31. Mai 2020

Seit circa einer Woche ist mein neues Buch Es wird schon hell: Ein Corona-Nachtbericht als E-Book zum Superdupersonderpreis von 3,99 Euro verfügbar. Das ist natürlich eine schöne Alternative zum Taschenbuch, auf das man zum Teil zwei Wochen warten muss. Der Kundenservice meines Verlags teilte mir mit, dass coronabedingt nun mehr gelesen wird (was ja an sich sehr gut ist) und sie daher mit den Bestellungen hinterherhinken. Es dauert zurzeit also nicht zwei bis drei Werktage, sondern eher zehn, ehe das Buch versandt wird. Das schreckt die Lesenden natürlich ab. Bislang wurden zwölf Bücher geordert, zwölf weitere habe ich verschenkt. Der Buchladen in meiner Straße, dem ich ein Exemplar geschenkt hatte, meldet sich ebenso wenig zurück wie die etlichen Blogger und Journalisten. Es läuft also sehr, sehr schleppend an, was mich schon etwas betrübt, denn Es wird schon hell: Ein Corona-Nachtbericht ist mir wirklich gut gelungen, und ich halte das Buch für ein gar nicht so unwichtiges Dokument dieser doch ziemlich ungewöhnlichen Zeit. (Eine schöne Randnotiz: Diejenigen, die es gelesen haben, sind begeistert.) Will sagen: Lasst Euch nicht abschrecken, das Buch ist bestellbar — auch bei Amazon —, die Lieferung dauert nur eben etwas länger als normalerweise.

Abgesehen davon treiben mich — wie Euch vermutlich auch — vielzählige Sorgen um. Täglich neue Erkenntnisse über das Virus, die wirtschaftlichen, sozialen, psychologischen und politischen Folgen der Pandemie, die mehr und mehr zutage treten, Horrormeldungen aus den USA, das innerdeutsche Chaos bezüglich der Beschränkungen… Und dann wären da noch die immer unappetitlicher werdenden Verschwörungstheorien. Widerstand 2020 und ähnlich gefährlicher Schwachsinn. Alles in allem zieht’s mir den Magen zu. Natürlich birgt diese Krise auch Chancen. Wir können gestärkt und in neuen Systemen aus dieser Pandemie herauskommen. Doch bis dahin wird noch viel Wasser die Flüsse hinabfließen. Die Hindernisse, die wir zu überwinden haben, sind zahlreich und hoch. Es wird kein Spaziergang, und der Ausgang ist ungewiss. Bis dahin ist es vielleicht ganz schön, dass sich die Radien verringern. Die Entschleunigung tut uns gewiss gut. Mir gefällt, dass die Leute etwas Abstand halten. Ich habe eine wohltuende Bescheidenheit entwickelt und meckere weniger (beispielsweise über meine hässliche Wohnung).

Privat sorge ich mich augenblicklich vor allem um Ian, der einen leichten Schlaganfall hatte, und um Chelito, der mittlerweile beunruhigende Alterserscheinungen zeigt. Beide sind heute, an diesem Pfingstsonntag, wohlauf, aber mir haben die letzten anderthalb Wochen zu schaffen gemacht. Die Schule verlangt jetzt in Rekordzeit neue Nachweise. Die Facharbeit steht an. Arbeitstechnisch gibt es ein paar Veränderungen und, wie allen bekannt sein dürfte, neue Regelungen. Ich möchte zurzeit mit niemandem, der in Schul- oder Kitabüros die organisatorischen Angelegenheiten zu regeln hat, tauschen müssen! Die Kinder allerdings kommen mit allem gut klar und nehmen die Vorschriften problemlos an.
Habe nach längerer Zeit mal wieder »Frühstück bei Tiffany« gelesen und mich über die schöne Sprache (Übersetzung: Hansi Bochow-Blüthgen) gefreut. Auch die Biographie von Albert Finney, die meine Eltern mir zum Geburtstag geschenkt haben, habe ich durch. The Ipcress File habe ich mal wieder gesehen und Marnie auch. Der letzte Kinobesuch liegt fünf Monate zurück. In Sachen Musik habe ich Troye Sivan entdeckt. Jahre zu spät (gefühltermaßen). »Blue Neighbourhood« heißt die CD und ist ein stimmiges Gesamtpaket: grandiose Texte, wundervolle Arrangements, eine tolle Stimme, klare Botschaften, atmosphärisch, anspruchsvoll. Sivan selbst verkörpert eine Queerness, wie ich sie selbst gerne in seinem Alter gehabt hätte. Ich schickte Jo van Nelsen ein paar seiner Songs, und als er Troye Sivan gegoogelt hatte, schrieb er: »Jesus! Sieht der dir ähnlich! Hast du mal eine Samenspende in Australien hinterlegt?« Das war das vielleicht schönste Kompliment seit Jahren.
Habt ein gesundes langes Wochenende und seid gegrüßt,

André

Filmtipp #661: Das Haus der Sünde

Das Haus der Sünde

Originaltitel: Maléfices; Regie: Henri Decoin; Drehbuch: Henri Decoin, Claude Accursi, Mireille de Tissot, Albert Husson; Kamera: Marcel Grignon; Musik: Pierre Henry; Darsteller: Juliette Gréco, Liselotte Pulver, Jean-Marc Bory, Georges Chamarat, Maîthé Mansoura [Mathé Mansoura]. Frankreich 1962.

I put a spell on you…!

Boileau und Narcejac — die Autoren, denen wir Klassiker wie Vertigo und Les diaboliques zu verdanken haben — waren die Verfasser der Romanvorlage zu diesem verhältnismäßig unbekannten kleinen Thriller gewesen, welcher der Regie-Veteran Henri Decoin mit routinierter Hand auf der Atlantikinsel Noirmoutier inszenierte. Es geht um Verführung, Ehebruch, schwarze Magie und Juliette Gréco. Die würdigte in ihren Memoiren den Film nur mit wenigen Zeilen: »Bei der Vorführung des Films ›Maléfices‹ […] im großen Kinosaal des Passagierschiffs bin ich nicht dabei. Ich hatte diesen Polizeifilm ein Jahr zuvor […] gedreht und spiele darin eine seltsame junge Frau, die einen Geparden besitzt. Zwischen Raubtieren funkt es zwangsläufig. Wir beide liebten uns sehr. Es war ein Weibchen und schlief mit mir zusammen in der Garderobe. Der Idee, das Tier auf einem Plattencover mit mir zu verewigen, konnte ich nicht widerstehen. Schließlich hatte es mich als seine Freundin ausersehen. Darauf werde ich immer stolz sein.«

Der damals 28jährige Schweizer Jean-Marc Bory verkörpert in »Maléfices« einen Veterinär namens François Rauchelle, der mit seiner hübschen Frau Catherine (Pulver) auf einer schroffen Insel lebt, welche bei Ebbe kurzzeitig mit dem Festland verbunden ist. Eines Tages wird er gerufen, sich um einen kranken Geparden zu kümmern. Dessen Frauchen, die mysteriöse Myriam Heller (Gréco), hat ein Auge auf den Tierarzt geworfen. Myriam wohnt eine starke Faszination und ein Magnetismus inne, dem sich Dr. Rauchelle nicht erwehren kann — er wird schnell ihr Liebhaber. Sie hat einige Jahre in Afrika gelebt und scheint magische Kräfte zu haben. Noch dazu ist sie äußerst besitzergreifend und sieht nicht ein, ihren Geliebten mit einer anderen Frau zu teilen. Darüber hinaus ist Madame Heller in Besitz einer Statuette, die angeblich über dunkle Zauberkräfte verfügen soll. Plötzlich erkrankt Catherine schwer; kein Arzt scheint ihr helfen zu können…

Das Autorenteam jongliert mit den bewährten Wendungen, die merkwürdigerweise noch immer funktionieren und »Maléfices« zu einem hübschen Spannungswerk machen. Neben dem superb agierenden Hauptdarsteller-Trio — besonders Lilo Pulver glänzt in ihrer dramatischen Rolle! — sieht man Charakterköpfe wie Jacques Dacqmine, Robert Dalban, Marcel Pérès, Jeanne Pérez und Georges Chamarat von der Comédie Française in den Nebenrollen. Gréco ist als zwielichtige femme fatale sehr gut ihrem Typ entsprechend besetzt, und der Gepard ist eine echte Augenweide. So ist und bleibt »Maléfices« ein unterhaltsam-kurzweiliges Stück Kino, wennschon er nicht die Finesse eines Hitchcock– oder Clouzot-Films hat. Die DVD ist als Import aus Frankreich problemlos erhältlich.
Übrigens entstand 1990 unter dem Titel »Das Geheimnis des gelben Geparden« fürs deutsche TV ein unsägliches Remake — Regie: Carlo Rola — mit Iris Berben, Pierre Malet und der unvergessenen Susanne Lothar in den Hauptrollen.

Anmerkung: Leider ist der heutige Filmtipp so unbekannt, dass kein Poster in guter Qualität aufzufinden war. Das, was Ihr hier seht, ist das beste, was ich auftreiben konnte.

André Schneider

Filmtipp #660: Sie nannten ihn Rocca

Sie nannten ihn Rocca

Originaltitel: Un nommé La Rocca; Regie: Jean Becker; Drehbuch: Jean Becker, José Giovanni; Kamera: Ghislain Cloquet; Musik: Claude Normand; Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Christine Kaufmann, Pierre Vaneck, Béatrice Altariba, Nico. Frankreich/Italien 1961.

Ein handwerklich sauberer, aber in seiner Gänze doch unspektakulärer kleiner Krimi, der aufgrund seiner illustren Besetzung doch sehenswert bleibt. Jean Becker, Sohn des 1960 verstorbenen Regie-Stars Jacques Becker, gab mit diesem Werk seinen Einstand als Filmemacher; bis 2018 folgten noch 14 weitere Kinofilme, von denen »L’été meurtrier« (1983, mit Isabelle Adjani), »Les enfants du marais« (1999) und »Dialogue avec mon jardinier« (2007, mit Daniel Auteuil) die bekanntesten sein dürften. »Un nommé La Rocca«, auf den Wogen der nouvelle vague schwimmend, wurde seinerzeit von der französischen Presse positiv angenommen, fand im Ausland allerdings kaum Beachtung. Ausgerechnet der Autor der Romanvorlage, José Giovanni, war mit Beckers Umsetzung so unzufrieden, dass er sein Buch 1972 unter dem Titel »La scoumoune« noch einmal verfilmte — wieder mit Belmondo in der Hauptrolle.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die Freundschaft zwischen zwei Ganoven. Xavier Adé (Vaneck) sitzt für einen Mord, den er nicht begangen hat, im Gefängnis. Alarmiert von Maude (Altariba), einer befreundeten Prostituierten, will ihn sein Freund Roberto (Belmondo), von allen La Rocca genannt, befreien und landet dafür ebenfalls hinter Gittern. Gegen Straferlass nehmen die beiden Kumpels an einem Minenräumkommando teil. Dabei verliert der arme Xavier einen Arm. La Rocca ist verliebt in Xaviers Schwester Geneviève (Kaufmann); nach überstandenem Unglück will er für sie und sich eine kleine Farm kaufen und ein neues, ruhiges Leben beginnen. Eine brutale Auseinandersetzung mit anderen Gangstern macht dieses Vorhaben zunichte. Geneviève stirbt bei einem Schusswechsel. Die Freundschaft zwischen Xavier und La Rocca ist damit vorbei.

In klarem, dunklen Schwarzweiß fotografiert, punktet »Un nommé La Rocca« vor allem mit seinen pittoresken Außenaufnahmen, die in Marseille entstanden. In Nebenrollen sind Charakterköpfe wie Dominique Zardi, Claude Piéplu, Michel Constantin, Jean Gras, Jean-Pierre Darras und Mario David zu sehen.
Und mit diesem Film wünsche ich Euch einen angenehm entspannten Herrentag!

André Schneider