Filmtipp #537: Schwere Jungen, leichte Mädchen

Schwere Jungs, leichte Mädchen

Originaltitel: Guys and Dolls; Regie: Joseph L. Mankiewicz; Drehbuch: Joseph L. Mankiewicz; Kamera: Harry Stradling Sr. [Harry Stradling]; Musik: Frank Loesser; Darsteller: Marlon Brando, Jean Simmons, Frank Sinatra, Vivian Blane, Robert Keith. USA 1955.

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Zwei Glücksspieler, Sky Masterson (Brando) und Nathan Detroit (Sinatra) schließen eine Wette ab: Sollte es Sky gelingen, die zugeknöpfte Sarah Brown (Simmons), ihres Zeichens Sergeant bei der Heilsarmee, dazu zu bringen, mit ihm für einen Abend nach Havanna zu fliegen, kassiert er das stattliche Sümmchen von 1.000 Dollar. Das schüchterne Mädchen kann auch tatsächlich zu der Aktion überredet werden — allerdings stellen sich Komplikationen ein, als sich die beiden ineinander verlieben. Nathan hat derweil Trubel mit seiner Verlobten, der Nachtclubsängerin Miss Adelaide (Blaine), die ihrer Tätigkeit müde geworden ist und ihren Verlobten drängt, sich endlich ehrliche Arbeit zu suchen…

Bis November 1953 wurde das Musical am Broadway 1.200 Mal gespielt und war damit einer der größten Theatererfolge der US-amerikanischen Nachkriegsjahre. Samuel Goldwyn sicherte sich die Filmrechte und ließ sich das Vorhaben satte sechs Millionen kosten. Gedreht wurde vom 14. März bis zum zum 9. Juli 1955 in den Goldwyn Studions in West Hollywood. Als Stars hatte der Produzent Gene Kelly und Deborah Kerr anvisiert, doch MGM ließ Kelly nicht aus seinem Vertrag, und Kerr wurde von Regisseur Mankiewicz abgelehnt. Marilyn Monroe bemühte sich ebenfalls vergebens um den Part. (Mankiewicz hatte bei »All About Eve« (1950) bereits ihre Bekanntschaft gemacht und war, entsetzt über ihre Unprofessionalität, nicht gewillt, ein zweites Mal mit ihr zu arbeiten.) Auch Grace Kelly zeigte Interesse. Schließlich ging Goldwyn das nicht unwesentliche Risiko ein, mit Marlon Brando und Jean Simmons zwei Schauspieler unter Vertrag zu nehmen, die über keine tänzerischen oder gesanglichen Erfahrungen verfügten. Während bei anderen Musicals wie beispielsweise West Side Story die Stars von professionellen Sängern stimmlich gedoubelt wurden und lediglich ihre Lippen synchron zum Playback bewegen mussten, sangen Brando und Simmons höchstpersönlich und schlugen sich prächtig. Von der Broadway-Besetzung wurden Vivian Blaine, Stubby Kaye, Johnny Silver und B. S. Pully mit ins Boot geholt. Und dann war da noch Frank Sinatra, der gerne Sky Masterson gespielt hätte und von Goldwyn mit der Nathan Detroit-Rolle abgespeist wurde. Er verzieh Brando zeitlebens nicht, dass dieser »seine« Rolle spielen durfte. Noch 1996 schimpfte er über seinen Kollegen: »He is the most overrated actor in the world.« — Während der Dreharbeiten kam es zu Zank und Streit zwischen den beiden männlichen Stars. Sinatra hasste Brando, und dieser machte sich einen Spaß daraus, seinem Kollegen Streiche zu spielen: Sinatra war bekannt dafür, nur einen oder zwei Takes zu benötigen, während Brando es liebte, sich über mehrere Takes hinweg »einzuspielen«. Ein amüsantes Beispiel ist die Szene, in der Sky und Nathan sich zum ersten Mal treffen. Sinatra isst in dieser Szene Käsekuchen. Sinatra mochte keinen Käsekuchen. Brando wusste das und sorgte dafür, dass die Szene so oft wiederholt werden musste, bis Sinatra schließlich so übel geworden war, dass der Drehtag vorzeitig beendet werden musste. Am nächsten Morgen dann wurde die Szene in nur einem Take perfekt abgedreht. (Brando hatte Sinatra bereits die Hauptrolle in »On the Waterfront« (Regie: Elia Kazan) weggeschnappt und sollte es 1972 noch ein drittes Mal tun, als er den Zuschlag für »The Godfather« (Regie: Francis Ford Coppola) erhielt — ein Part, um den sich Sinatra schwer bemüht hatte.)

»Guys and Dolls« zählt heute zu den Musical-Klassikern, hat allerdings einige Schwachpunkte, die den Kritikern seinerzeit schon auffielen. So oblag es keinem Geringeren als dem großen Stephen Sondheim, die Verfilmung der Broadway-Sensation genüsslich zu zerreißen: »Sinatras phantasielose Darbietung, sein sorgloser und linkischer Versuch, die Rolle auszufüllen, schaden dem Film nicht nur gewaltig, sondern deuten auch auf einen beunruhigenden Mangel an Professionalität hin.« Zudem ließ er sich über den zweiten großen Minuspunkt der verschwenderisch teuren Produktion aus, nämlich die Bauten: »Scheinbar konnten Samuel Goldwyn, Joseph Mankiewicz und Mr. Smith [Oliver Smith zeichnete für die Bauen verantwortlich, Anm. d. A.] sich nicht entscheiden, ob die Kulissen realistisch oder stilisiert sein sollten. Folglich weisen sie die Nachteile von beiden auf.« — Dem Film ist eine merkwürdig unpassende Ästhetik zu eigen. Der gemalte Hintergrund, welcher den Broadway und den Times Square zeigen soll, mag im Theater das passende Mittel zur Wahl sein, wirkt aber auf der Leinwand störend. Dieser Eindruck wird noch verschlimmert, da die »Straße« und die diversen Interieurs vor dem gemalten Hintergrund paradoxerweise gleichzeitig überfüllt und leer wirken: zu stark ausgeleuchtet, zu sauber, zu ordentlich, zu sehr Studio, aber nicht stilisiert genug, um als visueller Coup durchzugehen. Samuel Goldwyn verabscheute Schmutz, und »Guys and Dolls« war nicht der erste Streifen, den er zu hygienisch gestalten ließ. »Guys and Dolls« bekommt durch seine Ausstattung ein aseptisches, langweiliges Flair. Brando-Biograph Richard Schickel brachte es auf den Punkt, als er schrieb: »Insgesamt besitzt der Film nicht die rohe Energie der Broadwayversion: Vorsichtig, wenn er auf den Putz hauen, und prüde, wenn er knallig sein sollte, fehlt ihm das Gefühl von Trubel und Gedränge, das jede Darstellung vom Milieu, so stilisiert sie auch sein mag, braucht.« — Trotz der gemischten Kritiken spielte Mankiewicz’ Streifen weltweit satte 20 Millionen Dollar ein und war damit der größte Kassenschlager der Kinosaison 1955/1956. Darüber hinaus stand »Guys and Dolls« in vier Kategorien auf der Oscar-Nominierungsliste und gewann zwei Golden Globes: einen gab es für die zauberhafte Jean Simmons, die sichtlichen Spaß an ihrer Rolle hatte, und einen zweiten schließlich als Bester Film (Komödie oder Musical). Marlon Brando rutschte in den Folgejahren in ein Karrieretief, das sich gut 15 Jahre hinzog und ihn zunehmend deprimierte; bis Anfang der 1970er waren seine Filme entweder kommerzielle oder künstlerische Fehlschläge, meistens sogar beides.

André Schneider