Filmtipp #756: …denn keiner ist ohne Schuld

…denn keiner ist ohne Schuld

Originaltitel: The Oscar; Regie: Russell Rouse; Drehbuch: Harlan Ellison, Russell Rouse, Clarence Greene; Kamera: Joseph Ruttenberg; Musik: Percy Faith; Darsteller: Stephen Boyd, Elke Sommer, Milton Berle, Eleanor Parker, Joseph Cotten. USA 1966.

»Do you know what I do, Hymie? I count nights. I found a Freudian substitute for counting sheep. I count empty nights.« (Kay Bergdahl)

Ein Film über den Aufstieg und Fall eines Arschlochs. Die Anfangssequenz von »The Oscar« entstand während der echten Oscar-Verleihung des Jahres 1965, als »My Fair Lady« (Regie: George Cukor) der große Abräumer des Jahres war. Titel und Setting verraten es: »The Oscar« ist ein Streifen aus, von, über und für Hollywood. Das Ziel war wohl, sich kritisch und differenziert mit dem Showbiz auseinanderzusetzen, doch ähnlich wie der kurz darauf entstandene Valley of the Dolls scheiterte dieses edel aussehende Melodram auf grandios-komische Weise an seinem Anspruch. Einer der Drehbuchautoren, Harlan Ellison, soll bei der Uraufführung des Films weinend in seinem Kinosessel zusammengesackt sein. Dabei hatte man bei der Paramount weder Kosten noch Mühen gescheut, um aus dem Stoff etwas Großes zu machen. Aber kommen wir zunächst zur Handlung: Frank Fane (Boyd) ist für seinen Erfolg als Hollywood-Star buchstäblich über Leichen gegangen. Ein unangenehmer Zeitgenosse, rücksichtslos und narzisstisch durch und durch. Vor allem die Frauen in seinem Leben (Elke Sommer, Jill St. John, Eleanor Parker, Jean Hale und andere) mussten auf seinem Weg nach oben schwer unter seinem Ego leiden. Nun steht er als Bester Hauptdarsteller auf der Anwärterliste für den wichtigsten Preis der US-amerikanischen Filmindustrie und ist vor Freude over the moon. Während Fane im Auditorium auf die Verlesung seines Namens wartet, erzählt sein alter Freund Hymie Kelly (Tony Bennett) in Rückblenden die unrühmliche Vergangenheit des Oscar-Aspiranten. Frank hatte als Ansager in einem Striptease-Schuppen angefangen, wo seine Freundin Laurel (St. John) die Hüllen fallen ließ. Nach einer Schlägerei mit dem Chef des Etablissements wurden Laurel, Hymie und Frank fälschlicherweise verhaftet und machten sich nach ihrer Entlassung auf den Weg nach New York. Laurel, die inzwischen ein Baby von Frank erwartete, wurde für die Designerin Kay Bergdahl (Sommer) sitzen gelassen, die ihm die Schauspiellehrerin Sophie Cantaro (Parker) vorstellte. Diese trieb, geblendet von Franks gutem Aussehen, seine Karriere voran, verschaffte ihm einen Manager (Berle) und einen Vertrag mit dem Hollywood-Produzenten Kenneth H. Regan (Joseph Cotten sieht in seiner Rolle aus, als leide er unter schmerzhaftesten Verstopfungen!). Bald war Frank geradezu süchtig nach Publicity und Extravaganz, Ruhm und Luxus. Er sorgte dafür, dass die Geschichte seines entbehrungsreichen Aufstiegs vom Underdog zum Superstar pressewirksam lanciert wurde und erfuhr mehr so nebenbei, dass Laurel in der zwischenzeit gestorben war. Er und Kay heirateten in Tijuana, aber ein guter Ehemann war Frank nie. Sein überhebliches Auftreten bescherte ihm viele Feinde. Familie und Freunde sagten sich von dem geltungssüchtigen Fiesling los, der nun alleine bei der Oscar-Verleihung sitzt. Vor seiner Nominierung war er in einem Tief angelangt: Er sei box office poison, sein letzter Film war ein Flop, das Studio hatte ihn fallen gelassen. Er war gerade für eine TV-Serie verpflichtet worden, schmiss den Job jedoch sofort hin, als er von seiner Oscarnominierung erfuhr. Um seine Sympathiewerte noch zu steigern, engagierte er einen Privatdetektiv (Ernest Borgnine), der die Geschichte seiner irrtümlichen Verhaftung von anno dazumal noch einmal für die Presse aufbereiten sollte. Der Detektiv jedoch entpuppte sich als Erpresser…
Merle Oberon betritt das Podium, um den Gewinner in der Sparte Bester Hauptdarsteller zu verlesen. Frank hört seinen Vornamen, springt auf und will zur Bühne — um entsetzt festzustellen, dass nicht er, sondern Frank Sinatra gemeint war.

Glänzend produziert und ausgestattet, stand »The Oscar« 1967 selbst in zwei Kategorien (Beste Kostüme und Beste Farbausstattung) auf der Nominierungsliste für den Academy Award. Der Film basiert lose auf einer peinlichen Geschichte, die sich 1934 zugetragen haben soll. Damals hatte Will Rogers den Oscar für die Beste Regie vergeben: Frank Capra stand bereits stolz auf der Bühne, als er merkte, dass nicht er, sondern Frank Lloyd den Preis gewonnen hatte. Was hätte man aus dieser Story für einen Film machen können!
Dabei ist »The Oscar« alles andere als schlecht inszeniert. Es ist eine grelle, auf Hochglanz polierte Großproduktion mit beachtlichen production values. Allein die zahllosen Gastauftritte berühmter Persönlichkeiten verschlangen massenhaft Budget: Hedda Hopper bekam für ihren Auftritt 200.000 Dollar, Edith Head (die auch für die Kostüme zuständig war) 107.000, Bob Hope satte 550.000, Frank Sinatra 100.000 und seine Tochter Nancy weitere 10.000 Dollar. Im Vergleich dazu fielen die Gagen für die Stars des Films beinahe bescheiden aus: Stephen Boyd erhielt 125.000 Dollar, Elke Sommer und Milton Berle jeweils 75.000 Dollar, Tony Bennett 40.000, Eleanor Parker 30.000, Edie Adams 10.000 und Jill St. John, die kurzfristig für Stella Stevens eingesprungen war, mickrige 9.000 Dollar.
Die Schauspielerinnen wurden bis auf Sommer und St. John allesamt durch einen Gaze-Filter aufgenommen, was dem Streifen einen bizarr-irrealen Touch verleiht. Schmusesänger Tony Bennett ist hier in seiner ersten und einzigen Rolle als Schauspieler zu sehen; in seinen Memoiren schrieb er, die Dreharbeiten seien eine Tortur für ihn gewesen. (Dabei waren er und Milton Berle die einzigen, für die die Kritiker lobende Worte übrig hatten!) Neben den bereits erwähnten prominenten Namen waren auch noch Ed Begley, Walter Brennan, Broderick Crawford, James Dunn, Peter Lawford, Pamela Rodgers und Walter Reed mit von der Partie.

»The Oscar« erlebte seine Welturaufführung am 4. März 1966 in New York und startete im Sommer desselben Jahres in ganz Europa und wurde ein solider Kassenerfolg — trotz (oder wegen) der hämischen bis vernichtenden Kritiken. Wer den Film nicht als Drama, sondern als campy Komödie schaut, kann mit »The Oscar« einen Heidenspaß haben! Im »Official Razzie Movie Guide« ist diese Perle bis heute unter den »Top 10 Best Bad Movies of All Time« gelistet. Empfehlung: Als Abschluss eines langen Filmabends nach The Big Cube und Valley of the Dolls schauen!

André Schneider