31. Januar 2021

Am Freitag brachte »Spiegel Online« einen formidablen Artikel über einen jungen Kollegen aus Trier, den ich gern teilen möchte, weil er 1:1 wiedergibt, was auch mich in meinem neuen Beruf zurzeit umtreibt. Viel Vergnügen beim Lesen, ich wünsche Euch einen tollen Sonntag,

Euer André

Berufseinstieg als Erzieher: »Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun«
Bericht von Florian Gontek, Spiegel Online, 28. Januar 2021

Obwohl seine Familie Bedenken hatte, machte Lukas Schtschepik eine Ausbildung zum Erzieher. Jetzt sind seine Kollegen und er plötzlich systemrelevant. Trotzdem sorgt er sich um seinen Beruf — nicht nur wegen Corona.

Lukas Schtschepik. Foto © by Privat

Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend — und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Lukas Schtschepik, 26, hat eine Ausbildung zum Erzieher gemacht und arbeitet jetzt in einer Kita in Trier. Corona hat seinen Arbeitsalltag verändert — auch weil er sich selbst mit dem Virus infiziert hat.

»›Machst du was Lockeres, machst du mal Kindergarten.‹ Das war so ziemlich mein erster Gedanke, als ich nach dem Abi darüber nachdachte, ob Erzieher der richtige Beruf für mich sein könnte. Von ›Systemrelevanz‹ war damals, im Sommer 2013, noch nicht die Rede. Ich stellte mir vor allem zwei Fragen: Habe ich Bock auf den Job? Und: Könnte ich einigermaßen davon leben? Beide Fragen konnte ich mit ›Ja‹ beantworten.

Mir war aber auch klar, dass ich den Beruf erst noch besser kennenlernen musste, bevor ich mich wirklich dafür entscheiden könnte. Deshalb beschloss ich, zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Kindertagesstätte zu machen. Die Erkenntnis, dass die Arbeit als Erzieher alles andere als locker ist, kam dann sehr schnell.

Die Gewissheit, dass es der richtige Beruf ist

Gerade zu Beginn meines FSJ spürte ich noch viel Unsicherheit. Vor allem war da dieses Gefühl, ständig fünf Dinge gleichzeitig machen zu müssen: Während mir das eine Kind von den Erlebnissen am Wochenende erzählte, musste das nächste gewickelt werden, und das dritte hatte Hunger. Mit der Zeit machte mir die Arbeit mit den Kindern aber immer mehr Spaß. Ich hatte das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun — einen Beitrag zu leisten, der nachhaltig und gut für die Gesellschaft ist. Gerade in den ersten Lebensjahren werden so viele Grundlagen dafür gelegt, wie man später denkt und handelt, was für ein Mensch man wird. Den Kindern etwas Gutes mitgeben zu können, ist ein tolles Gefühl, aber auch eine große Verantwortung — das merkte ich schon damals.

Je weiter das FSJ fortschritt, desto klarer wurde mir, wie sehr ich diesen Beruf mag. Als mich eine Kollegin fragte, ob ich mir eine Ausbildung zum Erzieher vorstellen könne, bestätigte mich das nur weiter. Also entschied ich mich im Sommer 2014 für die Ausbildung. Zwei Jahre lang besuchte ich eine private Berufsschule, die aber kostenfrei war; dazu kam ein Praktisches Jahr. Das erste meiner insgesamt drei Praktika absolvierte ich in der Kita, in der ich auch heute arbeite: Zum Ende meiner Ausbildung wurde dort eine Stelle frei, ich bewarb mich und wurde genommen, im Mai 2018 fing ich an.

In der Familie: nur Zahlenmenschen

Zweifel, ob der Beruf der richtige für mich ist, hatte ich nie — im Gegensatz zu meiner Mutter. Eigentlich besteht meine ganze Familie aus Zahlenmenschen: Meine Mutter ist Bankkauffrau, mein Vater arbeitet bei einer Immobilienfirma im Rechnungswesen, mein großer Bruder in einer Fondsgesellschaft. Ich bin der Querschläger, der kleine Sozi. Meine Mutter machte sich die Sorgen, die Eltern sich eben machen: Ist der Arbeitsplatz sicher? Reicht das Geld? Bis heute fragt sie manchmal, ob ich nicht doch noch an die Uni gehen möchte. Das ist für mich aber keine Option. Ich möchte mit Kindern arbeiten. Erzieherin oder Erzieher wird man aus Überzeugung, nicht des Geldes wegen. Was den Job angeht, bin ich in meiner Familie wohl der größte Idealist.

Der gesellschaftliche Status meines Berufs ist längst nicht so hoch wie der anderer Jobs. ›Was machst denn du schon? Du spielst doch den ganzen Tag.‹ So oder so ähnlich reagieren immer mal wieder Menschen, wenn ich davon erzähle, was ich beruflich mache. Erzieherin oder Erzieher zu sein, das ist ein Beruf ohne viel Ansehen. Das merkt man auch an der Bezahlung: Im dritten Ausbildungsjahr habe ich etwa 1.100 Euro netto im Monat verdient, momentan sind es ziemlich genau 1.850 Euro. Eine Aussicht darauf, dass es viel mehr wird, habe ich nicht — außer ich wechsle in den administrativen Bereich. Das ist für mich aber keine Option. Ich möchte mit Kindern arbeiten. Wenn der Preis dafür ist, dass ich weniger Geld verdiene, dann zahle ich den gern.

Die Notbetreuung verändert den Kita-Alltag

Die Corona-Pandemie hat mein Arbeitsleben komplett verändert. Den Kindern zu erklären, dass man sich auf einmal nicht mehr umarmen darf, dass sie Mindestabstände einhalten müssen und das Apfelstück nicht mehr mit der Freundin teilen dürfen, das funktioniert einfach nicht. Gerade bieten wir eine Notbetreuung an: Eltern, die dringend Bedarf haben, geben an, wann sie ihr Kind bringen möchten. Die Diskussionen mit ihnen, das ist gerade ein schmaler Grat. Na klar möchten wir ihnen bei der Betreuung entgegenkommen, wir müssen aber auch schauen, dass die Notbetreuung eine Notbetreuung bleibt und wirklich von der alleinerziehenden Krankenschwester genutzt wird, die keine andere Möglichkeit hat.

Weil die Politik entscheidet, die Kitas nicht komplett zu schließen, setzt sie uns Erzieherinnen und Erzieher bewusst einer Gefahr aus — und dafür bekommen wir in meinen Augen einfach nicht die nötige Wertschätzung. Warum muss ich meine Gesundheit aufs Spiel setzen, wie es auch eine Krankenpflegerin oder ein Krankenpfleger tut, werde aber nicht genauso geschützt und etwa mit Schutzmasken ausgestattet? Man sollte mit gleichem Maß messen.

Ich selbst war in diesem Jahr noch gar nicht arbeiten, weil ich mich vor etwa sechs Wochen mit Corona infiziert habe — wo, das ist nicht klar nachzuvollziehen. Riechen und schmecken kann ich immer noch nicht richtig, beim Spazierengehen muss ich nach kurzer Zeit eine Pause machen. Also: Nehmt dieses Virus bitte einfach ernst! Jede und jeder.

Ich freue mich schon, wenn ich nach meiner Genesung wieder bei den Kindern sein kann. Auch wenn ich mit Sorge auf das schaue, was mit dem Gute-Kita-Gesetz noch auf uns wartet: Die Eltern können dann flexible Zeitkontingente buchen und haben die Möglichkeit, ihre Kinder mindestens sieben Stunden am Stück betreuen zu lassen. Teilweise werden also viel mehr Kinder gleichzeitig da sein, weil theoretisch ja zum Beispiel alle über die Mittagszeit bleiben könnten. Was den Eltern mehr Flexibilität gibt, führt dazu, dass sich unser Alltag mit den Kindern enorm verändert. Einige der Kinder werde ich vielleicht gar nicht mehr sehen; natürlich macht das was mit der Bindung. Und die Belastung für uns Erzieherinnen und Erzieher wird noch einmal deutlicher größer.

Meine Sorge ist, dass es bei dem Gesetz um Quantität geht, die Qualität in der Erziehung aber vergessen wird. Der Beruf entwickelt sich so in eine Richtung, die für viele von uns frustrierend ist. Das ist sehr schade, denn für mich ist es der beste Job, den ich mir vorstellen kann.«

Filmtipp #742: Öffne meine Augen

Öffne meine Augen

Originaltitel: Te doy mis ojos; Regie: Icíar Bollaín; Drehbuch: Icíar Bollaín, Alicia Luna; Kamera: Carles Gusi; Musik: Alberto Iglesias; Darsteller: Laia Marull, Luis Tosar, Candela Peña, Rosa María Sardá, Kiti Mánver [Kiti Manver]. Spanien 2003.

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Ein Film, der mit voller Wucht in die Magengrube tritt! Nicht weniger als 42 Filmpreise heimste das intensive Drama von Icíar Bollaín ein, darunter sieben Goyas. Darüber hinaus war »Te doy mis ojos« (Deutsch: »Ich gebe dir meine Augen«) die kommerziell erfolgreichste spanische Produktion des Jahres 2003.

Zwischen Januar und März 2003 in Madrid und Toledo gedreht, erzählt »Te doy mis ojos« in wirklich unangenehm beklemmenden Bildfolgen die Geschichte einer von Gewalt und Abhängigkeit geprägten Ehe. Man fühlt sich an Ingmar Bergman erinnert, an Scener ur ett ätkenskap, aber komprimierter, drastischer. Pilar (Marull) liebt ihren Antonio (Tosar), daran besteht weder für sie noch für den Zuschauer der geringste Zweifel. Die beiden sind seit zehn Jahren zusammen. Eine Beziehung zwischen Himmel und Hölle, denn Antonio ist jähzornig. Wie aus dem Nichts kommen seine Zornesausbrüche über ihn und entladen sich in eruptiver Gewalttätigkeit gegenüber seiner Frau. Immer wieder landet Pilar im Krankenhaus, immer wieder gelobt Antonio Besserung. Eines Nachts nimmt Pilar all ihren Mut zusammen: Nur mit ihren Pantoffeln an den Füßen verlässt sie mit ihrem kleinen Sohn Juan (Nicolás Fernández Luna) die Wohnung und flüchtet zu ihrer Schwester Ana (Peña). Die bekommt erst allmählich eine Ahnung von dem, was Pilar durchmachen musste, als sie in deren Wohnung den Stapel von Krankenhausrechnungen findet. Sie rät ihrer Schwester zur Scheidung, doch Pilar gerät aus Liebe zu ihrem Mann immer wieder ins Schwanken. Antonio begibt sich in therapeutische Behandlung, um seine Ehe zu retten, doch so recht mag wohl niemand dem Frieden trauen…

Häusliche Gewalt ist beileibe keine gesellschaftliche Randerscheinung. Schätzungen gehen davon aus, dass rund ein Drittel aller Beziehungen (!) davon betroffen sind. Gesellschaftlich und politisch herrscht der Konsens, dass häusliche Übergriffe nicht geduldet werden dürfen, und doch wird das Thema meist tabuisiert, unter den Teppich gekehrt. Wobei die (meist körperliche) Gewalt, die von den Männern ausgeht, schon eher diskutiert wird als die (meist psychische) Gewalt, die von den Frauen ausgeht — weil sie eben auch leichter nachzuweisen ist. Wo Bergman eine verklausulierte Filmsprache wählte, ging seine spanische Kollegin Bollaín bei »Te doy mis ojos« einen sehr direkten Weg, um dem Publikum ihr Anliegen ins Gesicht zu schlagen. Es wurde ein sehr spanischer Film, eben weil er die Institution der Ehe durch die traditionelle, christlich geprägte Brille beäugt; es ist davon auszugehen, dass in Italien, Portugal und eben auch Spanien das Thema Gewalt in der Beziehung eher stillschweigend hingenommen wird als in nördlichen Ländern, was sicherlich mit machistisch-konservativen Wertvorstellungen zu tun hat, die auch in modernen Zeiten nur schwer zu überwinden sind. Auf »kino-zeit.de« wird die besondere Qualität des Streifens folgendermaßen hervorgehoben: »Obwohl es einfach wäre, Antonio zu verurteilen, macht sie seine Raserei zwar nicht akzeptabel, aber doch zumindest ansatzweise nachvollziehbar und zeichnet so das differenzierte Bild eines Mannes, der seine Affekte nicht im Griff hat. Zudem wirken seine Versuche, sich der Spirale der Gewalt zu entziehen, durchaus glaubwürdig. Auch Pilar wirkt durch die facettenreiche und schnörkellose Art der Inszenierung wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, erschreckend real mit ihrem Wankelmut und dem erst sehr zögerlich einsetzenden Willen zur Veränderung.«
Bollaín und ihrer Co-Autorin Alicia Luna gelang mit dem Drehbuch ein kleines Meisterstück, welches den hervorragenden Schauspielern ermöglichte, aus den Vollen zu schöpfen. Zu Recht wurden alle Beteiligten für ihre Arbeit gelobt.

André Schneider

28. Januar 2020

Die Ereignisse halten mich so auf Trab, dass ich kaum dazu komme, einen neuen Beitrag zu schreiben. (Die Filmtipps hatte ich von langer Hand vorbereitet.) Heute also ein kurzer Überblick.
Am Sonntag hatte mein Vater einen epileptischen Anfall und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Ausgerechnet zur Unzeit, da meine Mutter sich noch in der Reha befindet; sie hatte Anfang des Monats ihre Hüft-OP und muss sich noch schonen. Mal wieder blieb alles an meiner Schwester hängen, während ich nichts tun konnte — außer mit schockgeweiteten Augen am Telefon zu sitzen. Am Montag dann die Entwarnung: Es war kein Schlaganfall — immerhin! —, es werden keine Schäden bleiben, aber Papa darf jetzt vorerst das Auto nicht mehr bewegen.

Vorgestern gab’s endlich die Abschlusszeugnisse. Hatte eins der drei besten. Für die »innovativste praxisorientierte Facharbeit« schenkte mir die Schulleitung einen Gutschein über 25 Euro; sogar Mutter war stolz.

Gestern dann widmete der »Berliner Kurier« das Titelblatt sowie zwei Innenseiten der Laufbahn Ian Hansens, der sich wie ein kleiner Schneekönig freute. Der Fotograf Volkmar Otto hatte auch wirklich hervorragende Bilder von ihm auf dem Friedhof in der Bergmannstraße gemacht.

Ich hatte drei Tage frei, an denen ich am Roman arbeiten konnte; Kapitel 3 ist jetzt fertig, aber es liegt noch einiges an Wegstrecke vor mir. Derweil kümmert sich der Verlag um Es wird schon hell. Antonio Kuklik hat so einen schönen Umschlag für mich gestaltet! (Nach einem von Giovannas Fotos.) Ach, ich kann es kaum erwarten, das fertige Buch in den Händen zu halten! Und noch eine gute Nachricht: Seit Beginn der Diät habe ich drei Kilo abgenommen.
Es ist Donnerstag. Freut Euch, das Wochenende naht!

André