Filmtipp #782 & #783: Julia, du bist zauberhaft & Being Julia

Julia, du bist zauberhaft

Originaltitel: Julia, du bist zauberhaft; Regie: Alfred Weidenmann; Drehbuch: Johanna Sibelius, Eberhard Keindorff; Kamera: Werner Krien; Musik: Rolf A. Wilhelm; Darsteller: Lilli Palmer, Charles Boyer, Jean Sorel, Jeanne Valérie, Ljuba Welitsch. Österreich/Frankreich 1962.

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Der Roman »Theater« des englischen Dramatikers W. Somerset Maugham wurde nach seiner Veröffentlichung 1937 schnell als Bühnenstück adaptiert und ab 1960 etliche Male verfilmt, unter anderem mit Madeleine Robinson, Danielle Darrieux und Rosel Zech. Die beiden besten Adaptionen des unterhaltsamen Bestsellers stelle ich Euch heute vor, sie passen beide wunderbar in den Frühherbst.

Die Grundstory ist in beiden Filmen gleich: Julia Lambert ist ein gefeierter Star am Londoner West End. Ihr Ehemann Michael, der früher ebenfalls als Schauspieler auf der Bühne gestanden hatte, inszeniert als Regisseur seine Gattin vortrefflich. Die Vorstellungen im eigenen Theater sind Abend für Abend ausverkauft, die Glückssträhne des Ehepaares Lambert hält schon seit Jahren an. Sie haben einen fast volljährigen Sohn und führen ansonsten eine »moderne« (also offene) Ehe, in der sie dem jeweils anderen amouröse Freiheiten eifersuchtsfrei zugestehen. Michael stellt Julia eines Tages Tom Fennel vor, einen Bewunderer ihrer Kunst, der ungefähr im Alter ihres Sohnes ist. Julia, die unlängst noch gelangweilt und ihrer Routine müde war, blüht in einer stürmischen Affäre mit Tom richtig auf. Dass er sich von ihr aushalten lässt und ihre Kontakte für seine Zwecke ausnutzt, ist ihr egal. Doch als Tom versucht, seine neue Freundin — altersmäßig in seiner Liga spielend — in Julias neuem Stück unterzubringen, platzt der Diva der Kragen…

»Julia, du bist zauberhaft«, als österreichisch-französische Co-Produktion von September bis Dezember 1961 in London gedreht, gehört, so der Kritiker von der »TV Spielfilm«, »zu den wenigen erfreulichen Produktionen deutschsprachigen Filmschaffens zu Beginn der sechziger Jahre, als sich die künstlerische Stagnation von ›Opas Kino‹, die später zum ›Neuen Deutschen Film‹ und zum Oberhausener Manifest führte, nicht mehr übersehen ließ.«
Die für jene Jahre überraschende Frivolität des Stoffes wurde von Regisseur Weidenmann mit erfrischender Ironie und Leichtigkeit gehandhabt, was dem Streifen auch 60 Jahre später einen gewaltigen Unterhaltungswert verpasst. Lilli Palmer, die nach ihrer Karriere im Exil seit 1954 in der BRD zu den größten Stars zählte, spielt die Rolle der Julia mit Gusto und Begeisterung. Ich mochte die Palmer immer gerne: ihre Eleganz, die gewisse Strenge ihrer Erscheinung, vor allem aber ihre Art zu sprechen. Es war nicht nur die herrlich melodische Diktion, wie sie die altmodische Theaterschulung hervorzubringen pflegte, sondern vor allem, dass sie Deutsch nach vielen Jahren im Ausland stets mit einem kleinen Fragezeichen zu sprechen pflegte. Diese Qualität kommt »Julia, du bist zauberhaft« sehr zugute, es ist eine Riesenfreude, ihr zuzuhören. Freilich darf man von einer Lilli Palmer keine feinen Nuancen oder leisen Töne erwarten, sie chargiert sich in üblicher Manier auch durch diesen Film, was man ihr angesichts ihres Charms und ihrer Präsenz gerne nachsieht. Den Gesetzen der Co-Produktion folgend, stellte man ihr Charles Boyer (synchronisiert von Curt Ackermann) und den blutjungen Jean Sorel (synchronisiert von Dietmar Schönherr) zur Seite, die jedoch in Palmers übergroßem Schatten verblassen. Thomas Fritsch, damals 17 Jahre alt, ist als Sohn des Ehepaares Lambert mit dabei. Mit Ljuba Welitsch, Tilly Lauenstein, Herbert Fux, Charles Regnier und Jeanne Valérie sind auch die Nebenrollen glänzend besetzt.

Von dem Erfolg angestachelt, kam Lilli Palmer blöderweise im Folgejahr auf die Idee, eine weitere Rolle nach einer Maugham-Vorlage zu gestalten: »Finden sie, dass Constanze sich richtig verhält?« (Regie: Tom Pevsner) konnte dem Vorgängerfilm qualitativ allerdings nicht annähernd das Wasser reichen und verschwand alsbald sang- und klanglos aus den Lichtspielhäusern.

Being Julia

Originaltitel: Being Julia; Regie: István Szabó; Drehbuch: Ronald Harwood; Kamera: Lajos Koltai; Musik: Mychael Danna; Darsteller: Annette Bening, Michael Gambon, Jeremy Irons, Shaun Evans, Miriam Margolyes. GB/USA/Kanada/Ungarn 2004.

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Miranda Richardson hatte eigentlich den Zuschlag auf die begehrte Rolle der Julia Lambert erhalten, erkrankte jedoch und wurde von Annette Bening ersetzt, die es den Produzenten mit einer geradezu atemberaubenden Glanzvorstellung dankte. Verdienterweise hagelte es Preise für die US-Schauspielerin, u. a. einen Golden Globe und eine Oscarnominierung. Benings Julia ist weniger sympathisch als die der Palmer, dafür aber vielschichtiger und weniger abgeklärt und cool. Sie zeigt die Aktrice verletzlich und knallhart, leidenschaftlich und berechnend, als temperamentvolle Diva und als kollegialer Profi, als Mutter, als Freundin und als Rivalin. Von István Szabó mit großer Sorgfalt geführt, war die Schauspielerin hier so gut wie nie zuvor. Das Schlussbild, wenn Julia Lambert, die seit Jahren eisern Diät hält und sich alle kulinarischen Genüsse verkneift, endlich ihr langersehntes Bier bestellt, ist so ergreifend und genussvoll, dass man gleichzeitig breit lächelt und vor Rührung weint. Annette Bening wird als Star inszeniert, sie trägt adäquate Kostüme, ist immer perfekt ausgeleuchtet und geschminkt und spielt so gelöst und mit diebischer Freude, dass allein ihretwegen das Remake ein Gewinn ist.
Waren Jean Sorel und Charles Boyer in der alten Verfilmung etwas zu blass gezeichnet, erhalten Shaun Evans und Jeremy Irons unter Szabós Ägide ausreichend Gelegenheit, ihre Figuren auszuspielen. Auch die anderen Nebendarsteller — Michael Gambon (als Julias Schauspiellehrer), Bruce Greenwood, Tom Sturridge, Miriam Margolyes, Juliet Stevenson, Sheila McCarthy, Maury Chaykin, Rita Tushingham, Rosemary Harris, Max Irons (Jeremys Sohn) und besonders Lucy Punch (als Julias Widersacherin) — sind allesamt vortrefflich. Was für ein Ensemble!

Die Dreharbeiten zu »Being Julia« begannen im Juni 2003 und fanden vor allem in Budapest statt, so zum Beispiel im Danubius Hotel Astoria. Auf dem Soundtrack finden sich Stücke von Cole Porter, Noël Coward und Evergreens wie »Smoke Gets in Your Eyes«.
Die Weidenmann-Verfilmung spielte in der Gegenwart, also anno 1961, Szabó verlegte die Handlung ins London des Jahres 1938. Die Bilder des ungarischen Kameramanns Lajos Koltai sind von erlesener Schönheit, der Schnitt (Susan Shipton) perfekt. Überhaupt ist »Being Julia«, von der Kritik despektierlich als »Leichtgewicht« bezeichnet, ein Augen- und Ohrenschmaus. Die federleichte, ansatzweise ins Melancholische gleitende Musik, die warmen Farben, die Kostüme, die Bauten, die exquisiten Außenaufnahmen (u. a. auf Jersey) — alles ist hier stimmig.

Mit 18 Millionen US-Dollar geradezu sparsam budgetiert, machte das Werk an den Kinokassen einen Reingewinn von rund 15 Millionen Dollar und erwies sich damit als durchaus Profitabel, wenn auch die Kritiken durchmischt waren. So war beispielsweise der Kritiker Peter Travers nicht gerade angetan von Benings Spiel und ätzte: » Annette Bening can act […] but she works too hard to prove it in ›Being Julia‹. […] Director István Szabó overplays his hand and traps her in a role that’s all emoting, no emotion.« In der Fachzeitschrift »Variety« war zu lesen: »Die meisten der oberflächlich ablenkenden Seriokomiken bieten weder den unauslöschlichen Witz noch die Schwerkraft einer wirklich bedeutungsvollen Sittenkomödie (wie von Oscar Wilde) und hinterlassen einen ziemlich schmächtigen Eindruck.« Das deutsche Feuilleton monierte vor allem »dramaturgische Ungereimtheiten«.
Mein Rat: Davon nicht beeindrucken lassen und einfach mit Keksen und einem warmen Kakao genießen.

André Schneider

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