28. April 2014

Sexy Sitzgelegenheit vor der Markthalle IX in Kreuzberg.

Sexy Sitzgelegenheit vor der Markthalle IX in Kreuzberg.

Zwischen Nebenjob und Schlafphasen, Kopfschmerzattacken und gelegentlichen Treffen mit Freunden fristet mein Mitteilungsdrang weiterhin ein eher zurückgedrängtes Dasein. Wir wirbeln bereits im One Deep Breath-Strudel; Antony und Manu waren vergangene Woche in Nizza, um »Little Gay Boy« vorzustellen, und natürlich wird in den Interviews auch ausgiebig über den neuen Film gesprochen. Wir alle sind zum Stillschweigen gemahnt, aber soviel darf ich wohl verraten: Die Festivals reißen sich bereits um unser Baby, und wir sind stolz wie Bolle.
     Viele soziale Kontakte habe ich augenblicklich nicht. Ein angeregtes Gespräch mit einer charmanten Facebook-Bekanntschaft im Soupanova vor zwei Wochen war somit ein einsamer Höhepunkt im April, und am 16. traf ich C. aus Paris zum Cupcake-Essen in der Nähe vom Boxhagener Platz. C. ist einer jener Menschen, zu denen ich auf Anhieb eine ganz tiefe und gänzlich unerotische Verbindung spürte. Am 15. Februar 2000 sah ich ihn zum ersten Mal. Im Haus der Kulturen der Welt war das gewesen, eine Praunheim-Filmpremiere, und C. machte dort eine Performance mit Bridge Markland. Wir trugen ein ähnliches Hutmodell, schauten einander kurz und verwundert an — das war’s. Vor drei Jahren ungefähr kreuzten sich unsere Wege bei Facebook. Gute »Gespräche«, und seit letztem Jahr schreibe ich über ihn. Getroffen haben wir uns seither leider nur zwei viel zu kurze Male, aber die waren durchaus prägend für mich. C. liefert mir Denkanstöße, lässt mich meine Aktionen und Reaktionen hinterfragen, stärkt mein Selbstbewusstsein, ohne mir blind zu schmeicheln. Das würde mich eh skeptisch machen. Nein, er schont mich nicht, ist klipp und klar. Er ist ein »guter Mensch«, ohne ein Gutmensch — um diese unsägliche Wortschöpfung ein einziges Mal zu verwenden — zu sein. Er hat einen hervorragenden Geschmack, ist gebildet und wortgewandt. Seinen vorzüglichen Kontakten ist es zu verdanken, dass ich endlich einen fähigen Medienanwalt habe, der mich künftig beraten wird. — Über unseren zuckersüßen Cupcakes führten C. und ich lustige Gespräche über den Schlutt, den Zerfall dieser maroden Hauptstadt und Musik. Kurz streiften wir auch Gabriel García Márquez und dessen »Erinnerung an meine traurigen Huren«; am nächsten Morgen hörte ich im Radio, dass Márquez in der Nacht in Mexiko gestorben sei. 87 war er und demenzkrank. Ich gebe zu, »Hundert Jahre Einsamkeit« nie gelesen zu haben. Als Teenager gefielen mir »Chronik eines angekündigten Todes« und »Die Liebe in Zeiten der Cholera«, heute haben es mir seine Zwischenwerke angetan: »Die unglaubliche und traurige Geschichte von der einfältigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter« oder seine Kurzgeschichten (besonders »Ein sehr alter Herr mit riesengroßen Flügeln« und »Das Licht ist wie das Wasser«). Die »Erinnerung an meine traurigen Huren« ist und bleibt mir jedoch die schönste unter seinen Arbeiten; ich glaube, ich habe 2006 oder 2007 einmal ausführlich darüber geschrieben, ich werde mal in meinem Archiv stöbern.
     Meine LondonTermine musste ich erneut verschieben; hoffentlich klappt es Ende Mai. Ostern habe ich gearbeitet; der neue Artikel für die »Männer« musste fertig werden, dann der Großputz am Ostermontag, bevor meine Schwester mich besuchen kam. Am Freitag dann fing ich an, What Spring Does with the Cherry Trees zu schneiden. Auf dem Weg zum Schnittplatz kam mir in der Nähe des Potsdamer Platzes Herr Biermann entgegengeradelt, aber ich glaube, er hat mich nicht erkannt.
     Startet gut in die Woche, wir lesen uns im Mai wieder.

André

Filmtipp #200: The King of Comedy

The King of Comedy

Originaltitel: The King of Comedy; Regie: Martin Scorsese; Drehbuch: Paul Zimmerman; Kamera: Fred Schuler; Musik: Robbie Robertson; Darsteller: Robert De Niro, Jerry Lewis, Diahnne Abbott, Sandra Bernhard, Tony Randall. USA 1983.

the king of comedy

Robert De Niro war nie so gut wie in dieser gallig-bösen Satire, dem vielleicht besten Film Martin Scorseses, der aus unerfindlichen Gründen bis heute im Vergleich eher unbekannt geblieben ist. Die tragikomische Bestandsaufnahme der US-amerikanischen Medienrealität war Anfang der 1980er seiner Zeit wohl ein wenig voraus und legte, obwohl für fünf BAFTAs nominiert, eine Bruchlandung an den Kinokassen hin — nach den beiden Knüllern »Taxi Driver« (1976) und »Raging Bull« (1980) ein herber Rückschlag für das erfolgsverwöhnte Team von Regisseur Scorsese und Schauspieler De Niro. 30 Jahre später sind die Medien noch um Längen geschmackloser und brutaler, als Drehbuchautor Zimmerman, einem ehemaligen »Newsweek«-Kritiker, und Scorsese sie im »King of Comedy« portraitiert hatten.
Der von De Niro gespielte Rupert Pupkin ist ein Niemand, ein Mann ohne Eigenschaften, doch er hält sich für den kommenden Superstar am TV-Himmel. Er träumt den immergrünen amerikanischen Traum: einmal ganz oben stehen, berühmt sein und jene, die einst über ihn spotteten, neidisch machen. Um an sein Ziel zu gelangen, sucht er den Kontakt zum amtierenden König der nächtlichen Plaudersendungen, Jerry Langford (virtuos gespielt von Comedy-Urgestein Jerry Lewis), doch dieser erweist sich als zickig und unkooperativ und lässt Rupert wiederholt vom Sicherheitsdienst aus seinem Büro komplimentieren. Doch Rupert schickt weiterhin hartnäckig seine mediokren Demobänder an Jerrys leidgeprüfte Sekretärin (Shelley Hack, The Stepfather) und sitzt des Nachts vor einer Fototapete, die ein lachendes Publikum abbildet, und unterhält sich mit Stars wie Liza Minnelli, die als ausgeschnittene Pappfigur neben ihm sitzt. Eines Tages schließlich platzt ihm der Kragen: Zusammen mit seiner ebenso reichen wie verrückten Freundin Masha (Sandra Bernhard), die ihrerseits unsterblich in Langford verknallt ist und ihn seit langem schon belästigt, entführt er den beliebten Entertainer, um einen Auftritt in dessen TV-Show zu erzwingen. Alles verläuft nach Plan, und nach seiner (nicht gerade unpeinlichen) Darbietung wird er verhaftet. Im Gefängnis schreibt er seine Memoiren, die zum Bestseller avancieren, und als er vorzeitig aus der Haft entlassen wird, bekommt er das, was er immer wollte: seine eigene Fernsehshow.

Es geht um die schamlose Ausbeutung von Träumen — Bohlen, Klum und Co. lassen grüßen — und um das Auseinanderklaffen von Illusion und Realität — nicht nur im Showbusiness. Rupert Pupkin ist so kontur- und charakterlos, dass sich keiner auch nur seinen Namen merken kann: Pimkin? Pumpkin? Er selbst jedoch ist dem Wahn erlegen, das Supertalent zu sein, auf das die Welt gewartet hat. Das, was die Showgrößen im Fernsehen können, kann er schon lange. Das muss man nicht lernen. Er, Rupert Pupkin, muss nicht in kleinen Nachtclubs auftreten, sein Handwerk lernen, sich bewähren. Nein, er will sofort berühmt sein, koste es, was es wolle. Er bewundert Langford nicht wirklich — er will Langford sein, ihn vom Thron stoßen. Die harte Arbeit, die hinter der Legende Jerry Langford steht, sieht er nicht. Und Langford? Der ist im Grunde ein zutiefst einsamer Mensch, dem das Business schon lange auf die Nerven geht, der nachts allein und mürrisch vorm Fernseher hockt, am Tag von Fans verfolgt wird und seinen Humor inzwischen auf Autopilot fahren lässt. — Nein, herzhaft lachen kann man beim »King of Comedy« trotz der zum Teil urkomischen Szenen kaum, dafür ist der Kern des Ganzen zu traurig. Ein besonders tragisches Opfer des Medienwahns ist die Stalkerin Masha — Sandra Bernhard erhielt für ihr ergreifendes Spiel in ihrem Filmdebüt den Preis der New Yorker Kritikergilde —, die sich von einer eventuellen Beziehung mit dem alternden TV-Star Langford wohl vor allem die Anerkennung und Aufmerksamkeit erhofft, die ihr, dem hässlichen Entlein, als Kind von den Eltern versagt blieb.
Der Regisseur J. Lee Thompson (Eye of the Devil, Taras Bulba) schwärmte von »The King of Comedy« und nannte ihn gar »einen der besten Filme, die jemals gedreht wurden«. Deshalb empfand er es als eine Ehre, dass Scorsese und De Niro Anfang der Neunziger ein Remake seines Klassikers Cape Fear beschlossen. Der Komiker Jack Black seinerseits visiert schon seit Jahren eine Neuverfilmung von »The King of Comedy« an, ein Unterfangen, für das es mittlerweile zu spät sein dürfte. Spätestens seit dem Internet, seit den Reality-Formaten und den vielen, vielen Stars, die keine sind — »The actors nowadays are celebrities, not stars«, sagte Tippi Hedren 2011 bei einer Gala für Sophia Loren und traf damit den Nagel auf den Kopf — hat sich das Sujet im Grunde erledigt.
Die Dreharbeiten zu »The King of Comedy« begannen im Juni 1981 in Manhattan und zogen sich ungewöhnlich lange hin. Scorsese hatte zu jener Zeit massiv mit seiner Kokainsucht, dem Zerbröseln seiner Ehe mit Isabella Rossellini und einer langwierigen Lungenentzündung zu kämpfen. Im Mai 1983 schließlich eröffnete der Streifen die Filmfestspiele in Cannes.

André Schneider

 

Filmtipp #199: West Side Story

West Side Story

Originaltitel: West Side Story; Regie: Robert Wise, Jerome Robbins; Drehbuch: Ernest Lehman; Kamera: Daniel L. Frapp; Musik: Leonard Bernstein; Darsteller: Natalie Wood, Richard Beymer, Russ Tamblyn, Rita Moreno, George Chakiris. USA 1961.

west side story

»West Side Story« wurde uns seinerzeit in der Schule aufgezwungen. In der neunten oder zehnten Klasse mussten wir uns den Schinken im Englischunterricht bei Mr. MacEwen anschauen. Da sich der Film über satte 146 Minuten ausbreitet, zog sich das Vergnügen über mehrere Schulstunden hin. Ich erinnere mich lebhaft, wie wir uns über Natalie Woods grausam schlecht imitierten hispanischen Akzent lustig machten (»Oh bblease, ledd idd nodd be ddrrue!«) oder uns über den bittersüß-zäh vor sich hintriefenden Kitsch mokierten. Aber, und ich glaube, da trügt mich mein Gedächtnis nicht, wir waren allesamt hin und weg von Leonard Bernsteins Musik. Inga Wiechmanns Eltern hatten den Soundtrack auf Schallplatte, sie nahm ihn mir auf Kassette auf, und ich hörte sie jeden Morgen auf dem Weg zur Schule im Walkman. Es waren ja gut und gerne 20 Minuten Radfahrt bis nach Himmelsthür.
Oft schaute ich mir »West Side Story« nicht mehr an, nach jener Zeit im Englischunterricht vielleicht noch zwei- oder dreimal. Die Laufzeit schreckt mich ab. Aber natürlich, und das weiß ich heute besser als damals, ist der Film nicht ohne Grund einer der ganz, ganz großen Klassiker seines Genres. Nicht umsonst wurde er mit zehn Oscars überhäuft. Und Natalie Wood spielt zwar amateurhaft-übel, ist aber so entzückend und hübsch, dass man gerne Nachsicht walten lässt. Überhaupt ist »West Side Story« ein herrlicher Augen- und Ohrenschmaus. Einmal in seinem Leben sollte man dieses opulente Mahl wenigstens genossen haben.

Wer Shakespeares »Romeo und Julia« kennt, kennt im Prinzip auch die Geschichte von »West Side Story«. Arthur Laurents hatte den Schauplatz lediglich von Verona der frühen Renaissance in das New York der Gegenwart verlegt. Auf der West Side Manhattans kämpfen zwei Jugendbanden um die Vorherrschaft im Viertel: die »Jets« formieren sich aus weißen Amerikanern, die »Sharks« bestehen aus puertoricanischen Einwanderern. Auf einer Tanzveranstaltung, die die rivalisierenden Gangs einander näher bringen soll, verliebt sich Tony (Beymer), ein Ex-Mitglied der »Jets«, in Maria (Wood), die liebreizende Schwester des »Sharks«-Anführers Bernardo (Chakiris, The Big Cube). Zunächst versuchen die beiden, um ihrer Liebe willen den Streit zwischen den Parteien zu schlichten, doch der blinde Hass der Jugendlichen scheint unüberbrückbar. Nach einem blutigen Kampf stirbt Tony am Ende in Marias Armen.
Sechs Millionen Dollar kostete der Spaß, die erfolgreiche Broadway-Show, die 1957 ihre Uraufführung erlebt hatte, auf die Leinwand zu bringen. Die Idee zu dem Stück stammte von dem Choreographen und Regisseur Jerome Robbins, der auch die Kinoversion inszenieren sollte. Künstlerische Dispute mit Robert Wise führten allerdings dazu, dass Robbins schon kurz nach Beginn der Dreharbeiten entlassen wurde. So oblagen schließlich nur die aus dem Helikopter aufgenommene, acht Minuten dauernde Anfangssequenz sowie die Nummern »America«, »I Feel Pretty« und »Cool« seiner alleinigen Gestaltung.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Filmmusicals, die auf einem Bühnenerfolg basieren, blieb es »West Side Story« erspart, Originalsongs einbüßen zu müssen; sämtliche Kompositionen Bernsteins blieben erhalten, die Umstellung einiger Lieder hielt Drehbuchautor Ernest Lehman allerdings für unumgänglich. Interessant ist, dass gerade die Hauptdarsteller ihre Stücke nicht selbst interpretierten, sondern beim Gesang gedoubelt wurden: Marni Nixon, die später Audrey Hepburn für »My Fair Lady« (Regie: George Cukor) ihre Stimme lieh, sang für Natalie Wood, Jim Bryant tat dies für Richard Beymer, und Rita Moreno (The Night of the Following Day), die für ihre Nebenrollen-Leistung mit einem Oscar belohnt wurde, wurde von Betty Wand synchronisiert. Von den fünf Hauptdarstellern sangen und tanzten lediglich George Chakiris und Russ Tamblyn selber.
Kürzlich wurde laut, dass sich ausgerechnet Steven Spielberg um ein Remake des Streifens bemüht. Das ist ein ähnlicher Irrwitz wie die Nachricht, dass Michael Bay »The Birds« (Regie: Alfred Hitchcock) neu verfilmen will. Kann sie bitte jemand stoppen?

André Schneider