Chelito schnarcht so laut, dass ich nicht mehr schlafen kann. Es ist noch nicht fünf Uhr. Die Regenfälle, die uns seit Donnerstag in Abständen heimsuchen, haben für Abkühlung gesorgt. Mein Morgentee steht vor mir, ich begehe meine letzte freie Woche, bevor ich kommenden Montag die neue Stelle antrete. Hinter mir liegen zwei Monate des Krankseins, die ich besser hätte für mich nutzen können und sollen. Der Verdruss darüber schlägt unversehens in die Depressions-Kerbe, so dass ich mich weigere, tiefer darüber nachzudenken. Immerhin radle ich jeden zweiten Tag diszipliniert ins Sportstudio und warte geduldig (und bislang vergeblich) darauf, dass endlich die versprochenen Endorphine ausgeschüttet werden und/oder sich im Bereich der Gewichtsreduktion etwas tut.
Vorgestern waren wir in Friedrichshagen. Ich war überrascht, wie schön es dort ist. Wir haben uns regelrecht verliebt in die hübschen Häuser, die charmante Einkaufsstraße, das Grün, den See. Die Mieten dort sind erschwinglich. Schade, dass man so schlecht angebunden ist. Ohne Auto und mit einem Job in der Innenstadt ist das sehr unbequem. Chelitos linkes Hinterbeinchen macht ihm Probleme. Die Kniescheibe rutscht immer wieder raus. Es täte nicht weh, meinten die beiden Tierärzte unabhängig voneinander, und es sei auch eine ganz übliche Geschichte bei älteren Terriern, aber es sieht erbärmlich aus, und man merkt, dass es den Kleinen nervt, nicht mehr so schnell voranzukommen. Abends massiere ich ihm regelmäßig die Beinchen und versuche, die Kniescheibe durch vorsichtiges Strecken des Beines wieder an ihren Platz zu schieben. Das funktioniert meistens, aber leider nur für kurze Zeit. Dennoch: Gemessen an diesen Altersmaläsen hält sich unser kleiner Gefährte ganz wacker und spaziert immer noch vier, fünf Stunden problemlos mit. In einem niedlichen kleinen Buchladen in Friedrichshagen kaufte Ian mir eine Kinderbuch-Ausgabe vom »Sommernachtstraum« mit leuchtend-schönen Illustrationen von Almud Kunert und machte mir damit eine Riesenfreude. Leider macht mir augenblicklich sonst kaum etwas Spaß, ich freue mich so gut wie gar nicht auf oder über etwas und weiß nicht, wie ich diesen Zustand ändern soll. Wenn der neue Nebenjob erst angetreten ist, denke ich, wird sich vieles ändern, klären, verbessern. Bis dahin bin ich Treibgut auf einem See aus Zeit, die ich respektlos verschwende. Alles in allem fühle ich mich merkwürdig taub. Gestern, am Sonntag, waren wir mit Fadi und Katja brunchen. Nach langer Zeit mal wieder im Morgenland am Görlitzer Bahnhof. Danach versackten wir den Rest des Tages angenehm-gemütlich bei ihnen auf dem Sofa. Abends, als ich Ian zur S-Bahn brachte, sagte er: »Du bist nur noch schlecht drauf«, und ich war zu kraftlos, um ihm zu erklären, was Depressionen sind.
Vorigen Montag — es war der 19. und Ian beruflich am Bodensee — war ich nach Halensee gefahren, um dort ein paar Runden im See zu schwimmen. Ich hatte nicht gewusst, dass es sich um eine FKK-Wiese handelte, und mir stießen die vielen Nackten unangenehm auf. Ganz abgesehen davon, dass ich mich selbst nicht gerne zeige. Das Schwimmen im See und das Fahrradfahren jedoch taten mir gut. — Beim Sport höre ich Hörbücher. Gute Krimis. Aus Hildesheim habe ich ein paar Agatha Christie-CDs mitgebracht, »Das Böse unter der Sonne«, »Die Tote in der Bibliothek«, »Mord im Orientexpress« und so weiter. Mit Hörbüchern komme ich derzeit besser zurecht als mit Filmen, obwohl wir es uns dieser Tage mit Murder at the Gallop, Bluebeard’s Eighth Wife und »Where Horses Go to Die« (Regie: Antony Hickling) vorm Fernseher gemütlich machten. Filme sind mir gerade nichts. Immerhin: Der Tod Helmut Kohls gab Anlass, sich online ein paar Dokumentationen und Interviews anzuschauen. Auf dem Altar seiner Karriere opferte der Ex-Kanzler seine Freunde, seine Familie und auch seine eigene Integrität als Politiker. Die Biographien seiner Frau Hannelore — eine lebenskluge, gebildete, starke Frau! — und seiner Söhne sprechen Bände. Die Geschmacklosigkeit mit der zweiten Ehefrau — die auf Facebook schon die Yoko Ono der CDU genannt wird und gruselig an Annie Wilkes aus Misery erinnert — ist letztendlich eine logische Konsequenz der Entwicklungen und nicht viel mehr als das Sahnehäubchen auf der Grütze gewesen. Bette Davis sagte mal sehr schön: »Über den Toten nur Gutes? Wieso das denn? Nur weil sie tot sind, ändern sie doch nicht plötzlich ihren Charakter!« Möge er in Frieden ruhen. Punkt. Aber wo ich gerade bei Bette Davis bin: Désirée Nick und Manon Straché spielen gerade im Theater am Kurfürstendamm »Bette & Joan«; mal schauen, ob ich noch Karten kriege.
Liebe Grüße vom Frühstückstisch,
André