Filmtipp #451: The Crying Game

The Crying Game

Originaltitel: The Crying Game; Regie: Neil Jordan; Drehbuch: Neil Jordan; Kamera: Ian Wilson; Musik: Anne Dudley; Darsteller: Stephen Rea, Jaye Davidson, Forest Whitaker, Miranda Richardson, Adrian Dunbar. GB 1992.

The Crying Game

Ein großer kleiner Film fürwahr, und darüber hinaus einer, den ich für immer mit London und den 1990ern verbinde. Das Setting, die Farben, die Kostüme, Frisuren und Drehorte — alles atmet den Geist dieser Zeit. Und dann war da natürlich Jaye Davidson: eine Offenbarung. Mann, war ich verliebt! Unglücklicherweise kann man nicht viel über den Inhalt von »The Crying Game« schreiben, ohne das Filmvergnügen zu trüben, aber ich versuche es mal: Der britische Soldat Jody (Forest Whitaker ist mit seinem englischen Akzent sehr überzeugend) wird von der IRA entführt und verschleppt. Mit einem seiner Bewacher, Fergus (Rea), freundet er sich an, so dass dieser überlegt, ihn in die Freiheit zu entlassen, anstatt ihn zu exekutieren. Sollte ihm doch etwas zustoßen, bittet Jody seinen Entführer, möge dieser bitte in England nach seiner Freundin Dil (Davidson) sehen. Es kommt, wie es kommen muss: Jody stirbt auf der Flucht, überfahren von den eigenen Leuten, und Fergus muss vor seinen rachsüchtigen Mitstreitern (u. a. Richardson in einer wirklich diabolischen Performance) fliehen. In London angekommen, löst Fergus sein Versprechen an Jody ein und spendiert Dil, die als Friseurin arbeitet, einen Drink in ihrer Lieblingsbar von Col (Jim Broadbent). Die beiden kommen sich allmählich näher, und der einstige Terrorist entpuppt sich als schüchterner Bewunderer. Es dauert jedoch nicht lange, bis die IRA-Kämpfer Fergus auf den Fersen sind. Die Katastrophe inklusive Blutbad ist vorprogrammiert, als die Grenzen zwischen Politischem und Privatem, zwischen Vertrauen und Obsession schließlich verwischen.
Das Ganze wird uns mit viel Humor und ohne jeden schmalzigen Pathos serviert. Neil Jordans siebter Film dreht sich, wie schon »Mona Lisa« (1986), um Rassismus, Sexualität und Loyalität. Kritiker und Publikum waren hingerissen von diesem kurzweiligen Meisterwerk, das mit über 25 Preisen ausgezeichnet und für rund 30 weitere nominiert worden war. Von den sechs Oscarnominierungen (u. a. für Davidson und Rea) konnte Neil Jordan immerhin die Statuette für das beste Originaldrehbuch entgegennehmen. Die deutsche »Filmwoche« schwärmte: »Ohne Übertreibung einer der besten europäischen Filme des Jahres«, einem Urteil, dem ich mich gerne anschließen und es erweitern möchte: Einer der besten europäischen Filme der letzten 30 Jahre! — Als wir im Englisch-LK in der Oberstufe das Thema »Love« behandelten, brachte ich meinem Lehrer ausgerechnet diesen Film auf Video mit. Er gab es mir mit den Worten: »Ich war schockiert!« zurück. Ich hielt (und halte) »The Crying Game« für einen der tiefsinnigsten Filme über bedingungslose Freundschaft und Liebe überhaupt.

André Schneider