26. Februar 2022

»Wir lernen aus der Geschichte, dass wir überhaupt nichts lernen.« (Georg Friedrich Wilhelm Hegel)

Frühling in Strasbourg

Frühling in Strasbourg.

Nun sitzen alle knietief in der Scheiße. Putins Drohungen überschreiten das, was man ihm noch vor wenigen Tagen zugetraut hatte. Selenskyj bittet, fleht um Hilfe, die nicht kommt. Der Westen ist paralysiert, und man kann es ihm nicht einmal verdenken. Augenblicklich, so scheint mir, kann man nur noch auf einen Rest Restvernunft bei Putin hoffen und darauf, dass die NATO-Staaten mit Bedacht handeln. Derweil sind Zehntausende Ukrainer auf der Flucht, während ihr Land pausenlos bombardiert wird. China stellt sich an Putins Seite.

Angesichts der entsetzlichen Lage, anno 2022 mitten in Europa vor einem Krieg zu stehen, widmet man sich in Deutschland nach wie vor Zeitgeistthemen. So fragte die Schweizer Theologin und Ethnologin Esther Gisler Fischer in einem Tweet anlässlich einer Sondersendung im SRF: »›Brudervolk‹. Gibt es in der Ukraine denn keine Frauen?! Hört auf mit diesem patriarchalen Framing! ›Die Ukraine‹ wäre grammatikalisch gesehen, wenn schon denn schon, ein ›Schwestervolk‹!« Diese Zeilen sagen mehr über den Zustand unserer Gesellschaft aus als jede engagierte Kolumne. Wobei »Engagement« an und für sich momentan schon ein Problem ist. Die Kompetenz einer Baerbock beispielsweise ist nicht angreifbar, da per se frauenfeindlich, und überhaupt geht es unterm Strich nur noch darum, wer wann was wie gesagt hat und wie man sich selbst am besten marginalisieren kann, weil: Opfersein bringt Bonuspunkte. So gesehen hätte sich Putin für seine Verbrechen keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Der Westen ist so dekadent und schwach wie nie, größtenteils von Flachzangen-Regierungen geführt und wehrtechnisch pleite. Oh, wie ich Volker Pispers vermisse!
Schönen Sonntag noch,

André

23. Februar 2022

Die DVD-Sammlung — etwa 1.400 Stück — war mein ganzer Stolz gewesen. Sämtliche Filmtipps, die ich hier veröffentlicht habe, hatte ich als Silberlinge in meinen Regalen. Nun begleite ich »innere Aufräumprozesse« meist mit äußeren. Bislang erwischte es rund 120 Filme, unter anderem Gilda, Dancer in the Dark, The Girl, Deadfall und Take Her, She’s Mine — gute Filme, okay, aber doch keine, die ich mir wieder und wieder anschauen werde. Ich plane, mich auf meine absoluten Favoriten zu beschränken. Was heißt, dass dennoch mindestens 500 DVDs bleiben werden. Ein bisschen scheue ich noch davor zurück, einige seltene Gialli auszusortieren oder Filme, nach denen ich lange gesucht hatte. Oder wenn ich von einem Regisseur (wie z. B. bei Polanski, Almodóvar, Hitchcock oder Losey) das gesamte filmische Schaffen über Jahre bzw. Jahrzehnte hinweg zusammengesammelt hatte. Obwohl: The Pianist kann ich kein weiteres Mal schauen, Matador, Notorious und Secret Ceremony ebenso wenig. Wieso sollen sie hier im Schrank liegen und Staub fangen? Muss man wirklich haben, um zu haben? Ich weiß nicht, ob ich so jemand sein möchte. (Bei den CDs und Büchern, da fiel und fällt es mir etwas leichter. Da habe ich mich ohne Abnabelungsschmerzen auf das reduziert, was mir wirklich etwas bedeutet.)

Es kommt anders

Mir ging es in den vergangenen Wochen nicht gut, sie waren durchzogen von Schlaflosigkeit, Alpträumen und Unsicherheit. Die Entzündungsherde, die seit der Mumps-Erkrankung im Januar 2020 immer wieder an unterschiedlichen Stellen meines Körpers auflodern, machen mir zu schaffen. Chelito fehlt mir noch immer. Ich vermisse meine Berliner Freunde. Wenigstens — oh Freude! — habe ich sechs Kilo abgenommen. Nun habe ich zwei neue Jobs. Neben der 35-Stunden-Stelle als Pädagoge übersetze ich (gut bezahlt!) LitRPG-Romane vom Englischen ins Deutsche. Apropos Roman: Meiner kommt (hoffentlich) 2022 in die Buchläden. Fertig ist er!

Neuigkeiten aus dem Kino: »Lamb« (Regie: Valdimar Jóhannsson) war ein kluger, sehenswerter Film, den ich trotz seiner unleugbaren Qualitäten auf allen Ebenen nicht mag. Wohingegen »Les jeunes amants« (Regie: Carine Tardieu) trotz einiger formaler Schwächen (die Musik, die Dynamik) einer der schönsten Filme meines Lebens gewesen sein dürfte. Selbst zwei Wochen später bin ich noch wie verzaubert und mehr denn je überzeugt, dass das Kino erfunden wurde, um solche Geschichten zu erzählen. Fanny Ardant und Melvil Poupaud sind so hinreißend, erotisch und bewegend, dass man alle 24 Bilder pro Sekunde mit ihnen sein will, mit ihnen fiebert und lacht und weint. Eine Liebesgeschichte, die so nah am Leben ist, dass man sie nur im Kino wirklich erleben kann. Oder, um’s mit Truffauts Worten zu sagen: »Diejenigen, die das Leben lieben, lieben das Kino.« Leider, leider wäre dieser Film als deutsche Produktion undenkbar. Mir fiele auch keine deutsche Schauspielerin vom Format einer Ardant ein. Senta Berger und Hannelore Hoger wären mittlerweile zu alt, Iris Berben könnte diese Rolle nie und nimmer spielen, Maren Kroymann hätte zwar das Talent, aber nicht den Star-Appeal.

Münster

Tja, zur Ukraine schreibe ich nichts und zu Tessa Ganserer besser auch nicht. Lieber würde ich über Garth Greenwell, meine wunderbaren Nachbarn und Lisa Eckhart schreiben. Wenn ich die Zeit hätte. Nun aber bin ich einfach nur müde.
Herzliche Grüße zum Mittwoch,

André

Filmtipp #798: Die Schurken vom Bolivar

Die Schurken vom Bolivar

Originaltitel: The Pink Jungle; Regie: Delbert Mann; Drehbuch: Charles Williams; Kamera: Russell Metty; Musik: Ernie Freeman; Darsteller: James Garner, Eva Renzi, George Kennedy, Nigel Green, Michael Ansara. USA 1968.

The Pink Jungle

In seinen Memoiren (Titel: »The Garner Files«) ging James Garner im letzten Kapitel seine Filmographie Film für Film durch und schrieb mehr oder weniger ausführliche Beurteilungen. In dieser teilweise sehr selbstkritischen Liste kam »The Punk Jungle« besonders schlecht weg: »I made this thing for the money and I’m lucky it didn’t wreck my career.«
Dass »The Pink Jungle« alles andere als gelungen ist, kann man nicht leugnen. Es ist ein Film, der wie ein verprügelter Boxer zwischen den Seilen hin und her taumelt und verschiedene Genres bedienen will, ohne jedoch die Anforderungen auch nur eines von ihnen zu erfüllen: Es ist eine Komödie ohne Witz, eine Romanze ohne Funkensprühen, eine Satire ohne Biss und ein Abenteuerfilm ohne Spannung. Der Film krankt unter einem unausgegorenen, schizophrenen Drehbuch — Charles Williams verfasste normalerweise Krimis wie zum Beispiel »Man on the Run« oder »Hell Hath No Fury« und hatte mit diesem Stoff offenbar wenig am Hut — und leidet zudem unter einem konfusen Regiekonzept. Nun war Delbert Mann, der für seinen Erstling »Marty« (1955, mit Ernest Borgnine) einen Oscar erhalten hatte, Ende der Sechziger bereits für seine gediegene Konfektionsware bekannt und kurbelte im Regelfall auch eher uninspiriert herunter. Von Garners Produktionsfirma Cherokee mitproduziert, sieht »The Pink Jungle« leider auch ziemlich billig aus, was den Gesamteindruck wirklich nicht verbessert. Warum der Film trotzdem irgendwie sehenswert ist? Nun, da wäre die schmissige Musik von Ernie Freeman, die bereits im Titelvorspann für Swing und Freude sorgt, zu erwähnen oder die Kostüme von Edith Head, die charmante Besetzung sowie die sorgfältig gestalteten Scope-Bilder von Russell Metty, einem der besten Vertreter seiner Zunft.

Garner gibt uns einen Modefotografen namens Ben Morris, der im »primitivsten Dschungel der Welt« in Südamerika mit einem hübschen Model gestrandet ist, welches von Eva Renzi gespielt wird. (Renzi ist vor der Kamera gelöst und natürlich, wirklich zauberhaft, soll aber hinter der Kamera ihren Kollegen und dem Regisseur das Leben zur Hölle gemacht haben; Garner behauptete, das Team hätte die biestige Renzi schließlich »Eva Nazi« genannt.) Zusammen mit einem aufbrausenden Glücksritter (George Kennedy mit einem gestelzten Johannesburg-Akzent) macht sich das gelangweilte Paar widerwillig auf die Suche nach einer verschollenen Diamantenmine, von deren Existenz sie nicht einmal halbwegs überzeugt sind. Man schleppt sich zu Fuß und auf Eseln von Szene zu Szene, tanzt in einem schäbigen Nachtlokal (Choreographie: Hal Belfer) und beschwert sich über den mangelnden Komfort der Übernachtungsmöglichkeiten. Das Abenteuer kulminiert in einem merkwürdig in der Gleichgültigkeit verpuffenden Finale, in welchem Garner, Renzi und Kennedy auf Nigel Green und Michael Ansara stoßen, die hier einmal mehr fuchsschlaue und zwielichtige Typen geben.

Universal hatte die Rechte an dem Roman »Snake Water« von Allan Williams 1966 mit der Absicht, hieraus ein Vehikel für James Garner und Shirley MacLaine zu machen, erworben. MacLaine wurde — sehr zu Garners Missfallen — im Frühjahr 1967 durch Eva Renzi ersetzt, die offenbar einem hohen Tier bei Universal den Kopf verdreht hatte. Als die Dreharbeiten Mitte Juli 1967 begannen, hieß die Abenteuerkomödie zunächst »The Jolly Pink Jungle«, was den Studiobossen dann aber zu sperrig klang. Angesichts der vernichtenden Kritiken und den mittelmäßigen Einspielergebnissen, die das Werk im Spätsommer 1968 dann einfuhr, ist es allerdings mehr als fraglich, ob der neue Titel die Ausgangslage wirklich verbesserte.
Nachdem »The Pink Jungle« lange ein trauriges Dasein in der Versenkung fristete, brachte ihn Pidax 2021 in einer beschämenden Qualität heraus: die Bildkomposition war völlig hinüber, der Ton schlecht abgemischt. Die US-Kollegen von Kino Lorber nahmen sich 2022 des kleinen Filmchens an und brachten es in anständiger Qualität heraus.

André Schneider