Filmtipp #793: Die Todesfalle

Die Todesfalle

Originaltitel: Deadfall; Regie: Bryan Forbes; Drehbuch: Bryan Forbes; Kamera: Gerry Turpin; Musik: John Barry; Darsteller: Michael Caine, Giovanna Ralli, Eric Portman, Leonard Rossiter, Nanette Newman. GB 1968.

Deadfall

Der Filmkritiker Jens Golombek fand für »Deadfall« und seinen Regisseur keine schönen Worte: »Forbes’ Kinofilme blieben unbedeutend, und auch dieser, sich zunächst recht raffiniert anlassende Thriller kommt am Ende nicht über den Durchschnitt hinaus.« Ganz anders fiel das Urteil von Robert Lorenz vom »Filmkuratorium« aus: »Forbes’ Thriller ist ein Ästhetik-Film. […] Selten haben die Sechziger so gut ausgesehen, nie wieder machte der britische Leinwandgigant Caine eine so coole Figur wie hier. So wie ›Deadfall‹ hätten die ›Bonds‹ jener Zeit aussehen müssen: Kamera und Musik bewirken eine unendlich tolle Atmosphäre, die allein bereits den Film sehenswert macht. Das beginnt schon mit dem Intro, in dem Shirley Bassey mit ihrer unvergleichlichen Stimme die Lautsprecher erzittern lässt, ehe uns die Kamera in die idyllische Fauna von Manacor auf Mallorca versetzt.«

Bryan Forbes hatte sich ab 1961 mit einer Reihe realistischer kitchen sink dramas einen Namen gemacht, bevor er mit dieser, seiner siebten Regiearbeit stilistisches Neuland betrat und in betörenden Farben von DeLuxe ein heist movie im Look eines Agentenfilms schuf. Der Streifen generierte seinerzeit ein paar gute Kritiken, wurde an den Kinokassen jedoch ein Flop: Das Publikum mochte sich nicht so recht für den etwas zu lang geratenen Krimi erwärmen. Ab Mai 1967 in den Pinewood Studios und vor Ort in Spanien (Madrid und Mallorca) gedreht, wurde »Deadfall« Forbes’ bis dato kostspieligste Produktion. Von den rund 5,4 Millionen Dollar, die das Projekt verschlang, wurden lediglich 2,6 wieder reingespült — ein herber Verlust für die 20th Century Fox, welche große Hoffnungen in den Streifen gesetzt und dem Regisseur bei der Umsetzung seiner Vision freie Hand gelassen hatte.

Der Film beginnt in einer spanischen Entzugsklinik. Wir sehen Michael Caine als Henry Clarke, der sich hier von seiner vermeintlichen Alkoholsucht kurieren lassen möchte. Massagen und frische Luft sollen helfen. Allerdings ist der Entzug nur eine Tarnung, denn Clarke ist ein Berufsverbrecher, ein Dieb, der in die verwaisten Villen der Reichen und Schönen klettert, um deren Safes zu knacken. Sein neuestes Ziel ist der arrogante Millionär Salinas (David Buck). Eines Tages erhält Caine alias Clarke im Sanatorium überraschenden Besuch: Fé Moreau (Ralli), eine geheimnisvoll-rassige Schönheit, möchte ihn überreden, gemeinsam mit ihr und ihrem Mann Richard (Portman) einen Coup durchzuziehen. Clarke ziert sich ein wenig, erliegt dann jedoch Fés Charme und steigt ein. Um sich auf den ganz großen Raub vorzubereiten, plant das Trio, zunächst einmal ein ähnlich pompöses Anwesen auszurauben. Was sehr vernünftig klingt und uns eine waghalsig durchkomponierte, an Topkapi gemahnende Sequenz beschert, in welcher John Barry das von ihm komponierte »Romance for Guitar and Orchestra« persönlich dirigiert — eine offensichtliche Hommage an Hitchcocks The Man Who Knew Too Much. Es ist die eindrucksvollste Szene des gesamten Films und dauert packende 23 Minuten.
Aller Spannungselemente zum Trotz interessiert sich »Deadfall« vor allem für seine Figuren. Natürlich haben Henry und Fé eine Affäre. Im Schatten der balearischen Steineichen fahren sie in einem offenen Jaguar durch die Gegend. Der klare Himmel küsst am Horizont das Mittelmeer. Der eklatante Altersunterschied zwischen Fé und Richard wirft Fragen auf. Ganz offen thematisiert Bryan Forbes die Homosexualität des Ehemanns und gönnt ihm sogar eine Liebschaft (natürlich off-screen) mit einem knackigen Spanier (Carlos Pierre). Doch damit nicht genug der Geheimnisse und Unehrlichkeiten, mit welchen diese bizarre Ehe durchwoben ist.

Gerry Turpins Kameraführung ist exzellent. Lorenz lobte deren »experimentellen Perspektivwechsel«: »Stets befindet sich die Linse an ungewöhnlichen Punkten, filmt die Charaktere aus der Distanz, zeigt halb verdeckte Gesichter, liegt am Boden, lugt unter dem Schreibtisch hervor oder verbirgt sich im Geäst. Die Zuschauer werden zu Spitzeln, zu Voyeuren. […] ›Deadfall‹ ist kein narratives, sondern ein audio-visuelles Erlebnis.«
Den Dieben geht es nicht um den Reichtum. Die Moreaus haben längst ausgesorgt. Henry wird von einem Triumphgefühl angetrieben. Sein Motor ist es, den sich überlegen fühlenden Reichen ein Schnippchen zu schlagen, ihre geordnete, vermeintlich sichere Welt zu erschüttern. Er will Sicherheitssysteme überlisten und genießt die Gefahr einer jederzeit möglichen Verhaftung. Für Fé und Richard Moreau sind die Raubzüge wie ein Band, das sie verbindet. Sie führen eine offene Ehe — Richard macht die Liaison seiner Gattin mit Henry nichts aus, sie akzeptiert seine schwulen Eskapaden — und stellen ihre Liebe niemals infrage. Beschattet wird ihr Konstrukt von einem dunklen Geheimnis aus Richards Vergangenheit, welches ihn auch nach Jahrzehnten noch belastet und durch die emotionale Belastung durch Henry und die gemeinsamen Vorhaben hervorzubrechen droht.

Im letzten Drittel des Film taucht Nanette Newman auf. In ihrer für die Handlung relativ unbedeutenden Rolle als oberflächliches Dummchen, das Kontakte zur Filmwelt herstellen will, wird sie von ihrem Gatten besonders hübsch in Szene gesetzt, hat es aber sehr schwer, im Schatten von Giovanna Rallis Ausstrahlung und Talent zu bestehen.
Mit »Deadfall« endete nach sechs gemeinsamen Filmen die fruchtbare Zusammenarbeit von Regisseur Forbes und Komponist Barry. Bei seinen folgenden Arbeiten bediente sich Forbes der Dienste von Komponisten wie Michael J. Lewis, Stanley Myers und Michael Small.

André Schneider

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