Seitenspiel
Originaltitel: In From the Side; Regie: Matt Carter; Drehbuch: Matt Carter, Adam Silver; Kamera: Matt Carter; Musik: Matt Carter; Darsteller: Alexander Lincoln, Alexander King, William Hearle [Will Hearle], Alex Hammond, Pearse Egan. GB 2022.
Schwule Geschichten aus dem Sportmilieu scheinen das Publikum sehr zu erfreuen, was man an erfolgreichen Werken wie Les crevettes pailletées und diesem Herzensprojekt des jungen Engländers Matt Carter eindrucksvoll sehen konnte. Carter, der früher selbst Rugby gespielt hatte, führte bei seinem Erstlingswerk nicht nur Regie, sondern fungierte auch als Co-Produzent, Co-Autor, Kostümdesigner, Komponist, Kameramann, Casting Director und Cutter und zeichnete außerdem für die Animationen und Spezialeffekte verantwortlich. Bereits vor etlichen Jahren schaltete er auf verschiedenen Plattformen Spendenaufrufe für seinen Liebesfilm, der dann 2022 nach einer der Pandemie und finanziellen Engpässen geschuldeten Verspätung endlich das Licht der Kinos erblickte.
»In From the Side« erzählt die Geschichte von Mark (Lincoln), der im B-Team eines schwulen Rugby-Vereins in Südlondon spielt und sich ausgesprochen gut schlägt. Seine Teamkollegen, vor allem der schüchterne Henry (Hearle), sind auch seine engsten Freunde. Im konkurrierenden A-Team des Vereins spielt Warren (King), der aufgrund einer Beinverletzung kurzfristig ins B-Team wechseln muss. Zwischen Mark und Warren knistert es auf Anhieb. Nach einem verlorenen Spiel wird in einem Nachtclub gefeiert. Dort kommen die beiden zum ersten Mal richtig ins Gespräch. Dann kommt ein Tequila-Shot, dann ein erster Kuss, dann passierte auf der Herrentoilette noch ein bisschen mehr. Am nächsten Morgen wacht Warren in Marks Wohnung auf und eröffnet ihm, dass er in einer festen Beziehung mit seinem Team-Kollegen John (Peter McPherson) ist und dass sie sich nicht mehr wiedersehen werden. Doch das Leben hat andere Pläne, die beiden können nicht voneinander lassen, obwohl auch Mark liiert ist: Er führt mit dem Geschäftsmann Richard (Hammond) eine offene Beziehung mit festen Regeln, die er nach und nach bricht…
Das Schöne an »In From the Side« ist seine Unaufgeregtheit: Es gibt kein Coming Out-Drama, keine tödliche Krankheit, keine Unfälle. Matt Carter erzählt eine ausgesprochen erwachsene Liebesgeschichte, das persönliche und für das Gros der Zuschauer gut nachvollziehbare Dilemma der beiden Frischverliebten steht im Fokus. Beide haben viel zu verlieren — und beide sind in einem Alter, in dem der Selbstfindungsprozess abgeschlossen ist und man für sich und seine Entscheidungen geradestehen muss. Sowohl Mark als auch Warren sind unentschlossen, wie sie sich entscheiden sollen. Diesem Umstand begegnet Carter wertfrei, er lässt uns als Zuschauer lediglich daran teilhaben und erlaubt es uns, eine eigene Haltung zu finden. Das Hauptdarsteller-Duo King und Lincoln spielt glaubhaft und mit einer erfrischenden Leichtigkeit, die in Anbetracht des Sujets und des Genres bemerkenswert ist. Es ist eine Freude, den beiden zuzusehen.
Gestalterisch stechen vor allem die Szenen auf dem Rugby-Feld hervor. Carters Kameraarbeit in diesen Sequenzen ist exquisit! Man spürt die Kälte, den Regen, den Schlamm. Die Schnitte sind dynamisch, die Zeitlupen klug gesetzt, sodass diese Szenen besonders intensiv und kurzweilig geraten sind. Darüber hinaus gibt es drei weitere Sequenzen, die durch ihre sorgfältige Gestaltung bestechen: Die Szene auf dem Rummelplatz, wo die Achterbahnfahrt mit den vielen bunten Lichtern geradezu hypnotisch-verwirrend eingefangen wird — metaphorisch für den Gefühlszustand der Protagonisten. Dann ist da die Sexszene im Hotelzimmer in Cardiff, deren Lichtsetzung so schmeichelhaft-warm ist, dass man große Lust bekommt, dabei zu sein. (Marlene Dietrich: »Sex is a question of light.«) Die dritte Szene ist die Weihnachtscollage mit Marks Eltern, in welcher der Zuschauer ein Stückchen heile Welt vermittelt bekommt.
Das Skript hat leider auch einige Schwächen. So sind etwa einige der Nebenfiguren etwas zu klischeehaft skizziert worden, es gibt keine richtige Figurenentwicklung. Zudem wirkt der Humor stellenweise aufgesetzt und unorganisch. Der Film braucht etwa eine Dreiviertelstunde, um seinen Rhythmus zu finden und ist mit seinen 135 Minuten insgesamt vielleicht ein Quäntchen zu lang geraten. Der Rugby-Hintergrund wird zwar lange etabliert, bleibt jedoch dennoch nicht mehr als eine diffuse Kulisse. Für mich die schönste Szene ist das nächtliche Gespräch zwischen Mark und seiner Mutter (Mary Lincoln), das mit einem Dialog punktet, der aus Call Me by Your Name hätte stammen können.
André Schneider