Zwischen Nebenjob und Schlafphasen, Kopfschmerzattacken und gelegentlichen Treffen mit Freunden fristet mein Mitteilungsdrang weiterhin ein eher zurückgedrängtes Dasein. Wir wirbeln bereits im One Deep Breath-Strudel; Antony und Manu waren vergangene Woche in Nizza, um »Little Gay Boy« vorzustellen, und natürlich wird in den Interviews auch ausgiebig über den neuen Film gesprochen. Wir alle sind zum Stillschweigen gemahnt, aber soviel darf ich wohl verraten: Die Festivals reißen sich bereits um unser Baby, und wir sind stolz wie Bolle.
Viele soziale Kontakte habe ich augenblicklich nicht. Ein angeregtes Gespräch mit einer charmanten Facebook-Bekanntschaft im Soupanova vor zwei Wochen war somit ein einsamer Höhepunkt im April, und am 16. traf ich C. aus Paris zum Cupcake-Essen in der Nähe vom Boxhagener Platz. C. ist einer jener Menschen, zu denen ich auf Anhieb eine ganz tiefe und gänzlich unerotische Verbindung spürte. Am 15. Februar 2000 sah ich ihn zum ersten Mal. Im Haus der Kulturen der Welt war das gewesen, eine Praunheim-Filmpremiere, und C. machte dort eine Performance mit Bridge Markland. Wir trugen ein ähnliches Hutmodell, schauten einander kurz und verwundert an — das war’s. Vor drei Jahren ungefähr kreuzten sich unsere Wege bei Facebook. Gute »Gespräche«, und seit letztem Jahr schreibe ich über ihn. Getroffen haben wir uns seither leider nur zwei viel zu kurze Male, aber die waren durchaus prägend für mich. C. liefert mir Denkanstöße, lässt mich meine Aktionen und Reaktionen hinterfragen, stärkt mein Selbstbewusstsein, ohne mir blind zu schmeicheln. Das würde mich eh skeptisch machen. Nein, er schont mich nicht, ist klipp und klar. Er ist ein »guter Mensch«, ohne ein Gutmensch — um diese unsägliche Wortschöpfung ein einziges Mal zu verwenden — zu sein. Er hat einen hervorragenden Geschmack, ist gebildet und wortgewandt. Seinen vorzüglichen Kontakten ist es zu verdanken, dass ich endlich einen fähigen Medienanwalt habe, der mich künftig beraten wird. — Über unseren zuckersüßen Cupcakes führten C. und ich lustige Gespräche über den Schlutt, den Zerfall dieser maroden Hauptstadt und Musik. Kurz streiften wir auch Gabriel García Márquez und dessen »Erinnerung an meine traurigen Huren«; am nächsten Morgen hörte ich im Radio, dass Márquez in der Nacht in Mexiko gestorben sei. 87 war er und demenzkrank. Ich gebe zu, »Hundert Jahre Einsamkeit« nie gelesen zu haben. Als Teenager gefielen mir »Chronik eines angekündigten Todes« und »Die Liebe in Zeiten der Cholera«, heute haben es mir seine Zwischenwerke angetan: »Die unglaubliche und traurige Geschichte von der einfältigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter« oder seine Kurzgeschichten (besonders »Ein sehr alter Herr mit riesengroßen Flügeln« und »Das Licht ist wie das Wasser«). Die »Erinnerung an meine traurigen Huren« ist und bleibt mir jedoch die schönste unter seinen Arbeiten; ich glaube, ich habe 2006 oder 2007 einmal ausführlich darüber geschrieben, ich werde mal in meinem Archiv stöbern.
Meine London–Termine musste ich erneut verschieben; hoffentlich klappt es Ende Mai. Ostern habe ich gearbeitet; der neue Artikel für die »Männer« musste fertig werden, dann der Großputz am Ostermontag, bevor meine Schwester mich besuchen kam. Am Freitag dann fing ich an, What Spring Does with the Cherry Trees zu schneiden. Auf dem Weg zum Schnittplatz kam mir in der Nähe des Potsdamer Platzes Herr Biermann entgegengeradelt, aber ich glaube, er hat mich nicht erkannt.
Startet gut in die Woche, wir lesen uns im Mai wieder.
André