22. März 2017

Frühling in Paris.

»Love is never wasted even when it does’t last.« — Panmelys’ Satz, so wunderbar einfach, so klar in seiner Schlichtheit, hat mich nicht verlassen. Er steht ganz vorne in meinem Kalender. Ein Leitspruch. Am Sonntag nehme ich den ersten Flieger von Schönefeld nach Orly. Am Nachmittag werde ich Panmelys wiedersehen. Shakespeare & Company, 16 Uhr, Mad Hatter’s Tea Party. Den Abend werde ich mit Martin verbringen. Ich wohne diesmal wieder in der Rue de Charenton.
Bin nun frisch erblondet. Die freundliche Friseurin riet mir zu Strähnchen, da sähe es nicht ganz so fies aus, wenn es herauswächst. Auch haben wir einen etwas natürlicheren Farbton gewählt. Es ist ja so: Der Dreh wird für mich nur einen Tag dauern, mit der Farbe werde ich noch Wochen, wenn nicht gar Monate leben müssen. Ich bin auch kein Tab Hunter oder Werner Pochath.
Die Woche in Paris ist bereits getaktet. Am 29. hat Sania Yenbou mit ihrer neuen Show im L’Équinox Premiere. Alexandre Vallès hat Regie geführt.

Freya Mavor.

Mir gruselt’s vor dem ersten Arbeitstag heute. Seit Tagen schon habe ich Kopfschmerzen und einen klobig-schweren Kloß im Magen, wenn ich an die Kanzlei denke. Habe mich abgelenkt mit schönen Filmen und YouTube. Dieser Markus Barth ist wirklich witzig und geistreich und sexy. Camille Paglia hat ein neues Buch veröffentlicht, das ich mir hoffentlich im April oder Mai werde leisten können. Freya Mavor war meine Entdeckung der letzten Wochen; mir fehlen die Worte. Während langer Spaziergänge zermarterte ich mir den Schädel mit Fragen nach der filmischen Zukunft, so es denn eine geben sollte. Sur les traces de ma mère sitzt mir immer noch in den Knochen. Optimale hat uns wissen lassen, dass »Bd. Voltaire« nicht ihren Vorstellungen entspricht — weil der Film schwarzweiß ist; lachhaft. Dann noch der Alptraum von 2009 bis 2011, der sich bis heute nie ganz abschütteln ließ. Kleine, spitze Steinchen, die wuchtig gegen das Schienbein krachen. Blaue Flecke überall. Wann immer ich über einer neuen Filmidee brüte, erinnert sich der Körper wie von selbst an die Schmerzen und bremst die Ideenmühle aus. Noch vor wenigen Wochen war ich komplett im Reinen mit mir, mehr als d’accord damit, künftig erst einmal »nur noch« zu schreiben. Wieso dieser Wandel? Ist es die Erinnerung an diesen Traum, diesen ungewissen Plan, vor der 40 einen guten Thriller zu drehen? Torschlusspanik? Wenn ich eine Liste meiner Filme machte, wie viele könnte ich mit einem Sternchen versehen? Und würde mich das traurig machen? Gewiss. Immerhin, und das ist das Gute, kann ich zu allem stehen. Zu dem Zeitpunkt, als ich diese Filme machte, gab ich immer mein ganzes Herz hinein, und dass das Ergebnis meist nicht dem entsprach, was ich geplant, erwartet, geschrieben hatte, lag nicht immer nur an mir. Der Vorteil des Schreibens ist, dass man diesbezüglich unabhängiger ist, eigenverantwortlicher, freier. Man ist Pflanze und Gießkanne in einem. Bei einem Dreh sind viele Gärtner am Werk, und das ist nicht immer gut, es schleichen sich auch Wichtigtuer ein, die gar keinen grünen Daumen haben, und die anderen müssen deren Dilettantismus abwehren, auffangen, ausbaden.
Ich würde gerne wieder Musik machen — doch wann, mit wem, wie und was? Mit Anna Morley würde ich gerne. Nach wie vor auch mit Thorsten. Léonard versprach mir 2015 noch eine gemeinsame CD. Alles Träume aus einer fernen Galaxie, Lichtjahre entfernt.

So sehr ich meine Wohnung auch liebe: Ich wäre mehr als bereit, Berlin hinter mir zu lassen. Wie sagte Carrie Getman in Sur les traces de ma mère doch so schön: »Berlin is so passé.« — Diesen Satz schrieb ich bereits vor drei Jahren. Seit ein paar Tagen liebäugele ich mit Schloss Weitersroda, da sind noch Zimmer frei. Brüssel ist komischerweise auch noch im Rennen. Es gab ein Jobangebot in der Nähe von Freiburg, da könnte ich sogar nach Strasbourg ziehen. Hamburg wäre natürlich schön. Oder Schleswig-Holstein. Man sagt ja, man solle mit 39, 40, 41 noch einmal einen Neuanfang versuchen.
Gestern kamen regelrechte Fluten vom Himmel, gegen Abend hagelte es sogar. Jetzt ist der Himmel blau, strahlend hell. Frühling. Und in einer Stunde muss ich aufbrechen, jetzt ist Schluss mit dem Gejammere.
Kommt gut durch den Mittwoch,

André

18. März 2017

Der Urlaub neigt sich seinem Ende zu. Die Frustration über das, was ich nicht geschafft habe, wächst. Gut, dass Ian gerade in München ist, sonst müsste er meinen Groll vermutlich ausbaden. Als ob mein schlechtes Gewissen mir nicht schon genug aufbürdete. Mein Roman ruht, an meiner Auftragsarbeit habe ich zuletzt vor über einer Woche geschrieben, ein begonnenes Drehbuch stiert mich leerseitig an. Wenn man schon nicht produktiv ist, könnte man doch wenigstens die freien Tage genießen, möchte man meinen. Nein, kann man nicht. Man strampelt im Hamsterrad des Teufelskreises. Am Dienstag ist mein Friseurtermin für »Frig«. Blonder Scheitel plus Schnurrbart. Mir graut vor den Sprüchen meines Chefs, wenn ich tags darauf so in der Kanzlei sitzen werde.
Am 11. und am 15. habe ich mir Konzerte von Anna Morley angeschaut. Vibraphon und Cello. Unbeschreiblich schön und stimmungsvoll. Darüber hinaus hat mir der gestrige Abend im Nuke Club gezeigt, dass auch in Berlin ein internationales Stand-up gepflegt wird. Comedians aus Syrien, dem Iran, Kanada und den USA waren vertreten. Coole Moderation, tolle Bühne, guter Abend. Heute früh schüttete es wie aus Eimern, dann blies ein starker Wind die Wolken weg und ließ abgeknickte Zweige auf die Gehwege rieseln. Mein Hut flog beinahe weg, Chelito sah mich vorwurfsvoll an. Gleich ist es 22 Uhr. Ich glaube, ich schaue mir noch »Le goût des merveilles« (Regie: Éric Besnard) an. Wenn ich es noch schaffen sollte, vielleicht auch »The Shawshank Redemption« (Regie: Frank Darabont), den ich tatsächlich noch nie gesehen habe. Ja, die Idee ist gut. Und vielleicht schaffe ich es ja morgen und übermorgen noch, ein wenig zu schreiben. Falls nicht, würde ich mir wünschen, dass ich den Hebel im Kopfe umlegen und loslassen kann, damit ich innerlich ein wenig zur Ruhe komme.
Gute Nacht allerseits,

André