Das alte finstere Haus
Originaltitel: The Old Dark House; Regie: William Castle; Drehbuch: Robert Dillon; Kamera: Arthur Grant; Musik: Benjamin Frankel; Darsteller: Tom Poston, Robert Morley, Janette Scott, Joyce Grenfell, Mervyn Johns. GB/USA 1963.
William Castle war schon zu Lebzeiten eine Legende! Der emsige, an Originalität schwer zu übertreffende Regisseur und Produzent war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Traumfabrik und ein wirklich guter Geschäftsmann. Wie kein Zweiter erkannte er populäre Trends und sprang gekonnt auf die fahrenden Züge auf. Ein gutes Beispiel ist sein Psycho-Abklatsch »Homicidal« (1961, mit Glenn Corbett), der wenige Monate nach Hitchcocks Original in die Kinos kam und sich durchaus (auch kommerziell) sehen lassen konnte.
Ende 1961 erwarb Anthony Hinds von den britischen Hammer-Studios die Rechte an J. B. Priestleys Roman The Old Dark House, welcher 1932 von James Whale verfilmt worden war. Quasi zeitgleich wollte jenseits des Atlantiks Castle für Columbia ein Remake des verschollen geglaubten Klassikers in Angriff nehmen. Hinds glaubte, es sei ein guter Coup, wenn Castle und Hammer sich zusammentäten. So kam es zu dieser Co-Produktion, die insgesamt sehr englisch ist und mit Priestleys Roman nicht mehr das Geringste zu tun hat. Das Grundgerüst — ein Gruselhaus, in dem eine merkwürdige Familie haust — wurde übernommen, auch der Name Femm taucht auf, aber Castle entschied sich, die Tonlage des Films zu ändern und schuf eine makabre Gruselkomödie für Kinder. Der Film eignet sich bestens für einen regnerischen Sonntag, den man mit der Familie auf der Couch verbringen möchte.
Tom Poston, der einzige Amerikaner auf der Besetzungsliste, gibt uns Tom Penderel, einen Autohändler, der in London wohnt und sich das Apartment mit Casper Femm (Peter Bull) teilt, einem schrulligen Millionär. Die beiden haben ein ulkiges Arrangement getroffen: Femm bewohnt die Wohnung tagsüber und überlässt es Tom für die Nacht. Die Nächte muss Femm nämlich im Herrenhaus der Familie außerhalb Londons verbringen, wo sich Nacht für Nacht die gesamte Familie im Salon einzufinden hat — wer um Mitternacht nicht im Hause ist, verliert laut einer bizarren Klausel im Testament eines Vorfahren sein Anrecht aufs Familienerbe. Casper bittet Tom, einen neuen Luxuswagen, den dieser aus den Vereinigten Staaten importiert hat, zum Familiensitz zu bringen. Ein aufziehendes Gewitter und ein verheerender Unfall direkt vorm Tor des Anwesens zwingen Tom, die Nacht in dem alten Gemäuer zu verbringen. Zu seiner ersten schaurigen Überraschung liegt der durch einen Treppensturz ums Leben gekommene Caspar bereits aufgebahrt in der Bibliothek — und in den kommenden Stunden wird es noch weitere Tote zu beklagen geben…
Neben dem spielfreudigen Tom Poston konnte Castle auf eine ganze Reihe erstklassiger englischer Bühnenschauspieler zurückgreifen: Robert Morley, wie immer wunderbar übersteigert und aristokratisch, Janette Scott, Fenella Fielding, Danny Green, Mervyn Johns und die gewohnt spleenige Joyce Grenfell hatten sichtlich ihre Freude an diesem Streifen. Die Dreharbeiten in den Bray Studios begannen am 14. Mai 1962 und endeten bereits am 22. Juni. Den Titelvorspann kreierte wunderbarerweise kein Geringerer als Charles Addams, den der Whale-Film seinerzeit zu seiner berühmten »Addams Family« inspiriert hatte. Allein diese Tricksequenz und die stimmungsvoll-humorige Musik Benjamin Frankels machen »The Old Dark House« schon mehr als sehenswert.
Die Columbia wusste nicht so recht, was sie mit dem Film machen sollte. Man hielt jedenfalls keine großen Stücke auf ihn. Als er am 31. Oktober 1963 in die US-Kinos kam, waren sämtliche Kopien des in schönstem Eastmancolor gedrehten Streifens aus Kostengründen in Schwarzweiß gezogen worden. Die Engländer bekamen »The Old Dark House« in Farbe zu sehen — allerdings erst 1966 in einer um zehn Minuten gekürzten Version. 24 Jahre später, als der Film auf VHS erschien, konnte man ihn endlich in seiner ganzen Pracht genießen. Was Castle selbst von dem Streifen hielt, wissen wir nicht; in seinen ausschweifenden Memoiren wird er mit keiner Silbe erwähnt.
Eine kleine Randnotiz: Das Anwesen der Familie Femm fand später in einem weiteren Film Verwendung — in The Rocky Horror Picture Show.
André Schneider