Die Liebenden — Von der Last, glücklich zu sein
Originaltitel: Les bien-aimés; Regie: Christophe Honoré; Drehbuch: Christophe Honoré; Kamera: Rémy Chevrin; Musik: Alex Beaupain; Darsteller: Chiara Mastroianni, Catherine Deneuve, Ludivine Sagnier, Louis Garrel, Milos Forman. Frankreich/Tschechien/GB 2011.
Hinter einem (wieder einmal) abgrundtief idiotischen deutschen Titel verbirgt sich einer der wohl leichtesten Filme Honorés, eine musikalische Liebeskomödie, die verspielt mit Zeit und Raum hantiert und uns einige der schönsten Chansons aus der Feder Alex Beaupains präsentiert. Darüber hinaus ist »Les bien-aimés« eine filmische Verbeugung vor seinen weiblichen Stars. Die Deneuve, inzwischen eine üppige ältere Dame, agiert mit ihrer Tochter Chiara (hervorgegangen aus einer Liaison mit Marcello Mastroianni) und ist dabei so gelöst und weich wie selten. Ludivine Sagnier, eine von François Ozons bevorzugten Heroinen, darf unter Honorés Führung beides sein: Schauspielerin und Star. Die drei Damen — 1943, 1972 und 1979 geboren — werden so liebevoll in Szene gesetzt, als wären sie Carmen Maura, Victoria Abril oder Penélope Cruz in einem Almodóvar-Film. Die Männer — Louis Garrel, Regie-Fossil Milos Forman, Paul Schneider, Michel Delpech und Radivoje Bukvic — verkommen dabei allerdings nicht zur Staffage, sondern sind Dreh- und Angelpunkt des weiblichen Agierens und haben gleichsam einprägsame Auftritte. »Les bien-aimés« feierte am 22. Mai 2011 seine Weltpremiere in Cannes, wo er bei den Filmfestspielen außer Konkurrenz lief. Im August 2011 startete er regulär in den französischen Kinos und wurde als Honorés bislang schönster Film gefeiert. Als das Werk im Frühjahr 2012 Deutschland erreichte, war die Reaktion des Feuilletons eher verhalten. So sprach »Cinema« von einem »traurigen Abgesang auf die Liebe mit […] einigen Längen«, während andere Rezensenten die Eleganz des Films, die Schönheit der Songs und die Leistungen der Schauspielerinnen mit Lob bedachten. Ein großer Publikumsrenner wurde das Musical mitnichten, aber die Deutschen können sich ohnehin nur in Ausnahmefällen für das französische Kino begeistern.
Die Handlung springt zwischen 1964 und 2007, zwischen Paris, Prag, London, Montréal und Reims. Die junge Madeleine (Sagnier) jobbt als Verkäuferin in einem Schuhgeschäft und stockt ihr Taschengeld als Gelegenheits-Prostituierte auf. So lernt sie einen jungen tschechischen Arzt Jaromil Passer (Bukvic) kennen und lieben. Madeleine geht mit Jaromil nach Prag und bekommt eine Tochter, die sie Véra nennt. Als Prag von den Russen besetzt wird, flieht Madeleine alleine in Richtung Frankreich, während der notorische Fremdgänger Jaromil bei einer seiner Mätressen bleibt. Zeitsprung: 1978. Madeleine hat erneut geheiratet. Der Polizist François Gouriot (Guillaume Denaiffe) ist ihr ein guter Ehemann und ihrer Tochter Véra ein liebevoller Vater. Als sie erfährt, dass Jaromil wieder in der Stadt ist, überlegt sie, ihm zu folgen, entscheidet sich jedoch für Gouriot. 1997 lernt Véra (Mastroianni) in London einen schwulen Musiker namens Henderson (Schneider) kennen, in den sie sich verguckt und den sie nur halbwegs erfolgreich — er befriedigt sie oral — verführen kann. Begleitet wird sie von Clément (Garrel), mit dem zwar nichts läuft, der sie aber dennoch mit seiner überbordenden Eifersucht belästigt. Unterdessen betrügt ihre Mutter (jetzt von Deneuve gespielt) in Paris ihren Mann einmal mehr mit Jaromil (Forman), der diesmal mutig genug ist, ihren Mann (Delpech) zu bitten, sie mit ihm ziehen zu lassen, was dieser ablehnt. Kurz darauf wird er von einem herabstürzenden Ast am Kopf getroffen, taumelt jedoch weiter zu dem Hotel, in dem Madeleine auf ihn wartet, bevor er tot zusammenbricht. In den folgenden Jahren forciert Véra immer wieder Begegnungen mit Henderson, der inzwischen HIV-positiv ist und einen Freund (Dustin Segura Suarez) hat. Mutter und Tochter bleiben glücklos.
Alex Beaupain wurde für seine umwerfende Musik für einen César vorgeschlagen. »Les chiens ne font pas des chats« (gesungen von Sagnier und Bukvic), »Ici Londres« und »Qui aimes-tu?« (beide interpretiert von Mastroianni und Schneider) sind richtige Ohrwürmer. Zu Beginn des Films singt Sagnier als junge Madeleine »Je peux vivre sans toi«, am Schluss singt die Deneuve die melancholisch gealterte Version »Je ne peux vivre sans t’aimer«. Das Melancholische verbindet Christophe Honoré in gewohnter Manier mit dem Leichten. In all seinen Filmen geht es um die Vergänglichkeit, das Abschiednehmen, den Tod. Hier wechselt sich das Bunte mit dem Dunklen, das Schwere mit dem Leichten ab. Die mal poppigen, mal tieftraurigen Chansons unterstützen den Plot nach Kräften. Meiner Meinung nach erreicht »Les bien-aimés« nicht die Qualität seines Meisterwerkes »Les chansons d’amour« (2007), dafür fehlt dem 135-Minuten-Werk zuweilen die Kohärenz. Trotzdem ist und bleibt es ein bezauberndes Stück Kino, und schließlich hat Honoré bislang noch keinen schlechten Film gemacht.
André Schneider