Tage des Weines und der Rosen
Originaltitel: Days of Wine and Roses; Regie: Blake Edwards; Drehbuch: J.P. Miller; Kamera: Philip H. Lathrop [Philip Lathrop]; Musik: Henry Mancini; Darsteller: Jack Lemmon, Lee Remick, Charles Bickford, Jack Klugman, Alan Hewitt. USA 1962.
Übermäßiger Alkoholkonsum und seine verheerenden Folgen: Hollywood nahm sich schon früh in regelmäßigem zeitlichen Rhythmus filmisch dieser Problematik an. »The Lost Weekend« (Regie: Billy Wilder) dürfte das berühmteste Beispiel aus dieser Reihe sein, »Days of Wine and Roses« ist in meinen Augen der ehrlichste und traurigste Beitrag. Hinter dem blumigen Titel entspinnt sich ein handfestes Drama mit quälenden, grausam-realistisch gestalteten Szenen, die dem Zuschauer — und den Hauptdarstellern Lee Remick und Jack Lemmon — einiges abverlangen und wirklich wehtun. Es ist ein Film, der nach seinem (vordergründig) luftig-leichten Anfang, der die Verliebtheit des jungen Paares schildert, zu einer herzzerreißenden Tragödie wird.
»Days of Wine and Roses« fußt auf dem gleichnamigen Fernsehspiel J.P. Millers, das 1958 mit Cliff Robertson unter John Frankenheimers Regie entstanden war. Die Story dreht sich um Joe Clay (Lemmon), einem PR-Manager einer Werbeagentur, der sich in die hübsche Sekretärin Kirsten Arnesen (Remick) verliebt. Sein anspruchsvoller Job belastet Joe schwer, sodass er meint, das allabendliche Glas Whisky zu brauchen, um abschalten zu können. Daraus wird bald ein festes Ritual, und auch in Gesellschaft trinkt der Manager regelmäßig. Nach der Hochzeit und der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes schließt sich auch Kirsten, die früher schon eine Suchttendenz in Richtung Schokolade gehabt hatte, Joes Gewohnheiten an, als sie merkt, wie gut ihr Brandy tut. Es dauert nicht lange, bis die beiden jegliche Kontrolle über ihr Trinkverhalten verloren haben. Joe verliert seine Stellung, Kirsten zündet im Suff die Wohnung an. Sie landen mit ihrem Kind in einer schäbigen Absteige — doch der Tiefpunkt ist noch lange nicht erreicht…
Blake Edwards’ Inszenierung ist elegant und schnörkellos wie immer, und er holt hier wirklich das Beste aus seinen Schauspielern heraus. Es ist schmerzlich und belastend, dass wir als Zuschauer wissen, dass es für Joe und Kirsten kein gutes Ende nehmen wird. Immerhin schafft es Joe, sich seiner Abhängigkeit zu stellen. Auslöser dafür ist eine Szene, in der er sich selbst in einem Spiegel nicht erkennt. Er erzählt Kirsten, er habe im Spiegel einen verkommenen, besoffenen Strolch gesehen, das könne doch unmöglich er gewesen sein. Mithilfe von Kirstens Vater (Bickford) und den Anonymen Alkoholikern versucht das Ehepaar Clay, trocken zu werden, doch ihre Bemühungen werden von Rückfällen durchkreuzt. Nur durch die Trennung kann jeder für sich gesunden.
Zwischen Februar und April 1962 in San Francisco gedreht — das Haus der Clays steht heute noch in der Pacific Avenue zwischen Franklin and Gough Street —, wurde »Days of Wine and Roses« eine der erfolgreichsten Produktionen der Kinosaison 1962/63. Ursprünglich hatte 20th Century Fox die Rechte an dem Stoff erworben, doch als die Kosten für »Cleopatra« (Regie: Joseph L. Mankiewicz) explodierten, verkauften sie sie an Warner Bros., die 1963 einen Reingewinn von über neun Millionen Dollar verbuchen konnten. Das Drama wurde für drei BAFTAs, vier Golden Globes und fünf Oscars nominiert; einzig der von Henry Mancini und Johnny Mercer geschriebene Titelsong gewann die begehrte Trophäe.
Regisseur Edwards gab später zu Protokoll, dass sowohl er als auch Jack Lemmon während der Dreharbeiten noch schwere Trinker waren. (Lemmon bestätigte dies 1998 in einem TV-Interview mit James Lipton.) Edwards begab sich nach Beendigung des Drehs in den Entzug, Lemmon brauchte noch weitere zehn Jahre, bevor er diesen Schritt zu gehen wagte. Zu Recherchezwecken hatten er und Remick bereits vor Beginn der Arbeiten an AA-Versammlungen teilgenommen. Um seiner ewig unterschätzten Hauptdarstellerin ihre wohl eindrucksvollste Performance zu entlocken, hypnotisierte Blake Edwards Lee Remick vor der beklemmenden Motel-Szene.
Zu seinem großen Leidwesen wurde Jack Lemmon viel zu oft (und viel zu lange) auf sein wunderbares komisches Talent reduziert. Daran änderte auch das Lob, welches er für »Days of Wine and Roses« einheimste, zunächst nichts. Dass er ein großer dramatischer Schauspieler war, der mit seinem Spiel Herzen brechen konnte, stellte er mit weiteren oscarnominierten Glanzleistungen in »Missing« (Regie: Costa-Gavras), »Tribute« (Regie: Bob Clark) und »The China Syndrome« (Regie: James Bridges) unter Beweis; für »Save the Tiger« (Regie: John G. Avildsen) sollte er 1974 seinen zweiten Oscar nach Hause bringen. Meiner Meinung nach gehört seine Darstellung des Joe Clay in »Days of Wine and Roses« — zusammen mit Some Like It Hot und The Apartment — zu den besten seiner abwechslungsreichen Karriere. Dieser Film ist ein Muss, aber haltet Eure Taschentücher bereit!
André Schneider