Filmtipp #426: Nackt unter Leder

Nackt unter Leder

Originaltitel: Girl on a Motorcycle/La motocyclette; Regie: Jack Cardiff; Drehbuch: Ronald Duncan, Jack Cardiff, Gillian Freeman; Kamera: Jack Cardiff; Musik: Les Reed; Darsteller: Marianne Faithfull, Alain Delon, Roger Mutton, Marius Goring, Catherine Jourdan. GB/Frankreich 1968.

girl on a motorcycle

Ich sah den Film erstmals im Sommer 1994 in London. Martin, mein Gastvater, war ein Bewunderer Marianne Faithfulls, und die BBC nahm das lang erwartete Erscheinen ihrer Autobiographie seinerzeit zum Anlass, einige ihrer Filme auszustrahlen. Ich war 16, noch völlig von Kurt Cobains Selbstmord traumatisiert und schwebte gerade in einer Welle von Albert Finney, Diana Rigg, Vanessa Redgrave, Hitchcock und englischem Theater, als mich das »Girl on a Motorcylce« traf. Was war das? Eine unfreiwillige Komödie über eine Frau, die in einem engen Lederoutfit Motorrad fährt. Bei einer Gesamtlauflänge von 90 Minuten zog sich das etwas. Zum Ende hin tauchte dann Alain Delon auf, schälte die schöne Marianne alias Rebecca aus ihrem Overall und hauchte dazu englischen Dialog mit krachend französischem Akzent.
Vier Jahre später, auf dem Weg nach New York, las ich endlich Faithfulls Autobiographie. Darin fand sich auch folgende Passage über den Film: »I made a couple of terrible movies that year. […] And the soft porn ›Girl on a Motorcycle‹. I was away a lot and Mick visited me on location in Zürich and Heidelberg and the south of France. Alain Delon was the star, and very early on in the film he tried to pull me in the same desultory way that Roy Orbinson had. When I turned him down he became sullen and difficult. He was such a pompous git, in any case, and every time he said that ludicrous line ›Your body is like a beautiful violin in a velvet case‹, while unzipping my leather suit, I would crack up. It took dozens of takes before I could do it with a straight face.« (Marianne Faithfull, »Faithfull«)

Erst 2008 sah ich »Girl on a Motorcycle« ein zweites Mal. Die frisch erschienene DVD pries das Machwerk als »den Skandalfilm von 1967« an. Das zweite Angucken bestätigte meinen ersten Teenie-Eindruck: Skandalös ist hier eigentlich nur die Qualität des Materials. Also: Marianne spielt eine frisch verheiratete Engländerin namens Rebecca, die ihren staubigen Angetrauten (Mutton) nicht so lecker findet und ihn deshalb eines frühen Morgens verlässt. Sie wirft sich in besagtes Outfit und fährt zu ihrem Liebhaber Daniel (Delon), der irgendwo in Heidelberg weilt. Bis sie ihn dort trifft, sehen wir viel Marianne vor schlechten Rückprojektionen. Dabei wird ein hanebüchener innerer Monolog vorgetragen, sie erinnert sich an ihre erotischen Höhepunkte mit Daniel. Am Ende, als sie nach einem guten Fick mit Daniel wieder zurück nach England fahren möchte, stirbt Rebecca bei einem Unfall. Ende.
Jack Cardiff war von Haus aus ein erstklassiger Kameramann und rührend bemüht, aus dem dürftigen Material einen vorzeigbaren Film zu basteln. Faithfull war beim Dreh ganz offensichtlich bekifft, und der eigentliche Star (und Co-Produzent) Alain Delon tritt erst im letzten Drittel auf. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Geschichtchen auf Spielfilmlänge gestreckt werden musste. »Girl on a Motorcycle« hat viele Längen, die auch die uninspiriert-psychedelische Musik von Les Reed nicht wettmachen kann. Ein Softporno? Mitnichten. Von Erotik keine Spur. Klar ist Marianne sexy. Man nannte sie nicht umsonst »den Engel mit den großen Titten«. Es macht auch Freude, ihr beim Motorradfahren zuzusehen. Sie düst übrigens auf einer Harley Davidson Electra Glide quer durch Europa, während Delon eine 750cc Norton Atlas fährt. André Pieyre de Mandiargues’ Buch »La motocyclette«, auf dem der Film fußt, ist in Frankreich übrigens ein absoluter Kultroman, und auch Cardiffs Film — sein zwölfter Ausflug ins Regiefach — erreichte dort im Laufe der Jahre Kultstatus. Im deutschsprachigen Raum kam »Girl on a Motorcycle« nie so ganz an; dieser zugleich sehr englische und sehr französische Film war uns vermutlich zu undeutsch.

In ihren späteren Memoiren von 2007 äußerte sich Marianne Faithfull wie folgt über ihr kurioses Filmerlebnis: »Nachdem ich 1968 ›Girl on a Motorcycle‹ gemacht hatte, bekam ich jede Menge Briefe von Jungs, die über das einsame Vergnügen, das ich ihnen in hautengen Lederoverall bereitet hatte, in ekstatische Träumereien gerieten. […] Der Plot war simpel und ein bisschen bekloppt. Natürlich konnte ich überhaupt nicht Motorrad fahren. Ich saß auf einem Trolley mit einer Windmaschine, aufgenommen vor einem blauen Hintergrund. Es ist zum Schießen, denn der Film springt zwischen endlosen Aufnahmen von mir auf dem Motorrad im Wind mit wehendem Haar, Zwischenschnitten mit Landschaft und Rebeccas blödsinnigem Gedankenfluss hin und her. Es ist eine Art Existentialismus auf dem Motorrad mit tripartigen polarisierten Flashbacks. Der alte Jack Cardiff war ein großartiger Regisseur, der großartige Aufnahmen machte — im Prinzip hatte Jack einen künstlerischen Anspruch, also sah der Film auch gut aus. […] Ich bin sehr froh, dass ich in diesem Alter einen Film gedreht habe, denn er konservierte mich in einer Phase meines Lebens in Aspik, als ich wirklich gut aussah.« (Marianne Faithfull, »Memories«)

André Schneider