Die, Mommie, Die!
Originaltitel: Die, Mommie, Die!; Regie: Mark Rucker; Drehbuch: Charles Busch; Kamera: Kelly Evans; Musik: Dennis McCarthy; Darsteller: Charles Busch, Frances Conroy, Philip Baker Hall, Natasha Lyonne, Jason Priestley. USA 2003.
Hollywood… It’s a dirty town but someone has to do it!
Heute vor zehn Jahren, am 31. Oktober 2003, hatte dieser wunder-wunder-wundervolle Film in den USA Premiere: Mark Ruckers Leinwand-Adaption des legendären Off-Broadway-Erfolgs von Charles Busch, eine Ode an die glamourösen Ross Hunter-Produktionen der Sechziger, an camp classics wie The Big Cube, Midnight Lace, »Valley of the Dolls« (Regie: Mark Robson), »Sweet Bird of Youth« (Regie: Richard Brooks), »What Ever Happened to Baby Jane?« (Regie: Robert Aldrich), »Who’s Afraid of Virginia Woolf« (Regie: Mike Nichols) oder »Mommie Dearest« (Regie: Frank Perry); man findet sogar ein wenig Douglas Sirk, einen Hauch Marnie und — unausweichlich — Tennessee Williams und Jacqueline Susann wieder. Das Stück (und auch der Film) ist eine Verbeugung vor den großen Diven des Broadways und Hollywoods: Bette Davis, Joan Crawford, Lana Turner, Geraldine Page, Liz Taylor. Keine Frau hätte das so bravourös gemeistert wie Charles Busch! Ein Autor mit unverwüstlicher Liebe zum Detail, ein beispielloser Künstler. Mit seinen hintergründig-witzigen Stücken schaffte er es in seiner fast 40jährigen Karriere vom Off-Off-Off-Broadway bis hin zum Broadway. »Vampire Lesbians of Sodom«, 1984 uraufgeführt, ist das wohl am längsten laufende Off-Broadway-Stück der Geschichte, es folgten »Psycho Beach Party« (das noch vor »Die, Mommie, Die!« verfilmt wurde), »The Lady in Question« und das für einen Tony nominierte »The Tale of the Allergist’s Wife«. Ein Jammer, dass er hierzulande immer noch so unbekannt ist! Was er in »Die, Mommie, Die!« schauspielerisch leistet, ist weit von Travestie entfernt: Busch ist ein Frauen-Schauspieler. (In Deutschland gibt es so jemanden leider nicht, wir haben fast ausnahmslos nur Trümmer-Tunten.) Für seine grandiose Leistung wurde er beim Sundance Film Festival mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.
»Die, Mommie, Die!« ist sicher irgendwie eine Persiflage, quietschbunt, almodóvaresk schräg und witzig, nie aber verlieren Busch und Rucker den Respekt vor ihren Vorbildern. Sie näherten sich geradezu ehrfürchtig an diese an, ohne dabei die einer Komödie gebührende Leichtigkeit zu verlieren. Man merkt’s bestimmt: »Die, Mommie, Die!« gehört zu meinen Lieblingsfilmen der letzten zehn Jahre. Zu gerne würde ich das Stück einmal mit Tilly Creutzfeldt-Jakob auf einer guten deutschen Bühne sehen!
Los Angeles, 1962: Angela Arden (Busch), einst eine gefeierte Sängerin und Schauspielerin, hat ihre besten Jahre hinter sich. Ihre Karriere liegt schon Jahre brach, sie führt nun als gelangweilte Ehefrau des Filmproduzenten Sol Sussman (hammermäßiger Auftritt von Philip Baker Hall) ein zurückgezogenes Leben in Hollywood. Ihre verwöhnt-zickige Tochter Edith (Lyonne) macht ihr das Leben etwas schwer, und dass ihr schwuler, offenbar sexsüchtiger Sohn (sehr sexy: Stark Sands) gerade vom College geflogen ist, bereitet ihr Sorgen. Ansonsten wird ihr Haushalt von der ständig alkoholisierten, unentwegt aus der Bibel zitierenden Bootsie Carp (Conroy) geschmissen, und Angela kümmert sich um ihre Schoßhündchen und ihren Garten: »Ich scheine einen grünen Daumen für alles zu haben — außer dafür, Kinder zu erziehen.« — Ihre Affäre mit Tony Parker (Jason Priestley in der besten Rolle seiner Karriere!), einem gescheiterten Schauspieler, Tennisprofi und Gigolo, bringt etwas Abwechslung in ihr eintöniges Dasein. Als Sol von dieser Liaison Wind bekommt und Angela den Geldhahn zuziehen will, fasst diese den teuflischen Plan, ihn mit einem vergifteten Einlauf ins Jenseits zu befördern. Was nun folgt, ist eine Mischung aus Whodunit, Intrigenspiel und Familiendrama, zum Schreien komisch und zum Heulen tragisch. Nichts ist, wie es scheint, die grantige Tochter will ihre Mutter aus dem Weg räumen und verabreicht ihr LSD im Kaffee — The Big Cube lässt grüßen —, und am Ende erwachen einige längst vergessene Leichen im Keller der Familie Sussman wieder zum Leben…
Leider ist der Film in Deutschland nie erschienen, aber die DVD ist als US-Import nach wie vor erhältlich und ein absolutes Muss für jeden, der die Sechziger liebt!
André Schneider