Filmtipp #672: Die glitzernden Garnelen

Die glitzernden Garnelen

Originaltitel: Les crevettes pailletées; Regie: Maxime Govare, Cédric Le Gallo; Drehbuch: Maxime Govare, Cédric Le Gallo, Romain Choay; Kamera: Jérôme Alméras; Musik: Thomas Couzinier, Frédéric Kooshmanian; Darsteller: Nicolas Gob, Alban Lenoir, Michaël Abiteboul, David Baïot, Romain Lancry. Frankreich 2019.

Schwimmende Männer waren in den vergangenen Jahren Garanten für erfolgreiche Komödien made in Europe: »Allt flyter« (Regie: Måns Herngren), »Le grand bain« (Regie: Gilles Lellouche, mit Mathieu Amalric) und »Swimming with Men« (Regie: Oliver Parker, mit Rupert Graves) schnitten bei Kritik und Publikum recht gut ab. »Les crevettes pailletées« bedient sich desselben Settings, transferiert das Sujet jedoch in einen queeren Rahmen und fußt zumindest teilweise auf realen Erlebnissen des (Co-)Regisseurs Cédric Le Gallo, der seit Jahren Mitglied der echten »glitzernden Garnelen« ist und nach eigener Aussage aus einem reichen Fundus schöpfen konnte. Für die filmische Aufbereitung seiner Geschichte tat er sich mit dem erfahreneren (und heterosexuellen) Komödien-Spezi Maxime Govare zusammen.

»Les crevettes pailletées« ist ein gefälliger, liebevoll gestalteter und gespielter Film, der nach gängigen Mustern arbeitet und dem anspruchslosen schwulen Publikum reichlich Männerfleisch in Badehöschen präsentiert. Nicolas Gob, in Frankreich als harter Cop in diversen TV-Serien bekannt, mimt den Vize-Schwimmweltmeister Matthias, der nach einer homophoben Äußerung während eines Interviews von seinem Sportverband dazu verdonnert wird, eine schwule Wasserball-Mannschaft zu trainieren. Ziel ist die Teilnahme bei den Gay Games in Kroatien. Der engstirnige, aber engagierte Sportler trifft auf eine quietschbunte Garde exaltierter homophiler Männer, die mit Wasserball kaum was am Hut haben, sondern lieber die Wasserchoreographien der Transsexuellen Fred (Romain Brau aus »Where Horses Go to Die« von Hickling) einstudieren. Die Wettkämpfe sehen sie eher als Urlaubsspaß und Fleischbeschau. Für den irritierten Matthias beginnt eine harte Zeit, in welcher er jedoch die Gelegenheit hat, die unterschiedlichen Männer besser kennen zu lernen und seine Vorurteile zu überwinden… In einem Nebenstrang der Handlung spielt Matthias’ Verhältnis zu seiner halbwüchsigen Tochter eine nicht unerhebliche Rolle.

In »Les crevettes pailletées« dreht es sich um Freundschaft und Gemeinschaftsgeist sowie um das Annehmen der eigenen Identität. So kämpft beispielsweise der rothaarige Michaël Abiteboul als Cédric mit seiner neuen Rolle als Ehemann und Vater, während Alban Lenoir (Jean) versucht, mit seiner Krankheit — er hat Knochenkrebs — zurecht zu kommen. Geoffrey Couët (aus Théo et Hugo dans le même bateau), Roland Menou, Félix Martinez, Arthur Gillet und Benoît Maréchal spielen kleinere, aber prägnante Rollen, während uns musikalisch Bonnie Tyler und Sabrina (»Boys, Boys, Boys«) um die Ohren gehauen werden. In einer besonders rührenden Szene gibt es das berühmte Duett von Garou und Céline Dion als Playback-Nummer in einer deutschen Kneipe. So simpel der Film auch gestrickt ist, so effizient funktioniert er auch als Wohlfühlfilm für verregnete Nachmittage. Der Rezensent Alexandre Lazerges verglich den Streifen mit der italienischen Komödie »Palombella rossa« (Regie: Nanni Moretti), »The Full Monty« (Regie: Peter Cattaneo) sowie dem australischen Klassiker »The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert« (Regie: Stephan Elliott). Aus dem großen, pampigen Einheitsbrei der LGBTQ-Komödien der letzten Jahre dürfte »Les crevettes pailletées« ein Werk sein, das noch ein ganzes Weilchen herausragen wird. Ein absoluter Tipp!

André Schneider

Filmtipp #671: Crazy Love – Liebe schwarz auf weiß

Crazy Love — Liebe schwarz auf weiß

Originaltitel: Secret Admirer; Regie: David Greenwalt; Drehbuch: Jim Kouf, David Greenwalt; Kamera: Victor J. Kemper; Musik: Jan Hammer; Darsteller: C. Thomas Howell, Lori Loughlin, Kelly Preston, Dee Wallace [Dee Wallace Stone], Fred Ward. USA 1985.

Niemand konnte sich vor 35 Jahren für diese typische Teenie-Komödie erwärmen, die oberflächlich betrachtet auf einer Riesenwelle ähnlich gestrickter Werke mitritt und schlicht und ergreifend im Gewusel unterging. Die »New York Times« arbeitete sich an den plumpen Dialogen und der nicht immer stimmigen Atmosphäre ab, während andere Rezensenten die »klischeehafte, vorhersehbare Handlung« und die »naiv gestrickten Erwachsenencharaktere« monierten. Für David Greenwalt, der sich als junger Autor bereits etabliert hatte, bedeutete dieser erste Ausflug ins Regiefach einen herben Tiefschlag, dem später mit seinem zweiten Film »Rude Awakening« (1989) ein weiterer folgen sollte, weshalb er seither nur noch beim Fernsehen Beschäftigung findet. Den Umstand, dass »Secret Admirer« so unbekannt geblieben ist, machte sich 2016 ein Regisseur aus Puerto Rico zunutze und drehte — ohne Genehmigung der eigentlichen Urheber — ein Bild-für-Bild-Remake (mitsamt wortwörtlicher Übernahme der Dialoge) und gab das Werk als sein eigenes aus; »Vasos de papel«, so der Titel des dreisten Dublikats, wurde ziemlich erfolgreich. Dummerweise wurden Regisseur und Produzent, nachdem der Schwindel aufgeflogen war, ebenso erfolgreich verklagt.

Die Handlung von »Secret Admirer« weist deutliche Parallelen zu »Cyrano de Bergerac« auf. Auch hier lässt sich der völlig unpoetische Held (Howell) in Liebesbrief-Angelegenheiten von einer schreibbegabten Freundin (Loughlin) unter die Arme greifen. Während »Cyrano de Bergerac« ins Dramatische driftet, bleibt »Secret Admirer« den Gesetzen der Komödie treu. Stringent, aber einfallslos inszeniert, schippert die Verwechslungskomödie vor einer hanebüchenen Situation zur nächsten, als der erste Liebesbrief fröhlich auf Wanderschaft geht und immer wieder in falschen Taschen gefunden wird. So kommt es zu Eifersüchteleien, Ehekrisen und Herzschmerz. Im Zentrum steht die allseits umschwärmte Kelly Preston, jüngst an Krebs verstorben, die sich als oberflächliche, selbstverliebte Zicke entpuppt. Die von Jan Hammer komponierte Musik ist very eighties, aber wirklich schön. Komplett in Burbank gedreht, kommt »Secret Admirer« sehr kalifornisch daher. Es fehlen nur noch die Surfbretter. C. Thomas Howell agierte hier zum zweiten Mal an der Seite seines Vaters, der als Stuntman im Business tätig war, und erledigte all seine Stunts selber — so auch den Sprung in den Hafen von Long Beach am Ende des Films.

Die Besetzungsliste liest sich ein who is who des US-amerikanischen Kinos der 1980er: Fred Ward, der bald darauf in »Tremors« (Regie: Ron Underwood) groß herauskommen sollte, Dee Wallace, die es ansonsten regelmäßig mit Außerirdischen, Werwölfen oder bissigen Bernhardinern zu tun hatte, Leigh Taylor-Young und Cliff De Young sind die infantilen Erwachsenen in dieser Posse, während unter den Jugendlichen Doug Savant, John Terlesky, Scott McGinnis, J.J. Cohen, Courtney Gains und der arme Corey Haim mit von der Partie sind. C. Thomas Howell, während der Dreharbeiten 18 Jahre jung und nach populären Filmen wie »E.T. the Extra-Terrestrial« (Regie: Steven Spielberg), »The Outsiders« (Regie: Francis Ford Coppola) und »Red Dawn« (Regie: John Milius) im Zenit seiner Popularität, gab hier seinen Einstand in einer komischen Rolle. Seine Karriere auf der A-List flachte allzu bald ab, dafür hat er heute weit über 200 Titel aus der B- und C-Liga in seinem Lebenslauf. Kelly Preston, die später als John Travoltas Ehefrau bekannt wurde, gibt eine witzig übersteigerte Vorstellung — es macht richtig Spaß, sie zu hassen. Letzten Endes gehört der Film jedoch Lori Loughlin, die in ihrer Rolle unheimlich süß und berührend ist. Sie machte später eine TV-Karriere und sorgte zuletzt für Negativ-Schlagzeilen, als sie und ihr Mann sich vor Gericht behaupten mussten: Sie hatten die University of Southern California bestochen, damit diese ihre beiden Töchter aufnahm. Das Gerichtsurteil steht noch aus.
Ich habe »Secret Admirer« in den frühen 1990ern gesehen und hatte sehr viel Spaß. Unlängst kaufte ich ihn mir im Doppelpack mit »Class« (Regie: Lewis John Carlino), dessen Drehbuch ebenfalls von David Greenwalt und Jim Kouf verfasst worden war und der mit Rob Lowe, Andrew McCarthy und Jacqueline Bisset ebenfalls drei Stars der 1980er in den Hauptrollen vereinte. Beide Filme erinnern mich zuweilen an Filme wie Just One of the Guys, den ich sehr mag.

André Schneider

18. August 2020

Besorgnis. Eigentlich wegen allem. Da sind die steigenden Fallzahlen und die Befürchtung, dass ein zweiter Shutdown vor der Türe steht. Dann die Leute, die im Netz und bei Versammlungen freidrehen und (gefühlt) immer mehr werden, die Angst vor den wirtschaftlich-politischen, sozialen und psychischen Folgen des Ganzen sowie die Angst vor der Krankheit selber. Die Hitzewelle, die mich mürbe macht. Sorgen ob der Finanzen und die daraus resultierende Nervenbelastung: sparen, abzählen, auf Monatswechsel warten. Angst vor unerwarteten Kosten. Immer wieder Alpträume, dass ich durch die Prüfungen rassele. Der Grusel davor, plötzlich vergesslich zu werden. Alles kommt abhanden. Bin seit fast drei Jahren in diesem Beruf und habe zuweilen das Gefühl, noch nichts zu wissen. Noch 22 Wochen bis zu den Zeugnissen. Die Facharbeit ist gerade zu einem Drittel fertig; das Dokument muss unentwegt neu formatiert werden, was den Schreibfluss ziemlich hemmt. Veränderungen auf der Arbeit, das Vermissen von Kolleginnen, die wetterbedingte Abgeschlagenheit, die mittlerweile belastende Wohnsituation. Insgesamt eine olle Zeit für mich gerade.
2020 ist im Prinzip für mich abgehakt. Reisen werde ich nur noch zum 70. Geburtstag meiner Mama und zu Weihnachten. Hoffe, 2021 wieder mal nach Frankreich und Belgien zu kommen, und vielleicht ist sogar ein Flug nach Madrid drin. Wir werden sehen.

Sommer 2020 im Treptower Park.

Traf mich am Samstag zu einem gemütlichen Abendessen in Kreuzberg, das zu einer Reise in die Vergangenheit wurde. Im Anschluss stöberte ich etwas bei Amazon und IMDb.com und war erstaunt, wie viele Profile eine einzelne Person angelegt hat, um sich selbst gute und mir schlechte »Kritiken« zu schreiben. Ich war beinahe gerührt, hatte ich mich bislang als gar nicht so wichtig empfunden. Wie heißt es so schön: Komödie ist Tragödie plus Zeit. Ich war erleichtert, darüber schmunzeln zu können. Letzten Endes kann ich dieser Person sogar dankbar sein, denn sie hat einen Prozess beschleunigt, der sich bereits zaghaft abgezeichnet hatte; wäre sie nicht gewesen, würde ich heute immer noch Schauspieler sein.

Am 22. August werde ich um 19:30 Uhr aus Sie7en lesen. Ihr könnt die Lesung online verfolgen; es würde mich sehr freuen, Euch zu sehen. Bis dahin wünsche ich Euch eine angenehme Woche,

André