Filmtipp #566: Das Tal der Puppen

Das Tal der Puppen

Originaltitel: Valley of the Dolls; Regie: Mark Robson; Drehbuch: Helen Deutsch, Dorothy Kingsley; Kamera: William H. Daniels; Musik: John Williams, André Previn; Darsteller: Barbara Parkins, Patty Duke, Paul Burke, Sharon Tate, Tony Scotti. USA 1967.

valley-of-the-dolls

»Look: They drummed you right outta Hollywood! So ya come crawlin’ back to Broadway. Well, Broadway doesn’t go for booze and dope. Now you get outta my way, I got a guy waitin’ for me.« (Helen Lawson zu Neely O’Hara, kurz bevor diese ihr die Perücke herunterreißt und ins Klo wirft)

Heute ist es auf den Tag genau 50 Jahre her, dass die Uraufführung dieses Films das Gesicht des Kinos für immer verändern sollte. Eigentlich hatte »Valley of the Dolls« mein allererster Filmtipp werden sollen, aber bis heute fand ich nie wirklich einen Weg, diesem Camp-Klassiker gerecht zu werden. — Am 15. Dezember 1967 fand also die lang erwartete Premiere dieser melodramatischen Schundroman-Adaption an Bord eines Schiffes vor der kalifornischen Küste statt. Der Legende zufolge sollen sich die Hauptdarstellerinnen so sehr geschämt haben, dass sie sich im Anschluss in ihren Kajüten vor den anwesenden Journalisten versteckten. Die Kritiker weideten sich an den überzogenen Darstellungen, dem vor Plattitüden triefenden Drehbuch sowie der schlechten Regie-, Kamera- und Ausstattungsleistungen. Jacqueline Susann, die Autorin der Buchvorlage, distanzierte sich von dem Werk. Regisseur Mark Robson wies alle Schuld von sich und machte seinen Star Patty Duke verantwortlich. Trotzdem (oder gerade deswegen) wurde »Valley of the Dolls« für die 20th Century Fox der größte Kassenhit des Jahres 1968. Der Filmkomponist John Williams erhielt für seine Dienste sogar eine Oscarnominierung, und für das junge Starlet Sharon Tate, die sowohl das Buch als auch den Film hasste, markierte »Valley of the Dolls« den Durchbruch.
Bevor ich zu den aberwitzigen Produktionsbedingungen komme, gestattet mir bitte, dass ich kurz einmal die Handlung umreiße: Es handelt sich höchstens im übertragenen Sinne um einen Bergsteigerfilm. Wie der Titel schon richtig verrät, geht es ums Showgeschäft, und das sieht durch Jacqueline Susanns Augen wirklich alles andere als rosig aus. Was für eine lausige Welt, durchtränkt von Konkurrenzdenken, Intrigen und Eskapaden! Kein Wunder, dass frau da zu »Puppen« (= Drogen) greifen muss, um all das zu ertragen. Glamour, Sex, Aufputschmittel — das scheint hier eine ganz logische Assoziationskette zu sein. Dieser Druck! Dieser Teufelskreis! In der Mitte des Tals stehen drei Freundinnen: Annie (Parkins), Neely (Duke) und Jennifer (Tate) wollen es bis ganz nach oben schaffen. (Die ambitionierten Freundinnen sind übrigens, abgesehen von der Einblendung eines Schwarzweiß-Fotos, nie zusammen zu sehen.) Zu Beginn des Films kommt Anne Welles aus dem verschneiten New England ins Sündenpfuhl New York, um dort eine Sekretärinnen-Stellung bei einem alten Showbiz-Anwalt (Robert H. Harris) anzutreten. Gleich ihr erster Arbeitstag gerät zur Feuerprobe, als ihr neuer Boss sie direkt in die Höhle der Löwin schickt: Helen Lawson (Susan Hayward), die ebenso gefürchtete wie bewunderte Broadway-Diva, soll ein paar Verträge unterzeichnen. Überraschung: Annie erlebt Helen Lawson an einem ihrer, na ja, äh, nicht ganz so guten Tage und überlegt, den Job hinzuschmeißen, verliebt sich dann aber in den schmucken Lyon Burke (Burke), den Business-Partner ihres Chefs. (Lyon wird ihr im weiteren Handlungsverlauf noch ganz schön weh tun, aber das nur am Rande.) Ein unerwarteter Zufall sorgt kurz darauf auch noch dafür, dass Annie als Fotomodell entdeckt und in Windeseile berühmt wird. — Neely O’Hara ist eine hochbegabte Sängerin und Schauspielerin, die es geschafft hat, in Helen Lawsons neuem Musical eine Nebenrolle zu ergattern. (Annie lernt sie kennen, als sie mit den Verträgen zu Lawson ins Theater kommt.) Doch Helen hält den Neuling für zu talentiert — »The only hit that comes out of a Helen Lawson show is Helen Lawson, and that’s me, baby, remember?!« — und lässt Neely feuern. Annie und Burke verschaffen der am Boden zerstörten Neely daraufhin ein Vorsingen im Radio — und schon ist diese ein Star und macht sich auf den Weg nach Hollywood. Sie heiratet Mel (Martin Milner), hat aber schon bald eine Affäre mit dem vermeintlich schwulen Ted Casablanca (Alexander Davion). Der Erfolg verändert sie. Sie verprellt alle, die ihr mal nahestanden. So vögelt sie mit Lyon, obwohl sie weiß, dass Annie ihn liebt. Sie schluckt abwechselnd Aufputsch- und Beruhigungsmittel, um dem Erwartungsdruck standzuhalten. Annie, die selbst gerne mal Pillen nimmt, hilft ihr nach Kräften, indem sie sie in eine Entzugsklinik einweist. Die Szenen, die sich dort abspielen, gehören zu den (ungewollt) witzigsten des Films. — Besonders hart wird Jennifer, die Dritte im Bunde, vom Schicksal gebeutelt. Sie wird aufgrund ihrer Schönheit und ihres großen Vorbaus nicht ernst genommen. Ihre böse Mutter bläut ihr ein, dass sie kein Talent habe und nur aufgrund ihrer Titten gefragt sei. Sie lernt den Nachtclub-Sänger Tony Polar (Scotti) kennen und verliebt sich in ihn. Sehr zum Leidwesen seiner biestigen Schwester Miriam (Lee Grant) heiraten die beiden. Miriam verwaltet argusäugig das Geld und beschafft Tony seine Engagements. Doch eines Tages erleidet Tony einen Anfall — »Jen! I can’t feel my legs!« —, und die inzwischen schwangere Jennifer muss erfahren, dass er unheilbar krank ist. Da die Krankheit vererbbar ist, lässt sie eine Abtreibung vornehmen. Schon bald ist Tony so krank, dass Jennifer und Miriam ihn in ein teures Sanatorium einweisen müssen. (Dort begegnet er bald auch Neely, die dort ihren Entzug macht. Aber das gehört jetzt nicht hierher.) Die Ersparnisse reichen jedoch nicht lange, und so nimmt Jennifer widerwillig das Angebot eines schmierigen französischen Filmemachers (Richard Angarola) an, in seinen »Kunstfilmen« (= Softpornos) mitzuwirken. Tonys Zustand verschlechtert sich immer weiter, und zu allem Überfluss haut der fiese Franzose das arme Mädchen auch noch übers Ohr. Damit nicht genug: Sie hat auch noch Brustkrebs. Die angekündigte Mastektomie nimmt ihr ihre einzige Einnahmequelle, und so setzt sie mit einer Überdosis Schlaftabletten ihrm Leben ein Ende. — Während Annie noch ganz gut die Kurve kriegt — sie kehrt der Scheinwelt den Rücken und zieht zurück ins beschauliche (und ewig verschneite) New England —, schlittert Neely O’Hara drogen- und alkoholberauscht immer tiefer in einen selbstzerstörerischen Abgrund, bis sie ganz am Ende völlig desolat in einer dunklen Gasse zusammenbricht. Dabei ruft sie unentwegt: »Mel? Gott? Neely? Neely O’Hara? Wo bist du, Neely?« Man muss unweigerlich an den tuntig-weinerlichen Song »I Have Been to Paradise But I’ve Never Been to Me« von Charlene denken. Neely ist sich selbst abhanden gekommen. »Niemand wird ihr Talent zerstören«, prophezeite Helen Lawson in einer früheren Szene des Films, »aber sie wird sich selbst zerstören.«

Ja, ich gebe zu, diese Inhaltsangabe ist stark verkürzt. Man kann der verschachtelten, unübersichtlichen Handlung einfach nicht gerecht werden. Und vieles muss man einfach mit eigenen Augen sehen, um es glauben zu können. »Valley of the Dolls« ist Kolportage, ein durch und durch spekulatives Machwerk von der übelsten Sorte. Die Showbiz-Kritik verkümmert bereits in den Ansätzen und bleibt oberflächlich. Schon über Susanns Buch sagte seinerzeit eine Leserin: »Es ist absoluter Schund, ganz furchtbar auch geschrieben, aber ich konnte es einfach nicht aus der Hand legen.« Allein in den USA ging der Roman in den letzten 50 Jahren nicht weniger als 31 Millionen Male über die Ladentische und ist somit eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten. Ein wenig wiederholte sich das Phänomen mit Fifty Shades of Grey. In beiden Fällen wurden die Verfilmungen ihren Vorlagen mehr als gerecht, obwohl es unvermeidbare Straffungen und Veränderungen gab. So erstreckt sich der Handlungsspielraum von Susanns Roman über zwei Dekaden; die Geschichte beginnt in den Nachkriegsjahren und endet 1966, während der Film eine deutlich kürzere Zeitspanne irgendwann den Sechzigern abreißt. Im Buch ist Annie eine hinreißende Blondine mit blauen Augen, im Film wird sie von der brünetten und braunäugigen Barbara Parkins gespielt. Die Zensur erlaubte der Filmfassung nicht, Jennifers lesbischen Experimente, Ted Casablancas Homosexualität und Tonys Vorliebe für Analsex auszuschlachten. Dafür bekommen wir einige der schönsten schlechten Dialoge der Filmgeschichte geboten: »Honey, it’s a rotten business«, erklärt der väterliche Mel der armen Neely, die gerade gefeuert wurde. Neely: »I know. But I love it.« Why, of course!
Über die wirklich grauenhafte Broadway-Show von Helen Lawson schweige ich mich lieber aus. Was soll dieses verdreckte Mobile mit den Schlieren auf der Bühne? Und dieser Song, zu dem Susan Hayward (nicht ganz synchron) ihre Lippen bewegt! »I’ll plant my own tree and I’ll let it grow.« Ist das so? Ich kann Euch versichern: Da wächst kein Baum. Eigentlich hatte keine Geringere als Judy Garland als Helen Lawson ihr Comeback geben sollen. Die Probeaufnahmen zeigen eine Karikatur dessen, was Garland einmal war, aber sie hatte diesem fürchterlichen Lied eben jene Kraft und Klasse gegeben, die der Film dringend benötigt hätte. (Ihre Aufnahme des Songs ist bis heute erhältlich.) Ironischerweise gab es mit der Diva reichlich Probleme, die auf den Konsum von Tabletten und Rauschgift zurückgingen, und so wurde sie gefeuert. Die Garderobe nahm sie bei der Gelegenheit komplett mit, und auch den vom Studio spendierten Billardtisch in ihrer Garderobe ließ sie abholen. Sie starb wenige Jahre später. Nachdem Garland ausgeschieden war, bot man die Rolle nacheinander Tammy Grimes, Bette Davis (!), Lucille Ball und Ginger Rogers an, die allesamt erbost ablehnten. Susan Hayward selbst war auch nicht sonderlich begeistert von dem Skript, schlug sich aber im Vergleich zu ihren Kolleginnen noch ganz achtbar.
Ganz Hollywood war seinerzeit auf den Beinen, um eine Rolle oder ein Röllchen in »Valley of the Dolls« zu ergattern, und das Studio scheute weder Kosten noch Mühen für lavish screen tests unbekannter Starlets. Die junge Helen Mirren zum Beispiel soll ihrer Autobiographie zufolge für die Rolle der Neely vorgesprochen haben, die zuvor von Jane Fonda, die damals schon ein etablierter Star war, abgelehnt worden war. Raquel Welch, Julie Christie, Ursula Andress, Mary Tyler Moore, Petula Clark, Ann-Margret, Jill Ireland und Candice Bergen waren als Jennifer im Gespräch, bevor Sharon Tate unter Vertrag genommen wurde. Barbara Parkins wollte ursprünglich Neely spielen, während Marlo Thomas sich um die Rolle der Anne bemühte, wurde dann aber von Patty Duke ersetzt, die damals bereits einen Oscar in der Tasche hatte — für »The Miracle Worker« (Regie: Arthur Penn), in welchem sie Helen Keller gespielt hatte. Mit »Valley of the Dolls« wollte sich der Ex-Kinderstar neu als Erwachsene etablieren. Das Publikum akzeptierte sie jedoch als launische Drogenzicke überhaupt nicht. Überhaupt ließ sie Regisseur Mark Robson richtig böse auflaufen. Selten hat man eine so begabte Schauspielerin eine so unfassbar schlechte Performance geben sehen! Jacqueline Susann wollte Elvis Presley (!) als Tony Polar im Film haben, doch nachdem dieser lachend aufgelegt haben soll, ließ man zuerst Robert Forster vorsprechen, bevor man sich für den farblosen Tony Scotti entschied. Weitere Nebenrollen gingen an Robert Viharo, Richard Dreyfuss und Jacqueline Susann selber, die in einer kurzen Szene eine Journalistin gab.

Die Dreharbeiten selber waren ein Alptraum. Robson ließ keine Gelegenheit ungenutzt, Patty Duke zu demütigen. Diese konnte ihm diese Behandlung bis zuletzt nicht verzeihen und nannte ihn in Interviews immer nur »that mean son of a bitch«. Duke fühlte sich von ihren Kolleginnen isoliert und verstand sich auch mit Susan Hayward nicht, während Barbara Parkins ihre Kostüme hasste und ständig nach Wegen suchte, diese doch noch irgendwie ändern zu lassen. Drehbuchautor Harlan Ellison drohte, das Studio zu verklagen, wenn sein Name im Vorspann genannt werden sollte; er war mit den zahllosen Änderungen und dem »glücklichen« Ende alles andere als einverstanden gewesen. Und dann noch der Ärger mit dem Plakat, das Ihr oben seht. Die Verantwortlichen hatten offensichtlich weder das Buch gelesen, noch den Film gesehen, sonst hätten sie gewusst, dass Helen Lawson die einzige Frauenfigur im Film ist, die Pillen jeglicher Art vehement ablehnt.

Stephen M. Moser, seines Zeichens Journalist beim »Austin Chronicle«, schrieb über den Kultfilm wie folgt: »The definitive camp classic. […] ›Valley of the Dolls‹ is a great movie in the very same way that ›Showgirls‹ is a great movie. Rent it and howl!«
In diesem Sinne: Viel, viel Spaß! Wer die Gelegenheit hat, sollte sich unbedingt die Doppel-DVD mit den vielen bunten Extras gönnen. Der Hammer!

André Schneider

16 thoughts on “Filmtipp #566: Das Tal der Puppen

  1. Pingback: Filmtipp #572: Ein süßer Fratz | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  2. Pingback: Filmtipp #578: Stiefel, die den Tod bedeuten | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  3. Pingback: Filmtipp #586: Flieg mit mir ins Glück | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  4. Pingback: 28. November 2018 | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  5. Pingback: Remembering Sharon Tate. - Citizen Truth

  6. Pingback: Filmtipp #647: Die Ratte von Soho | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  7. Pingback: Filmtipp #670: Eine neue Art von Liebe | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  8. Pingback: Filmtipp #696: Un peu de soleil dans l’eau froide | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  9. Pingback: Filmtipp #756: …denn keiner ist ohne Schuld | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  10. Pingback: Filmtipp #769: Eine glückliche Scheidung | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  11. Pingback: Filmtipp #771: Ein Ehebett zur Probe | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  12. Pingback: Filmtipp #811: Brandung | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  13. Pingback: Filmtipp #822: Große Lüge Lylah Clare | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  14. Pingback: Filmtipp #832: Lawinenexpress | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  15. Pingback: Filmtipp #838: Madame X | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  16. Pingback: Filmtipp #856: Penelope | Vivàsvan Pictures / André Schneider

Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.