Filmtipp #521: Das Mädchen aus der Cherry-Bar

Das Mädchen aus der Cherry-Bar

Originaltitel: Gambit; Regie: Ronald Neame; Drehbuch: Jack Davies, Alvin Sargent; Kamera: Clifford Stine; Musik: Maurice Jarre; Darsteller: Shirley MacLaine, Michael Caine, Herbert Lom, Roger C. Carmel, Arnold Moss. USA 1966.

gambit

Ein bisschen ähnelt die Anfangsszenerie der aus A Countess from Hong Kong: Die Eurasierin Nicole Chang (MacLaine) verdient sich ihre Brötchen als Tänzerin in einem Hongkonger Nachtclub. Dort wird sie von dem englischen Dieb und Gentleman Harry Dean (Caine gibt in seinem US-Debüt einmal mehr den Cockney) und dessen französischen Komplizen Emile (John Abbott) für ein raffiniert ausgetüfteltes kriminelles Unterfangen engagiert: Die beiden Gauner haben es auf eine wertvolle Büste abgesehen, welche dem arabischen Milliardär Shahbandar (Lom) gehört. Da Nicole dessen verstorbener Frau zum Verwechseln ähnlich sieht — welche wiederum ein Ebenbild der antiken Büste war —, hofft Harry, durch sie in Kontakt mit Shahbandar zu kommen. Also fliegt das Paar in den Mittleren Osten, um die Bekanntschaft des Milliardärs und seiner Kunstsammlung zu machen. Shahbandar ist auch sofort schwer begeistert von Nicole, doch Harrys ungeschicktes Verhalten ruft rasch berechtigtes Misstrauen in ihm wach…

Der erste Drehbuchentwurf entstand bereits 1960. Kein Geringerer als Bryan Forbes hatte es geschrieben. Die Story sollte als Basis für ein Cary Grant-Vehikel dienen. Als sowohl Forbes als auch Grant das Projekt verlassen hatten, erfuhr das Skript einige Überarbeitungen, in deren Verlauf Nicole die zentrale Figur wurde. Als Shirley MacLaine den Zuschlag für den Part erhielt, setzte sie durch, dass Michael Caine, den sie in »The Ipcress File« (Regie: Sidney J. Furie) gesehen hatte, als ihr leading man angeheuert wurde. Herbert Lom indes wurde ohne ihr Wissen besetzt.
Der aus London stammende Ex-Kameramann Ronald Neame (1911-2010) war ein versierter Regisseur mit einem untrüglichen Gespür für Esprit und Timing. »Gambit« war seinerzeit ein Hit an den Kinokassen und ein Liebling der Kritiker zugleich, eine rundum gelungene Krimikomödie, ein klassisches heist movie mit Anleihen bei »Topkapi« (Regie: Jules Dassin) und »Du rififi chez les hommes« (Regie: Jules Dassin). Der Film heimste je drei Nominierungen für den Oscar (Bestes Szenenbild, Beste Kostüme, Bester Ton) und die Golden Globes (MacLaine, Caine, Bester Film/Komödie oder Musical) ein, ohne jedoch eine der Trophäen gewinnen zu können. Heute ist der amüsante Streifen leider fast vergessen. — »Gambit« hält einige überraschende Wendungen parat; am Eindrucksvollsten dürfte die 28minütige Eingangssequenz sein (über deren Inhalt und Auflösung ich nichts sagen werde), in der Shirley MacLaine originellerweise kein einziges Wort spricht. Den Vorschlag hatte die Schauspielerin selbst eingebracht — ein wirkungsvoller Schachzug. Der Begriff »Gambit« kommt übrigens aus dem Schach und bezeichnet das Opfern einer leichten Figur für einen Stellungsvorteil in der Eröffnung des Spiels. Im Englischen hat der Ausdruck zusätzlich eine übertragene Bedeutung angenommen. Gemeint ist eine riskante und trickreiche Strategie bzw. eine geschickte Eröffnung eines Gesprächs oder einer Verhandlung, um einen Vorteil zu erlangen. Im Film ist MacLaines Figur das »Gambit«; sie wird wegen ihrer Ähnlichkeit zu Shabandars verstorbener Frau als Eintrittskarte für das Apartment des Millionärs benutzt. MacLaine und Caine traten im Folgejahr noch einmal in »Woman Times Seven« (Regie: Vittorio De Sica) gemeinsam auf, allerdings mit einem weitaus weniger ansprechenden Ergebnis.

»Gambit« wurde 2012 mit Colin Firth, Cameron Diaz und Alan Rickman in ziemlich uninspirierter und witzloser Art und Weise neu verfilmt. Doch obwohl das Drehbuch von Joel und Ethan Coen geschrieben wurde, floppte das Remake verdientermaßen. Man sollte sich lieber die Mühe machen und das Original auftreiben; die deutsche DVD allerdings sollte man aufgrund des zerstörten Bildformats (aus 2,35:1 wurde 1.77:1!) allerdings tunlichst meiden.

André Schneider