Europawahl! Werde in aller Frühe zum Wahllokal tapsen und mein Kreuz setzen, anschließend gemütlich frühstücken und mich dann dem Hund widmen. Chelito macht mir seit ein paar Tagen etwas Sorgen. Am Freitag schaffte er es kaum noch die Treppe hoch, immer wieder rutschte er mit den Hinterläufen ab und hatte Mühe, sie nachzuziehen. Ab und zu humpelt er auch. Wenn er sitzt, zittert manchmal der linke Oberschenkel. Die Kniegelenke scheinen in Ordnung zu sein. Er freut sich abends auch über seine Beinmassage, die er seit zwei Jahren regelmäßig von mir bekommt. Sein Appetit ist gesund, und abgesehen von der Schwerhörigkeit ist er ansonsten gut beisammen. Ich wünschte, ich könnte dasselbe über Bootsmann sagen. Der Tumor in seiner Nase wächst und wächst, so dass er mittlerweile massive Probleme mit der Atmung hat. Er wird übermorgen 13 Jahre alt. Wir fürchten, dass es sein letzter Geburtstag sein wird. Es ist schlimm, Abschied nehmen zu müssen. Natürlich wissen wir das, wenn wir uns ein Haustier anschaffen. Es ist unser Leben im Zeitraffer. Wir bekommen sie in der Regel als Babys, irgendwann sind sie mit uns auf Augenhöhe, und schließlich verlassen sie uns nach 14, 15, 16 Jahren als unsere Urgroßeltern.
Wo fange ich an? Musik! Mit ihrem Auftritt beim ESC hat Madonna weder sich noch den Zuschauern einen Gefallen getan, er war unprofessionell und respektlos — sich selbst und den Zuschauern gegenüber. Schon im Interview vorher wirkte sie desolat und wirr, als wüsste sie nicht, wo sie sei und was sie dort solle. Der Aufschrei hinterher war groß. Johannes Kram und Björn Casapietra verteidigten die Ex-Ikone beherzt, aber wenig überzeugend. Ich möchte in das allgemeine bashing nicht einstimmen, aber Camillie Paglia zitieren: »Die Madonna der achtziger Jahre würde sich für die Madonna von heute schämen.« — Valentin Stuff brachte dieser Tage sein erstes Album heraus. Will Young hat gerade zwei Songs veröffentlicht — »My Love« und »All the Songs« —, auf denen er klingt wie der Erbe von Jimmy Somerville. Alles guter Stoff für die Ohren und richtig sommerlich. À propos Sommer: Habe mir inzwischen einen Reiseführer mit Stadtplan besorgt. Ich wohne in der Rue Klein, von dort aus ist es ein Fußweg von etwa einer halben Stunde bis zu meinem Arbeitsplatz. Schätzungsweise werde ich in zwei Wochen 70 Stunden arbeiten, so dass ich noch mehr als genug Zeit haben werde, die Stadt zu erkunden. Was das Auswandern angeht, so liebäugele ich noch mit ein paar anderen Städten: Lüttich, Brüssel, Lyon, Nancy oder Toulouse. Über das Verzeichnis deutscher Kindergärten im Ausland bekomme ich auch immer wieder Jobangebote aus England, Spanien, Italien oder Namibia zugeschickt. Mir schwirrt schon der Kopf, ständig bin ich am abwägen, durchchecken, nachgrübeln. Zunächst ist Strasbourg bzw. Straßburg an der Reihe. Dann beginnt das vierte Semester mit Grundschul-Praktikum, im fünften Semester schreibe ich meine Facharbeit, im sechsten warten die Abschluss-Prüfungen. Ich habe das mulmige Gefühl, dass jetzt alles ganz schnell geht. Die letzten anderthalb Jahre waren gefühlt auch nicht viel mehr als ein Blinzeln.
Das dritte Semester stand ganz im Zeichen der HzE. Nach dem Kinderdorf haben wir nun eine Förderschule in Mitte und ein Wohnprojekt für autistische Jugendliche besucht. Michael Bönte hielt einen umfassenden Vortrag über die Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Es ist beeindruckend, was die Fachkräfte im HzE-Bereich leisten! Ich weiß nicht, ob ich mir das dauerhaft zutraute. — Neben unseren zwei Außenterminen trainierten wir für das Volleyball-Turnier, hatten Musik und Kunst und schrieben eine weitere Klausur. Noch zwei Tage Schule, dann kann ich endlich wieder in die Kita. Sieben Tage hintereinander mit meiner Klasse, das ist schwer zu verdauen und ungemein kraftraubend. Das Gefeilsche um Noten, wo es nichts zu feilschen gibt, das Gemecker und Gezeter, das Tuscheln, das Augenverdrehen, die Niveaulosigkeit einiger. (In Sachen Sozialkompetenz ist das Gros unserer Kita-Kinder weiter!)
Bin schreibfaul heute. Hatte ursprünglich noch etwas zu dem YouTube-Video von Rezo über die CDU schreiben wollen und über »Die potente Frau« von Svenja Flaßpöhler. Aber das lasse ich einfach. Zum Abschluss des Eintrags noch zwei empfehlenswerte Filme. Ian und ich haben am Dienstag »Greta« (Regie: Neil Jordan) gesehen. Ein wendungsreich-schockierender Thriller mit einer starken Frauenfigur im Mittelpunkt. Isabelle Huppert hauchte ihr in gewohnter Manier eisiges Leben ein und war wirklich furchterregend. Ich mochte die Filme von Neil Jordan immer, ob »The Company of Wolves« (1984), »Ondine« (2009), »Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles« (1994) oder The Crying Game. »Greta« ist in einer beinahe Hitchcock’schen Weise altmodisch und ein sehr aufs Private fokussierter Spannungsfilm. Mir gefiel der einfache, stringente Aufbau, die leise Atmosphäre, das Überraschungsmoment. Alles funktioniert hier mit der Präzision eines Uhrwerks. Die guten Dialoge tragen eindeutig Jordans ungeschönte Handschrift. Ich kann das DVD-Release im Frühherbst kaum erwarten. Ein zweiter Film der vergangenen Woche war »Crazy Right« (Regie: Ian Stewart Fowler). Ich hatte den Regisseur via Facebook kennen gelernt, wir haben uns ausgetauscht und unsere Filme miteinander geteilt. »Crazy Right« hat eine ansprechende Bildsprache, ausgeklügelt-schöne Kamerafahrten und besticht durch seine ausgewaschenen, bleichen Farben. Auch der Hauptdarsteller Patrick D. Green ist beeindruckend. Durch die kokette Musikauswahl kriecht ein komisches Moment ins Gefüge, das insgesamt wohl ein Thriller sein möchte, sein Ziel aber nicht erreicht. Ein faszinierender Film, ja, aber mit fahlem Beigeschmack.
So, und jetzt geht alle schön wählen! Auf bald,
André