Der Weihnachtsmarkt auf den Champs-Élysées war bereits aufgebaut, als ich am 19. in Paris ankam. Stundenlange Spaziergänge durch den Nieselregen, vorbei am Jardin des Tuileries und der Comédie Française bis hin zum Boulevard de Ménilmontant. Diesmal bin ich in Reuilly untergebracht, unweit der Porte de Vincennes. Immer wieder bin ich überrascht, wie winzig die Pariser Wohnungen sind, obwohl es bei den Mietpreisen — 30 Quadratmeter zu 1.500 Euro im Monat — natürlich mehr als einleuchtend ist. Mein Zimmerchen ist gemütlich und ruhig, der Vermieter aufmerksam. Mit dem Geruch von frischem Toast und Kaffee geweckt zu werden, ist schon herrlich. Selbst für einen Teetrinker.
In einem Café bei St. Eustache treffe ich Léonard Lasry, der mir in der rue Saint-Honoré ein kleines Geschäft namens Parallèles zeigt. Hier gibt es gebrauchte und neue CDs, teilweise originalverpackt, für zwei bis acht Euro das Stück. Léo, der um meine Liebe für das Französische weiß, drückt mir Alben von Étienne Daho, Keren Ann, Mouzanar, Pierre Lapointe und Jerome Attal in die Hand. Und wir reden. Pausenlos, angeregt, fast fünf Stunden lang. Seine Feinfühligkeit rührt mich ebenso, wie mich seine Integrität als Musiker beeindruckt. »Ein außergewöhnlicher Mann«, denke ich und mache mich beschwingt auf den Weg zu meiner Essenseinladung.
Auf meinen Streifzügen durch die Musikläden erstand ich noch Platten von Raphael, Bénabar, Patrick Fiori (»L’instinct masculin« ist super!), Léo Ferré, Philippe Sarde, Emmanuel Moire und Alex Beaupain. »Le même soleil« von Grégoire ist ein Album, das ich jedem frankophilen Musikliebhaber ans Herz legen möchte. Wer es besitzt, wird monatelang keine neue CD kaufen müssen. Neben Filmen von Argento, Christophe Honoré und Fritz Lang entdeckte ich »Ensemble, nous allons vivre une très, très grande histoire d’amour…« (Regie: Pascal Thomas) und »Douches froides« (Regie: Antony Cordier) — kleine Edelsteine, die gekonnt und mit Liebe geschliffen wurden. Und wieder die wehmütige Frage, warum wir in Deutschland nur einen Bruchteil dessen mitkriegen, was sich in Frankreich musikalisch und kinematographisch tut…
Sonntag dann die Vorführung von Nos jours légers beim Chéries-Chéris Filmfestival. Dass wir so stürmisch und euphorisch empfangen werden würden, hätten Marcel und ich nicht gedacht. (Die Berliner Premiere war zwar freundlich, aber das deutsche Presseecho fast durchweg schlecht gewesen.) Wir waren beide nervös. Ich trug sogar meinen übergroßen weißen Pullover, »weil man sich in dem so gut verstecken kann«. Und jetzt? Der Kinosaal im Forum des images war bis zum letzten Platz ausverkauft, der Applaus frenetisch, wir beide auf der Titelseite eines Pariser Stadtmagazins, der Titel unseres Films fettgedruckt, darunter das Urteil »witzig, prickelnd, gefühlvoll«, im Inneren des Heftes ein zweiseitiger Artikel: eine einzige Lobeshymne. Erfolg! Marcel jagte von einem Fotoshooting zum nächsten, gab Interviews und schüttelte unzählige Hände. Am Abend zuvor war sein Film »Infidèles« (Regie: Claude Pérès) beim Festival gezeigt worden.
Nach der Vorführung, dem Saalgespräch, den Umarmungen und Glückwünschen lernte ich — Léo Lasry sei Dank! — Elisa Point, Philippe Shaft, Triana, Morgan Dulac, den in Frankreich lebenden Tänzer Martin Freudenstein und den Regisseur Hervé Lebrun kennen. Im Les Marronniers wurde ich zu einem köstlichen Abendessen eingeladen, und danach spazierten wir noch bis zwei Uhr morgens durch Paris. Die nassen Straßen schimmerten im magischen Goldglanz der Laternen, es war bitterkalt, und selten habe ich mich so wohl, belebt, vom Glück geküsst und, ja, geborgen gefühlt.
Tags darauf noch mehr positive Resonanz, ein Treffen mit Marcel bei den Leuten von Optimale — und der erfreulichen Ansage, dass sich nun auch andere Filmfestivals in Frankreich und Belgien für Nos jours légers interessieren. Tja, und heute nun lese ich, dass unser Film sowohl bei Pro-Fun (Platz 4) als auch bei Optimale (Platz 3) in den Top 5 der Verkaufscharts ist. Was kann man mehr verlangen?
Zum Abschluss noch ein Geschenktipp für Weihnachten: »Fifth Avenue, 5 A.M.« von Sam Wasson, ein Buch über die Entstehung eines der ganz großen Hollywoodklassiker, wurde von der amerikanischen Presse überschwänglich gefeiert. Ich fand es zufällig bei Brentano’s in der Avenue de l’Opéra, einer besonders einladenden Buchhandlung, in der man nach Herzenslust stöbern möchte.
Blake Edwards’ »Breakfast at Tiffany’s«, seit Teenagertagen einer meiner Lieblingsfilme (Truman Capotes Roman las ich erst Jahre später und verliebte mich noch einmal neu in Holly Golightly und New York), wäre beinahe nicht entstanden. Eine selbständige, lebenslustige Frau wie Holly auf die Leinwand zu bringen, stellte 1960 ein Wagnis dar, auf das sich die Produzenten von Paramount nur widerwillig einließen. Als nach mehreren Anläufen die Arbeit schließlich ernsthaft aufgenommen wurde, sah man sich mit einer ganzen Verkettung von Ärgernissen konfrontiert: Capote wollte die Monroe in der Hauptrolle sehen, Audrey Hepburn fühlte sich fehlbesetzt, Autor George Axelrod musste das Drehbuch wieder und wieder überarbeiten, der Produzent Marty Rackin wollte »that fucking song« (womit er natürlich Mancinis »Moon River« meinte) um jeden Preis herausgeschnitten wissen, es gab Querelen zwischen Edith Head und Hepburns Couturier Givenchy, man konnte sich auf kein passendes Ende einigen, so dass mehrere mögliche Schlussszenen gedreht werden mussten, der japanische Regisseur Akira Kurosawa war (gelinde ausgedrückt) verärgert über Mickey Rooneys Darstellung des Mr. Yunioshi, George Peppard sorgte für unschönen Tumult am Set, und Hepburns Ehemann Mel Ferrer, seit jeher eifersüchtig auf den Erfolg seiner Frau, machte es den Machern ebenso schwer. Schon die Farbe des berühmten Abendkleides war ein Problem: Schwarz wurde vor »Breakfast at Tiffany’s« im amerikanischen Kino nur von den bitches getragen, von Bette Davis zum Beispiel oder Gloria Swanson in »Sunset Boulevard« (Regie: Billy Wilder). Ein nettes Mädchen — wie Doris Day oder Jane Wyman — trug blumige Farben: gelb, rosa oder blau. Als Frau hatte man schließlich vor allem dekorativ zu sein. Schwarz aber vermittelt eine (sexuelle) Selbstsicherheit, die einer »anständigen Amerikanerin« seinerzeit einfach nicht zugestanden wurde. Und dann der eitle, trotz des Protestes von Blake Edwards engagierte George Peppard, der es nicht ertragen konnte, dass die Figuren von Patricia Neal und Hepburn seine Figur in den Schatten stellten, und bei den Produzenten durchsetzte, dass viele von Neals Szenen gekürzt oder komplett gestrichen wurden. (Ein Verhalten, das ich in einer leicht abgewandelten Form unlängst selbst in meinem Leben erdulden musste.)
Wassons Buch liest sich wie ein Abenteuerroman, hat Biss und Herz und vermittelt eindrucksvoll, was für ein Kulturphänomen dieser Film damals schon war. Eine humorvolle Liebeserklärung an einen Film (und seine Macher), der nach der Lektüre dieses Buches noch einmal an Bedeutung gewinnt.
Viel Freude in der Adventszeit, bleibt mir gewogen, ich melde mich wieder.
André