25. November 2007

Eine Serenade, bitte

Es ist das gleiche — überall — hier — bei Gott…

Wo war ich noch nicht?
In welchen Ecken, welchen Winkeln
Die diese Stadt so hat

Auf der Suche nach irgendwas
Nein, nach irgendwem
Doch es geht mir noch nicht schlecht genug
Dass ich jeden nehm

Da hock ich mich in eine Kneipe, ein Cafe
Fang Dialoge an – mit mir – komm, geh…
Da sitz ich und warte, ob ich nicht doch noch was seh

Der Mann da, der hat was
Wahrscheinlich ein Toupet

Warten ist billig. Es kostet Nerven
Aber ich bin zäh

Halb drei in der Nacht
Draußen ist es für alles zu früh
Hier drinnen ist es für alles zu spät
Ich sollte gehen

Es ist doch klar, dass jetzt nichts mehr geht

Nur der Münzautomat unterhält sich noch mit mir
Es gibt nichts zu gewinnen – egal, wie viel ich verlier

Die Musikbox stöhnt auf, ging es nach ihr
Dann wär die Musikbox keine Musikbox
Dann wär sie ein Klavier

Weil das persönlicher wär — und sowieso — immer wieder
Dieselben, die gleichen abgedroschenen Lieder
Eine Serenade, bitte!

Kann man in diesem Bumslokal keine Serenade kriegen?!

Nur der Teppichboden guckt mich noch an
Er guckt betreten
So geht es mir auch

Ich habe doch eben noch eine Zigarette geraucht…?

Diese Frau! Die redet nicht, die spuckt
Da hängt ein Kind an der Wand. Ist das echt?
Ein Nachdruck

Das passt
Das sind doch alles Kopien, wohin ich hier guck

Plastikblumen. Um die sich niemand zu kümmern braucht
Abstauben genügt. Nur mir genügt das nicht
Der Typ dahinten — den könnte ich abstauben

Verdammt!
Warum hat der bloß so ein beschissenes Gesicht?!

Kaschemme! Es ist zum Würgen
Kaffee!
Kaffee hält über Wasser — und dann löst er sich auf

Ich pass gut hier rein
Vielleicht der da?
Der könnt doch was sein

Und danach eine schöne Portion Pommes frites…

Mann, stinkt mir das alles
Wie mir das stinkt! Immer wieder
Dieselben, die gleichen abgedroschenen Lieder
Eine Serenade, bitte!

Kann man in diesem Bumslokal keine Serenade kriegen?!

Ich möchte an der See sein
Und möglichst nicht allein
Und wenn ich ein Klavier wär
Dann würd ich gern ein Harmonium sein

Weil — als Klavier, da kommt man ja nicht weg vom Fleck

Und wenn ich ein Harmonium wär
Dann würd ich gern eine Geige sein
Nein, eine…

Eine Bratsche…

Ich möchte ein Gesicht sehen
Mit Augen, wo ich drin baden kann
Und was ich seh, das guckt mich an
Mit Augen, die zugefroren sind

Kann ja sein, dass das mal Badeaugen waren
Aber jetzt — auf den Augen kann ich Schlittschuh fahren!

Krieg ich jetzt eine Serenade oder was?!

(Friedhelm Kändler)

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Zu dem Konzert gestern…
Um 22:40 Uhr betrat Madame dann endlich die Bühne. Schöne Songs, wunderschöne Stimme und Musiker, die das, was sie taten, ausgezeichnet taten. Leider, leider hielt sie es für notwendig, ihre Darbietung mimisch zu unterstreichen und auch mal zu tanzen. Beides tat sie nicht besonders gut. Es wirkte aufgesetzt. In den USA würde man’s phoney nennen. Das Publikum war dementsprechend reserviert, obwohl sie — ich wiederhole es gerne und aus tiefstem Herzen — eine großartige Stimme hatte. Wenn man die Augen schloss, ent- und verführte sie einen in andere Dimensionen. Hab dann auch sofort die CD gekauft. Um 23:12 Uhr verließ sie wieder die Bühne — kleine Pause —, das Publikum bittend, doch bitte ordentlich zu trinken, damit es in der zweiten Hälfte ein bisschen besser drauf ist. Die Pause dauerte 40 Minuten. Um mich herum 150 Raucher und keine Lüftung. Die Pause dauerte 45 Minuten. Ich wurde ungeduldig. Nach 50 Minuten Pause ging ich dann und fuhr heimwärts. Ich fand, dafür, dass das Konzert um 22 Uhr beginnen sollte, hatte ich um kurz nach Mitternacht dann herzlich wenig Musik gehört.
Nächste Woche bin ich wieder im Quasimodo, ich hoffe sehr, dass es dann anders läuft.

Ihr Lieben, ich bin dann mal — wie angekündigt — weg. Die Weihnachtsmärkte werden morgen geöffnet. Genießt die Vorweihnachtszeit. Und denkt immer daran!

Zitat des Tages: »Ich bin auf meine Ängste immer zugegangen, denn da, wo die Angst sitzt, da ist auch der Weg in eine neue Lebenserfahrung.« (Hanna Schygulla)

22. November 2007

Donnerstag, ca. 18 Uhr, etwas müde und schwer beschäftigt

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Ja, kaum noch 32 Tage bis Weihnachten. Da mein Gehalt in unregelmäßigen Ratenzahlungen eintrifft — mal mehr, mal weniger; schwer, so den Überblick zu behalten —, mag ich mir kaum Gedanken um die Geschenke machen. Vielleicht sollte ich mal wieder basteln, aber das fand meine Mama schon früher, als ich im Bastelalter war, nicht okay. Sie möchte lieber gekauft und teuer. — Wenigstens habe ich heute schon den Tisch in Brendle’s Gasthaus in der Schmiljanstraße reserviert. Die zaubern dort alljährlich in der Vorweihnachtszeit die schmackhaftesten Enten Berlins. Für mich Tradition seit meinem ersten Berliner Weihnachten 1999. Dieses Jahr wird’s eine (leicht verspätete) Nikolausente, ich habe einen Tisch am 7. Dezember bekommen. Ja, Kinder, es weihnachtet…

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Das Buch verlangt mir viel ab, und dann gibt’s da noch zwei weitere Projekte, die (jetzt mal so) noch nicht wirklich spruchreif sind. Daher wird’s ab Sonntag mal wieder eine kurze oder längere Blog-Pause geben.

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Ein Telefonat. Mal wieder.
Ich: »Chelito ist so was von süß. Wenn er schlafen will, es ihm aber eigentlich zu hell ist, dann rollt er sich zusammen und legt seinen Schwanz über die Augen.«
Sie: »Ganz wie’s Herrchen, nicht?«
Soviel dazu. Mit diesen Tuch-Fotos, inszeniert und geschossen von Torsten Weber übrigens, verabschiede ich mich in den Freitag. Sten tritt morgen und übermorgen mit »Picknick im Park« in der Holsteinischen Straße auf, und am Samstag schaue ich mir Ofrin an — mit Marco Bruckdorfer an den Drums!

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14. November 2007

Gréco

Das Hypnose-Gefühl hält noch immer an, obschon ich acht Stunden geschlafen habe, und es fällt mir immer noch schwer, Worte zu finden, die das, was ich gestern erleben durfte, adäquat beschreiben. Da stand eine Frau auf der Bühne, 80 Jahre alt, und bot eine Show, die ihr Publikum zwei Stunden lang durch emotionale Wirbelstürme jagte. Wir lachten und weinten und waren ganz, ganz oft einfach atemlos vor Bewunderung und Lust. Das, was sie da tat, war im höchsten Grade sinnlich. Hocherotisch. Ich hätte Gänsehaut, den ganzen Abend lang.

Sie stand vor ihrem Mikro, natürlich in schwarz. Die Uniform der Existentialisten. Sie bewegte im Grunde nur ihre Arme. Aber wie! Manchmal glaubte man, wie würde gleich abheben. Bei vielen anderen wäre eine solche Darbietung am Rande des Lächerlichen. Bei ihr war es wahrhaftig. Jede Geste, jedes Spiel mit den Fingern, den Armen war echt.
Sie sang eigentlich nicht. Es war ein Sprechgesang. Sie rezitierte die Texte von Serge Gainsbourg, Jacques Brel und Léo Ferré rhythmisch zur Musik. Beim »Chanson des vieux amants« liefen mir die Tränen, und wie schön sang sie Ferrés »Avec le temps«: »Avec le temps on aime plus.« — Der Abend begann selbstironisch mit »J’ai pas vingt ans«, sie brachte »Utile«, »La chanson de Prévert«, Brels »Mathilde« in einer Speed-Version, natürlich »Né quelque part«, »Les amants d’un jour« und zu meiner grossen Überraschung »Déshabillez-moi«, ihren Klassiker von 1968. Von Gainsbourg sang sie außerdem »L’accordéon« und »La javanaise«. Ihre Zugabe: »Ne me quitte pas«, wie man es vermutlich noch nie zuvor gehört hat. (Geht das eigentlich?) Bei ihr, und das ist auch ihrem Alter geschuldet, bekommt der Text eine neue Fallhöhe, hat nichts Flehendes, sondern einen ernsten, bedachteren Subtext: »Bedenke deine Option«, scheint sie zu fordern.
Resultat: Stehende Ovationen, zehn, fünfzehn Minuten lang, und noch stundenlange Sprachlosigkeit. Das, was diese Frau auf die Bühne brachte, schaffen nur ganz, ganz wenige. Sie brauchte nur eine Hand zu heben, um tausend Menschen in ihren Bann zu ziehen. Sie füllte die riesige Bühne komplett aus, ohne sich zu bewegen. Wo Madonna, Britney & Co. fette Bühnenshows mit Licht- und Soundeffekten brauchen, um gewisse Unfähigkeiten zu vertuschen — Entschuldigung, aber da ist einfach keine Substanz —, genügt Juliette Gréco das Klavier, das Akkordeon und das Wort. Sie bringt eine fulminante Welt mit sich, sie ist das kleine Mädchen, die junge Verführerin, die reife Frau und die Greisin zugleich. Sie lebt ihre Chansons mit jeder Faser ihres Seins. Ein Mehr an Authentizität ist nicht möglich. Und authentisch, das wissen wir alle, sind wie wenigsten.

Um mich auf andere Gedanken zu bringen, wollte ich den Traum von vor zwei Monaten weiterführen. Ich wollte sehen, ob unsere Hühnerfarm endlich Gewinne einfährt. Tat sie aber nicht. To be continued…