und das hat man selten so ungekünstelt, so wahrhaftig und so ehrlich gesehen wie hier.« Dem ist nichts hinzuzufügen.

André Schneider

28. Juni 2021

Then Came the Morning!

Bitte entschuldigt die längere Funkpause. Sie hatte einen guten Grund. So stand der Mai ganz im Zeichen der Renovierung: Carsten hat in der ganzen Wohnung Laminat verlegt, Stefan und Ian haben gestrichen und tapeziert und ich habe eingekauft. Unter anderem mein erstes eigenes Bett. Die Jungs haben mir eine komplett neue Küche gebaut, die Möbel — zwei Kommoden, der Kleiderschrank, der massive neue Schreibtisch, die Küchenmöbel und so weiter — wurden von Guru importiert. Das Geschirr und der Organizer für den Schreibtisch habe ich bei Loberon gefunden. Neuer Herd, neues Geschirr, neues Telefon, neue Matratze. Ein teurer Spaß, aber ein notwendiger. Das Entrümpeln tat so gut! Drei Wochen lang konnte ich nicht zu Hause schlafen; Ian war so lieb, mir Obdach zu geben. Pfingstmontag war das Gröbste fertig, dann legte ich mit dem Feinschliff los. Im Klartext hieß das: putzen, putzen, putzen. Möbel rücken. Regale ausräumen, Kram aussortieren, einräumen, die Schränke und Kommoden bestücken. Es machte großen Spaß. Als meine Eltern mich vorigen Samstag besuchten, bekam ich außerdem deren gebrauchte Spülmaschine. Die steht jetzt erst einmal dumm rum (wie auch der neue Gasherd), bis ich mir eine Fachkraft leisten kann, die das Teil anschließt. Chelito ist nach drei Monaten Hildesheim-Urlaub auch wieder da. Neben Taubheit und Demenz plagt ihn jetzt auch noch sein nachlassendes Augenlicht. Er ist mittlerweile 18, sehr dünn geworden und eigentlich nur noch am schlafen.
Während der gesamten Prozedur war mir sehr bewusst, dass ich hier etwas immens Wichtiges für mich tat. Mir selbst ein Zuhause geben. Jeden Tag, jeden Schritt ging ich klaren Blickes. Ein introspektiver Vorgang, beinahe meditativ. Und ohne die Hilfe meiner Freunde wäre es nicht gegangen.

Das Außen stand natürlich nicht still. Weiterhin wöchentlich zwei Sitzungen bei Frau A. und viiieeeel Stress auf der Arbeit. (Die zermürbenden Details erspare ich Euch.) Die zweite Impfung am 14. Mai und schlechte Filme wie »The Woman in the Window« (Regie: Joe Wright) oder »A Study in Terror« (Regie: James Hill) sowie einen Heidenspaß mit dem ESC und »Brooklyn Nine-Nine«. Eine Schreibpause, die zuweilen richtig weh tat. Die bewegenden Memoiren Sharon Stones. Das war keine blöde Hollywood-Biographie, sondern ein überraschend tiefsinniges Vermächtnis, ohne Ghostwriter und mit großer Stilsicherheit erzählt. Das Buch beginnt mit Stones Nahtoderlebnis im September 2001, als die Ärzte ihr nach einer neuntägigen Gehirnblutung und einem Schlaganfall eine einprozentige Überlebenschance gaben. Von hier rollt sie ihr Leben bzw. ihre zwei Leben auf. Ihre Autobiographie ist ein literarisches Abschreiten eines langen Weges, der größtenteils von einer getriebenen, schmerzhaften Suche nach Liebe geprägt war. Das Buch von Matthew McConaughey ist ein richtiges objet d’art. Habe das neue Kändler-Hörbuch von Jo van Nelsen gehört und die neue EP von Clueso. Marianne Faithfulls Album mit Lyrik von Keats, Byron und anderen ist herrlich.
Und hiermit wünsche ich Euch einen glorreichen Montag! Mich plagen entsetzliche Rückenschmerzen, ich kann mich kaum bewegen, werde mich aber dennoch zur Arbeit schleppen.

André