Filmtipp #754: Wintermärchen

Wintermärchen

Originaltitel: Conte d’hiver; Regie: Éric Rohmer; Drehbuch: Éric Rohmer; Kamera: Luc Pagès; Musik: Sébastien Erms; Darsteller: Charlotte Véry, Frédéric van den Driessche, Michel Voletti, Hervé Furic, Ava Loraschi. Frankreich 1992.

Meist hielt Rohmer die Geschichten bzw. deren Ausgang gekonnt-raffiniert in der Schwebe — wie beispielsweise in La femme de l’aviateur und Le rayon vert —, aber hier, im zweiten Teil seines Vier-Jahreszeiten-Zyklus, gönnte er seinen Protagonisten ein eindeutiges, beinahe märchenhaftes Happy End. Vielleicht ist »Conte d’hiver« auch deswegen einer meiner liebsten Rohmer-Filme. Roger Ebert schwärmte: »Zu unserem Erstaunen finden wir, dass der Zweck des ›Wintermärchens‹ nicht darin liegt, zu bestimmen, ob Felicie ihre Liebe findet, sondern zu erforschen, ob Vertrauen und Glaube unsere Schicksale beeinflussen kann.« Andere Kritiker schlossen sich der Lobeshymne an. Die im Winter angesiedelte Geschichte, frei nach Shakespeare, kippt sanft ins Melancholische und dürfte unter den Spätwerken Rohmers die theatralischste sein. So lädt der von Hervé Furic gespielte Loïc seine Angebetete (Véry) zu einer Vorstellung von Shakespeares »Wintermärchen« ein — ein Fehler, denn hier, im Theater, merkt diese, dass er ihr zu intellektuell ist und verlässt ihn kurz darauf. Überhaupt ist Félicie, so der Name der hübschen Friseurin, sehr impulsiv und dann ziemlich konsequent in ihrem Denken und Handeln. Dem Mann ihrer Träume (van den Driessche) ist sie bereits begegnet — vor einigen Jahren verlebte sie mit ihm einen liebestrunkenen Sommer in der Bretagne. Durch ein dummes Missgeschick verloren sich die beiden aus den Augen. Alles, was Félicie von ihrem Traummann blieb, ist Elise (Loraschi), die gemeinsame Tochter, und ein Foto. Nicht, dass Félicie einsam wäre: sowohl ihr Chef, der Coiffeur Maxence (Voletti), als auch der philosophierende Bibliothekar Loïc lieben sie. Sie ergreift die Gelegenheit, mit Maxence nach Nevers zu gehen, wo er mit ihr einen eigenen Salon eröffnen möchte. Dort angekommen, merkt Félicie, dass sie Maxence nicht mehr liebt. Also kehrt sie mit Elise nach Paris zurück — und hat dort in einem Bus eine verblüffende Begegnung…

1991 gedreht, kam »Conte d’hiver« am 29. Januar 1992 in die französischen Lichtspielhäuser. Die Deutschen mussten sich noch gut neun Monate gedulden, dann aber brachte »Die Zeit« im Oktober die wohl schönste Rezension: »Es wird, wie immer bei Rohmer, viel geredet: über Pascal und Plato, über Karma und Wiedergeburt. Die Figuren drehen und winden sich im Gerede wie Gefangene in ihren Fesseln. Sie erzählen alles und erklären nichts. Aber je banaler die Gespräche werden, desto genauer schaut die Kamera zu. Sie fängt die Momente von Verzweiflung und Unsicherheit ein, die über Félicies Gesicht huschen, bevor sie sich entscheidet. Dann springt sie wie ein furchtsamer Zuschauer wieder zurück. Es ist ein Spiel, bei dem jede Einstellung gewinnt.«

André Schneider

3 thoughts on “Filmtipp #754: Wintermärchen

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