Shining
Originaltitel: The Shining; Regie: Stanley Kubrick; Drehbuch: Stanley Kubrick, Diane Johnson; Kamera: John Alcott; Musik: Wendy Carlos, Rachel Elkind; Darsteller: Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd, Scatman Crothers, Barry Nelson. GB/USA 1980.
Unlängst erreichte mich eine E-Mail mit folgendem Inhalt: »Sie haben auf Ihrem ach so tollen Blog bereits fast 300 Filmtipps, und es ist nicht ein einziger Kubrick dabei! Und Sie wollen sich Cineast nennen?«
Nun, liebe Leserin aus Stuttgart, das liegt ganz einfach daran, dass ich ausschließlich Filme empfehle, die ich — aus welchen Gründen auch immer — schätze. Stanley Kubrick hat, bei aller unumstrittenen technischen Brillanz, leider keinen einzigen Film gedreht, der mich durchweg begeisterte. Seine Hollywood-Auftragsarbeiten der frühen Jahre finde ich noch ganz ansprechend, aber wenn Sie von »einem Kubrick« sprechen, meinen Sie mit Sicherheit sein Schaffen ab 1962, und da ist nun wirklich nichts Gescheites mehr dabei. Perfektion finde ich auf Dauer ermüdend, wenn sie es nicht vermag, mich emotional oder intellektuell zu packen. Die Dokumentationen über Kubrick, seine Arbeitsweise und seine Filme finde ich hochinteressant und sehenswert, die Filme selber leider nicht. Im Großen und Ganzen zelebrierte der Mann in jedem seiner Werke gnadenlos die Langeweile. Das Publikum und den ihm zustehenden Unterhaltungsfaktor beharrlich ignorierend, erinnert mich Kubricks Filmemachen stark an Onanie; für ihn selber mag das sicherlich befriedigend gewesen sein, aber man muss so was nicht vor Zuschauern machen. Gehen wir das Kubrick’sche Œuvre mal durch: »Lolita« (1962) besticht einzig durch James Masons hervorragende Einzelleistung als Schauspieler, »Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb« (1964) hatte neben etlichen Längen natürlich auch die hervorragenden Sets von Ken Adam und den genialen Peter Sellers als Hauptdarsteller, und »2001: A Space Odyssey« (1969) bietet außer ein paar beeindruckenden Aufnahmen nicht viel. Für »Barry Lyndon« (1975) ließ das Genie von der NASA ein Kameraobjektiv entwickeln, welches ihm erlaubte, bei Kerzenlicht zu drehen; die Aufnahmen in der betreffenden Szene sind zwar unbestreitbar schön, rechtfertigen aber die unsäglichen Längen des Gesamtergebnisses und die 200 Drehtage, die sich auf zwei Jahre verteilten, keineswegs. Die erste Stunde von »Full Metal Jacket« (1986) ist brillant, was den Umstand, dass der Streifen in der zweiten Hälfte in beschämende Belanglosigkeit abfällt, nur noch schlimmer macht. Und sein großes Vermächtnis, das Cruise-Kidman-Vehikel »Eyes Wide Shut«? Das ist und bleibt indiskutabel eine Frechheit! Einzig »A Clockwork Orange« (1971) ist von der ersten bis zur letzten Sekunde ein packendes Meisterwerk auf allen Ebenen. Tja, und dann wäre da natürlich noch Kubricks publikumsfreundlichster Streifen, der 1980 in die Kinos kam: »The Shining«, die als eine der besten Stephen-King-Adaptionen in die Filmgeschichte einging. »Newsweek« schwärmte, der Streifen sei »das erste Epos des Horror-Genres«. Tatsächlich ist der Film mit einer Gesamtlänge von 115 Minuten für einen Horrorfilm überdurchschnittlich lang — und hat auch einige Längen (quasi Kubricks Markenzeichen), die hier allerdings gerechtfertigt sind.
Jack Nicholson spielt in beängstigender Manier einen Schriftsteller, der mit seiner tumb-nervtötenden Frau (Shelley Duvall) und seinem wahrlich widerlichen Sohn (Danny Lloyd) in ein abgelegenes Hotel in den schneebedeckten Bergen von Colorado zieht, um dort während der Wintermonate einen vakanten Hausmeisterposten zu übernehmen. Die Warnung, dass sein Vorgänger dort wahnsinnig wurde und seine Familie mit einer Axt abschlachtete, schlägt er freilich in den Wind, und so beginnt schon bald ein Alptraum zwischen Wahn und Blut.
Die Dreharbeiten zogen sich, wie immer bei Kubrick, ungebührlich lange hin: Die reine Drehzeit betrug über ein Jahr. Dabei nahm der Pedant keine Rücksicht auf Kosten oder Nerven, einzelne Aufnahmen wurden bis zu 180 Mal wiederholt. Der Production Designer Roy Walker baute das riesige Hotel in den Londoner Studios nach und schuf damit eines der größten Bühnenbilder der Kinogeschichte. Kubrick ließ den Art-Deco-Flur mit tonnenweise Kunstblut überfluten, und Kameramann John Alcott »schwebte« mit seiner Steadycam über kilometerlange Korridore. Besonders hart setzte der Regisseur seiner Hauptdarstellerin zu: Mit gezielten Sticheleien und Erniedrigungen verlangte er von Shelley Duvall, viereinhalb Monate hysterisch zu sein. Freunde der Schauspielerin erkannten sie nach dem einjährigen Martyrium unter Kubrick kaum wieder; Duvall begab sich nach einem völligen Zusammenbruch für mehrere Monate in eine Klinik.
Aufgrund der Popularität der Buchvorlage und Kubricks dem Zuschauer angenehm zugänglichen Inszenierung wurde »The Shining« zu einem Kassenknüller. Die Originalfassung von 146 Minuten wurde für die Kinoauswertung um etwa eine halbe Stunde gekürzt. Diese Fassung ist auch jene, die heute auf DVD vertrieben wird. In den 1990ern entstand fürs amerikanische Fernsehen ein erschreckend schlechtes Remake mit Steven Weber.
André Schneider