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Musik. Machen.

Chansons, das waren für mich kleine, in Musik gegossene Theaterstücke, Mini-Dramen sozusagen, und in meiner Jugend erlebte dieses Genre kurzfristig eine neue Blütezeit. Tim Fischer, Georgette Dee und Ute Lemper sangen Lieder von Hollaender, Brecht, Tucholsky, Kreisler, Schiffer und Spoliansky für ein neues Publikum und bereiteten zahllosen Nachahmern den Weg. Für einen theater- und literaturbesessenen Jugendlichen war das wie eine frisch geöffnete Schatzkiste, in der man endlos wühlen konnte. Dass ich mit 18 schließlich das Experiment wagte, selbst einen Chansonabend auf die Beine zu stellen, wundert mich heute. Vielleicht, weil einem mit zunehmendem Alter der Mut peu à peu abhanden kommt?
     Über Ragna Schirmer lernte ich zum Jahreswechsel 1996/97 den Pianisten Christian Wolf kennen, mit dem ich Sleepless Cities aufnahm. Ein ehrgeiziges Unterfangen für jemanden, der nicht singen und nur wenig Bühnenerfahrung vorweisen konnte, handelte es sich doch um 26 Stücke von Weill über Hollaender bis hin zu »Moon River«, Burt Bacharach und Tori Amos. Ich traf kaum einen Ton, plärrte wie ein strangulierter Hund und löste das Dilemma mit den spärlichen schauspielerischen Mitteln, die ich hatte. Der arme Christian am Klavier, ein wirklicher Musiker mit einem guten Gehör, war tapfer, geduldig und ein wahrer Freund. Bis 2003 arbeiteten wir immer wieder zusammen. Zu einem unserer schönsten Stücke wurde »E«, das wir zwischen dem 10. und 14. September 2001 in Hannover aufnahmen. Am 11. September hörten wir in unserer Mittagspause von dem Angriff auf das World Trade Center in New York.

Neben Christian waren Brian ‘Eenie’ und Toshi aus London meine musikalischen Schrittmacher. Unser Album Lover’s Space wurde ein kleines Meisterwerk, mit Unterbrechungen arbeiteten wir über drei Jahre daran. Zum ersten Mal in meinem Leben »komponierte« ich und war verblüfft, was für sinnlich-warme Klänge ein Computer erzeugen kann. »Suede (Greater Than My Faith)« war mein erster Song. Bis heute ist er mein liebster. Das aggressive, wortlose Lied »War« wurde unser musikalischer Kommentar zu George W. Bushs war of greed and terror, »Lust«, mit Toshis betörend erotischem Trompetensolo, sollte ein Song werden, zu dem man stundenlang Liebe machen kann, und das Titelstück »Lover’s Space« folgt mit seiner kontinuierlichen Steigerung einer dem antiken Drama nicht unähnlichen Dramaturgie.
     Über die Entstehungsgeschichte dieser CD schrieb ich ausführlicher in Aus der Umarmung des Wassers.

Eine klare Trennlinie zwischen Film und Theater, dem Schreiben und der Musik wollte und konnte ich nie ziehen, für mich griff seit meiner Kindheit stets alles ineinander; letzten Endes sind all diese Medien nur unterschiedliche Mittel des Geschichtenerzählens.
     Ein musikalischer Geschichtenerzähler — klingt gut! Und trifft ganz besonders auf meine Zusammenarbeit mit dem von mir sehr geschätzten Ralf Leutheuser zu: Letters From the Whorehouse Exile war der Titel unserer 2005 in Berlin produzierten Ambient-Platte. 15 Stücke, ineinander gleitend, wie aus einem Guss, in Sanskrit, Deutsch und Englisch, getextet von mir, Marianne Faithfull, Perry Blake und anderen. Was Ralf aus Eminems »97 Bonnie & Clyde« gemacht hat, verschlug mir seinerzeit die Sprache vor Freude und macht mir heute noch Gänsehaut.

Ob gelungen oder nicht, Musik machen zu können war mir immer eine ganz besondere Freude und oft auch eine Ehre gewesen: Nie gab es Druck von außen, ich hatte die Freiheit eines Laien und konnte hemmungslos meiner Intuition folgen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. In der Schauspielerei, einem zuweilen schauerlich rekreativen Beruf, war das meist nicht gegeben.
     Da außer Letters From the Whorehouse Exile all meine CDs vergriffen sind und ich seit geraumer Zeit nicht mehr dazu komme, für neue Aufnahmen ins Studio zu gehen, freut es mich außerordentlich, hier einige Hörproben veröffentlichen zu können.

André Schneider
Berlin, im Dezember 2009.