Filmtipp #664: Die Nacht des Leguan

Die Nacht des Leguan

Originaltitel: The Night of the Iguana; Regie: John Huston; Drehbuch: Anthony Veiller, John Huston; Kamera: Gabriel Figueroa; Musik: Benjamin Frankel; Darsteller: Richard Burton, Ava Gardner, Deborah Kerr, Sue Lyon, Grayson Hall. USA 1964.

Am 28. Dezember 1961 hatte Tennessee Williams’ »Night of the Iguana« am Broadway Premiere. Es wurde der letzte große Erfolg des Dramatikers, der bis zu seinem Tod 1983 zwar aktiv schrieb, jedoch nur noch mediokre Stücke zustande brachte: »The Milk Train Doesn’t Stop Here Anymore« (1963), »Slapstick Tragedy« (1966), »The Seven Descents of Myrtle« (1967, mit Estelle Parsons), »Out Cry« (1973), »The Eccentricities of a Nightingale« (1976), »Vieux Carré« (1977) und »Clothes for a Summer Hotel« (1980, mit Geraldine Page) wurden (zum Teil) kostspielige Flops und sind auch aus heutiger Sicht wahrlich keine berauschenden Werke. »Night of the Iguana« jedoch zeigte den Meister noch einmal im Zenit seines Schaffens; die New Yorker Spielzeit wurde zu einem Triumph für alle Beteiligten. Typisch Williams’sche Themen wie sexuelle Frustration, unterdrückte homosexuelle Gefühle, Selbstzweifel und Schuldgefühle waren der Treibstoff dieses düster-pessimistischen Dramas. Als Hollywood sich für den Stoff interessierte, war dem Autor klar, dass die Drehbuch-Adaption wieder einmal drastische Änderungen erforderlich machen würde, aber diesmal hatte Williams überraschenderweise nichts dagegen und legte sein Stück vertrauensvoll in die Hände von John Huston und seinem Drehbuchschreiber Anthony Veiller.

Im Zentrum der Handlung steht Dick Burton, der einen aus dem Kirchendienst entlassenen Geistlichen spielt, der sich in Mexiko als Reiseführer verdingt und ein mittelschweres Alkoholproblem hat. Seinen Glauben hat Reverend Shannon nicht verloren, wohl aber den Respekt vor der Kirche. Er begleitet eine Reisegesellschaft, die unter der strengen Leitung von Judith Fellowes (Grayson Hall wurde für ihr Spiel mit einer Oscarnominierung bedacht) steht. Das jüngste Mitglied der Gruppe, die 18jährige Charlotte (die unlängst verstorbene Sue Lyon), versucht nach Kräften, Shannon zu verführen. Als die Anstandsdame Fellowes Charlotte und Shannon in seinem Hotelzimmer überrascht, will sie dafür sorgen, dass er seine Stellung verliert, und informiert den Reiseveranstalter über das schändliche Benehmen des Geistlichen. Der will der Konfrontation mit seinem Chef ausweichen und führt die Reisenden zu einer abgelegenen kleinen Absteige, die von der rassigen Maxine (Gardner), der Witwe eines guten Freundes von Shannon, geführt wird. Nachdem er ihr seine Situation geschildert hat, sichert Maxime ihm ihre Hilfe zu und hindert Miss Fellowes daran, den Reiseveranstalter erneut zu kontaktieren. Die Reisegruppe ist erst einmal gestrandet — im wahrsten Wortsinne —, da Shannon den Bus lahmgelegt hat. Dann treffen zwei weitere Gäste in der schäbigen Pension ein: Hannah Jelkes (Kerr), eine erfolglose Malerin, und ihr Großvater (Cyril Delevanti), mit beinahe 100 Jahren der angeblich älteste aktive Dichter der Welt. Die beiden sind völlig mittellos und sind abhängig von der Güte ihrer Mitmenschen. In dieser von Hitze, Ungewissheit und Zweifeln vergifteten Atmosphäre kommt es unweigerlich zu weiteren Konflikten. Shannon sieht sich zwischen Charlotte, Maxime und Hannah stehen, und vor der Tür des Hotels wartet ein traurig angeleinter Leguan darauf, endlich in die Freiheit entlassen zu werden…

Hustons Leinwandfassung hat, verglichen mit der Bühnenversion, einen leichteren Ton. Shannon ist zwar auch hier eine tragische Figur, ist jedoch deutlich humorvoller angelegt. Seine Zukunft bleibt auch hier ungewiss, ist aber bei weitem nicht hoffnungslos und trübe. Die Kritiker jammerten anno 1964 deshalb, die Filmversion sei »abgeflacht« oder gar »oberflächlich«. An den Kassen war John Hustons leidenschaftlich inszeniertes, schwüles Melodram ein großer Erfolg, und es regnete viele Preise und Nominierungen: So gewann Ava Gardner in San Sebastián den Preis als Beste Schauspielerin und stand auf den BAFTA- und Golden Globe-Nominierungslisten und Dorothy Jeakins nahm den Oscar für die Kostüme in Empfang.
Die Dreharbeiten fanden in Puerto Vallarta statt, einem winzigen, unbekannten Städtchen an der pazifischen Küste Mexikos, das seinerzeit auf dem Landweg nicht zugänglich war, sodass das Equipment und das Team mit Booten transportiert werden mussten. Die Atmosphäre am Set muss, gelinde gesagt, skurril gewesen sein. In der Nähe des Ortes wurden an einem Berghang 25 Häuser inklusive eines Hotels, welches im Film das Hotel von Maxime spielt, für die Mannschaft errichtet, deren verrottete Überreste dort heute noch den Touristen präsentiert werden. Trotz der schwierigen Erreichbarkeit Puerto Villartas wimmelte es während des Drehs dort nur so von Fotografen und Reportern, denn Richard Burton hatte seine frisch angetraute Gattin Liz Taylor mit dabei. Die beiden hatten sich während der Aufnahmen zu »Cleopatra« (Regie: Joseph L. Mankiewicz) in Rom kennen gelernt und waren sich schnell ehebrecherisch nähergekommen. Damit war ihnen ein Platz an der Sonne der Klatschspalten auf etliche Jahre gesichert. Die Taylor hatte nicht nur zahllose Bedienstete, sondern auch ihre drei Kinder aus früheren Ehen im Schlepptau und wich aus Angst vor Ava Gardner keinen Zentimeter von Burtons Seite. Burton hatte, nachdem er am Broadway in »Camelot« aufgetreten war, seiner Partnerin Julie Andrews gesteckt, dass sie die einzige seiner leading ladies war, mit der er nicht geschlafen habe. Taylors Eifersucht war somit vielleicht nicht ganz unbegründet. Doch Ava Gardner verbrachte ihre drehfreie Zeit am liebsten in einem Sportwagen, mit dem sie über den Strand jagte. John Huston hatte ihr die Rolle gegeben, die am Broadway von Bette Davis, Shelley Winters und Madeleine Sherwood gespielt worden war. Dabei hatten sich Davis und Winters förmlich um die Rolle geprügelt, während Huston die unsichere Gardner mühsam überreden musste, den Part zu übernehmen. Die Schauspielerin gestand später, hier zum ersten Mal wirklich Spaß bei einer Filmarbeit gehabt zu haben, und vollbrachte ihre wohl beste schauspielerische Leistung. Sie und Huston arbeiteten später noch zwei weitere Male miteinander. Die Gagen von Burton (750.000 Dollar), Gardner (400.000 Dollar) und Deborah Kerr (250.000 Dollar) verschlangen etwa die Häfte des Gesamtbudgets, das MGM dem Regisseur zur Verfügung gestellt hatte. Während der Aufnahmen schenkte er jedem seiner vier Hauptdarsteller sowie der Taylor eine goldene Pistole mit genau fünf Kugeln, »falls die Rivalität zu groß wird«.

André Schneider