30. April 2012

»Erotik ist das, was vor und nach dem Sex geschieht.«
Interview von Leander Kreßler für deuxiemecommencement.wordpress.com, 13. April 2012.

Laurent Delpit & André Schneider wagen einen zweiten Anfang

Am Freitag, dem 13. April traf ich mich mit dem Schauspieler und Filmemacher André Schneider in Hannover, um mit ihm über Liebe, Beziehungskonzepte und seinen neuen Film Le deuxième commencement zu sprechen.

Der Bart steht dir richtig gut.

»Danke sehr. Ich glaube, ich werde ihn noch ein Weilchen wachsen lassen. Die Haare auch. Der Hippie in mir will endlich raus.« (lacht)

Du hast ihn dir für den Film wachsen lassen, oder? Warum?

»Es passte einfach. In dem Film geht es schließlich um Männer, nicht um Jungs.«

Was hat dich bewogen, Le deuxième commencement zu machen?

»Es reizten mich mehrere Aspekte. Zunächst einmal wollte ich gerne mit Laurent Delpit arbeiten. Das war ein Rendezvous, das längst überfällig war. Auch mit Jennifer Eberhardt wollte ich schon länger was machen. Sie ist eine so versierte, kreative Fotografin mit einem wunderbar-intuitiven ästhetischen Gespür und irre geduldig. Die gemeinsame Arbeit war dann noch schöner, als ich erwartet hatte. Außerdem hatte ich schon lange vor, eine Beziehungsgeschichte zwischen zwei Ländern zu erzählen und hatte mich ewig danach gesehnt, einen Film auf Französisch zu drehen. Hier kam also vieles zusammen.«

In deinem Film geht es um ein Paar, das nach einer jahrelangen Trennung einen zweiten Anfang wagt. Magst du mir etwas über die Geschichte der beiden erzählen?

»Gern. Laurent und André haben sich kurz vor der Jahrtausendwende in Paris kennen gelernt und sich sofort ineinander verliebt. Ein coup de foudre sozusagen. André hat daraufhin sein Leben in Deutschland aufgegeben, ist zu Laurent nach Paris gezogen, hat dort Französisch gelernt und seine Ausbildung gemacht. Die beiden waren zehn Jahre ein Paar, bevor André sich trennte und zurück nach Berlin ging. Sie hatten sich voneinander entfernt, es gab zu viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Als sie sich dann nach mehreren Jahren zum ersten Mal wieder gegenüber sitzen, sagt André: ›Das erste und das letzte Jahr mit uns beiden habe ich gehasst. Das erste, weil ich mir nicht sicher war, ob du mich wirklich liebst, und das letzte, weil ich mir nicht sicher war, ob ich dich noch liebe.‹ Trotz der beiderseitigen Verletzungen und der Traurigkeit gibt es jedoch sehr viel, das die beiden eint. Sie pflegen einen vertrauten und zugleich spielerisch-flirtiven Umgang miteinander, und nach einer langen, intensiven Auseinandersetzung beschließen sie, dass ihre Gefühle und ihre Bindung zueinander zu groß sind, um sie brachliegen zu lassen. Sie beschließen einen Neustart, aber nicht auf eine romantische oder verkitschte Weise, sondern ganz bewusst, jeder ganz bei sich.«

Was gefällt dir an der Geschichte am meisten?

»Die Klarheit. Laurent und André sind sich ganz klar darüber, was sie wollen und im Gespräch diesbezüglich total offen. Schon zu Beginn des Films, wenn Laurent André in Berlin anruft und seinen Besuch ankündigt, ist beiden klar, wohin das führt. Natürlich haben sie auch Angst, aber anstatt zu verdrängen oder dem anderen etwas vorzuspielen, reden sie ganz offen über ihre Befangenheiten und Ängste. Das gibt dem Neuanfang eine ganz besondere Qualität. Sie haben gelernt, aufeinander zu hören und tun den neuen Schritt mit Humor und Behutsamkeit.«

Laurent Delpit als Laurent

Behutsamkeit scheint in Schlüsselwort für dich zu sein. Alex und der Löwe schlug einen ganz ähnlichen Ton an.

»Jeder, der schon einmal geliebt und Liebesschmerz erfahren hat, kennt das doch: ›Beim nächsten Mal bin ich vorsichtiger, da passe ich besser auf!‹ Das ist ein ganz natürlicher Gedanke. Alex wurde bitter enttäuscht, weiß nicht, ob er seinen Gefühlen noch trauen kann und möchte die Geschichte mit Leo von daher behutsam angehen. Das funktioniert in der Praxis natürlich nicht. Man kann sich nicht schützen. Wenn man liebt, ist man verletzlich, das Risiko muss man eingehen. Die Gefahr ist immer da, ganz egal, ob man es langsam oder schnell angeht. Man muss sich öffnen, um das Glück zuzulassen. Aber grundsätzlich ist es nicht verkehrt, sich Zeit zu lassen, das Gegenüber peu à peu kennen zu lernen, einander ein Weilchen zu umtanzen. Das hat ja auch eine erotische Komponente. Ich finde es bedauerlich, dass man heutzutage vor lauter Sex die Erotik kaum noch wahrnimmt. Bei vielen ist das leider so.«

Wo liegt für dich der Unterschied zwischen Sex und Erotik?

»Erotik muss überhaupt gar nichts mit Sex zu tun haben, ist viel feiner und ist vor allen Dingen eine Sache, die man geistig erfährt. Früher, in der Schule, als man die ersten Zigaretten rauchte, empfand ich zum Beispiel den Augenblick des Feuergebens ungemein erotisch: Das Neigen der Köpfe über der Flamme, diese Nähe, das Aufglühen der Zigarette, der erste tiefe Zug, der erste Rauch, gemeinsam geteilt, dann dieses Sichaufrichten und Danke sagen, als hätte es diesen Augenblick der Intimität nie gegeben. Das habe ich damals weitaus mehr genossen als das Rauchen an sich. Oder barfuss über eine frisch gemähte Wiese spazieren. Kochen, essen, Natur erfahren. Lesen. Musik hören. In einer Tätigkeit ganz konzentriert aufgehen, das ist auch aufregend, ich erlebe diese Momente gerne und genieße es, Menschen ganz bewusst zuzusehen. Es gäbe so viel zum Thema Erotik zu erzählen…«

In einem Satz!

(lacht) »Erotik ist das, was vor und nach dem Sex geschieht. Okay?«

Damit kann ich was anfangen. Für Laurent und André spielt Sex aber auch eine wichtige Rolle.

»Guter Sex verbindet ja auch. Ich sehe da keinen Widerspruch. Sex war etwas, das bei den beiden von Anfang an wunderbar funktioniert hat. Wieso also nicht dort andocken?«

Das Ende des Films hast du offen gelassen. Was glaubst du persönlich, wie es mit den beiden weitergeht?

»Ich denke, wenn es einmal einen solchen Bruch gegeben hat, bedarf es einer außerordentlichen Anstrengung, das Loch zu kitten, aber wenn man das geschafft hat, wenn das Vertrauen wieder neu hergestellt ist, dann kann einen praktisch nichts und niemand mehr trennen. Ich glaube, die beiden werden die Herausforderung meistern und zusammen alt werden.«

Was wird sich ändern müssen?

»Ganz wesentlich ist, dass André mehr bei sich bleiben wird. Er wird nicht mehr den Fehler machen und seine Eigenständigkeit zugunsten dieser Beziehung hintanstellen. Laurent wird das akzeptieren und im Gegenzug einen Schritt auf André zugehen müssen. Es muss eine Ausgewogenheit hergestellt werden, und das bedeutet in diesem konkreten Fall auch, dass die beiden vorerst eine Fernbeziehung leben müssen.«

Schwierig…

»Aber nein, wieso denn?«

Glaubst du, dass Fernbeziehungen wirklich funktionieren?

»Meine Eltern, die inzwischen seit 42 Jahren verheiratet sind und davor schon sieben Jahre zusammen waren, führten über 30 Jahre eine Wochenendbeziehung. Ich weiß also mit Bestimmtheit, dass das funktioniert. Ich selbst habe mehrere Jahre eine Fernbeziehung gelebt. Das hat, wie jedes Beziehungskonzept, natürlich seine Vor- und Nachteile.«

Das interessiert mich jetzt! Was sind denn die Vorteile?

»Die Abnutzungserscheinungen, die ein gemeinsamer Alltag einer Beziehung zufügt, kommen nicht so schnell zum tragen, die Sache bleibt länger frisch. Man lernt, seine Sehnsucht auszuhalten, das kann auch sehr genussvoll sein. Man bewahrt sich seine Eigenständigkeit, hat mehr Zeit und Raum für sich, ein Gefühl der Freiheit, obwohl man in festen Händen ist. Das ist schon toll. Der Nachteil ist, dass man an Spontaneität verliert, organisieren und planen muss und recht hohe Telefonrechnungen hat. Das erfordert Disziplin, klar, aber ich halte auch Disziplin für etwas Gutes. Ich bin der Überzeugung, dass eine räumliche Distanz einer aufrichtigen Liebesverbindung nichts anhaben kann. Im Fall von Laurent und André definitiv nicht mehr, die beiden kennen und lieben sich seit 13 Jahren.«

Das Team beim Dreh

Sind 13 Jahre nicht eine unvorstellbar lange Zeit für eine schwule Partnerschaft? Wie ist das bei euch, was sind die größten Unterschiede zu einer heterosexuellen Beziehung?

»In einer Statistik war mal die Rede davon, dass die durchschnittliche Homo-Beziehung ungefähr drei Monate dauert. Daran gemessen sind 13 Jahre eine wirklich unglaubliche Leistung, ja. (lacht) Ich weiß nicht, wenn ich mich so umhöre, gibt es unheimlich viele schwule Männer, die eine Art Ein-Jahres-Rhythmus leben: sie lernen jemanden kennen, beginnen sofort eine Beziehung, das ist selbstverständlich schön und aufregend, nach einem halben Jahr jedoch flaut die erste Verliebtheit ab, die ersten Anzeichen der Routine werden erkennbar, und die Herren werden unzufrieden. Anstatt sich dann konstruktiv mit dem Partner auseinanderzusetzen, beenden sie die Sache und suchen sich den nächsten. Das scheint sehr weit verbreitet zu sein, ist aber bei den jüngeren Heteros sicher nicht so viel anders, oder?«

Das kann schon sein.

»Der nennenswerteste Unterschied zu einer Hetero-Beziehung hat mit den Rudimenten der eigenen Homophobie zu tun, mit mangelnder Selbstakzeptanz und Projektion. Außerdem prallt da viel Testosteron aufeinander, und Testosteron ist in höheren Dosierungen leicht giftig. (lacht) Aber ich bin, was die Liebe angeht, ein Optimist: Wir Menschen wollen doch schließlich alle lieben und geliebt werden, wir sind lernfähig und bemühen uns. Und jede zwischenmenschliche Begegnung kommt früher oder später an den Punkt, an dem sie eine Herausforderung wird.«

Auf deinem Blog konnte ich lesen, dass dir die Arbeit an diesem Film großen Spaß gemacht hat.

»Ja. Es war eine herrliche Erfahrung — und zu diesem Zeitpunkt meines Lebens eine sehr wichtige dazu. Es war wie ein langes, ausgedehntes Frühstück im Bett. Ich war traurig, als es vorbei war.«

Du bereitest schon die nächsten Projekte vor?

»Ja, bis Anfang 2014 werde ich gut beschäftigt sein. Aber ich kann leider noch nicht ins Detail gehen, da musst du noch etwas Geduld haben.«

Auf alle Fälle wünsche ich dir, dass Le deuxième commencement gut ankommt.

»Dank dir recht herzlich, ich bin auch sehr gespannt auf die ersten Reaktionen.«

André und Laurent in einem nostalgischen Moment