Filmtipp #284: Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Originaltitel: Bonjour Tristesse; Regie: Otto Preminger; Drehbuch: Arthur Laurents; Kamera: Georges Périnal [George Perinal]; Musik: Georges Auric; Darsteller: Deborah Kerr, David Niven, Jean Seberg, Mylène Demongeot, Geoffrey Horne. USA 1958.

Bonjour Tristesse

Nach einer Reihe von achtbaren Erfolgen in den 1940ern und frühen 1950ern war Otto Premingers »Saint Joan« (1957) zu einem kommerziellen Fiasko geraten, und die US-amerikanische Presse hatte sich besonders unbarmherzig gegenüber der erst 18jährigen Hauptdarstellerin Jean Seberg gezeigt, die der Meisterregisseur in einer landesweiten Suche aus etwa 18.000 Mädchen ausgewählt hatte und zum Star aufbauen wollte. Wohl auch, um sich und seinen Kritikern zu beweisen, dass sie ihm und Seberg Unrecht getan hatten, vertraute Preminger seinem zierlichen Schützling die Hauptrolle in seinem nächsten Projekt an, der ambitionierten Verfilmung des Erfolgsromans »Bonjour Tristesse« von Françoise Sagan.
Erneut spielt Seberg hier eine Französin, die 17jährige Cécile, die mit ihrem wohlhabenden Playboy-Vater (Niven) ein sorgenfreies Lotterleben führt. Während ihres Sommerurlaubs an der Côte d’Azur erhalten sie Besuch von Anne (Kerr), der verwitweten Patentante von Cécile. Der verschlagene Raymond versucht, Anne zu verführen, doch die besteht auf einem Heiratsantrag — den sie überraschenderweise auch erhält. Doch die aufkeimende Beziehung der beiden wird von der intriganten Cécile nach einem Streit mit Anne torpediert: Das Mädchen, das seinen Lebensstil durch die neue Stiefmutter gefährdet sieht, bringt Raymond wieder mit seiner einfältigen, viel zu jungen Ex-Geliebten (Demongeot) zusammen. Anne verlässt daraufhin verstört und verletzt die Villa und verunglückt mit ihrem Wagen tödlich. Cécile und ihr Vater kehren in dem Bewusstsein, Annes Tod verschuldet zu haben, nach Paris zurück. Zwar gehen die Partys weiter, doch das unbeschwerte Leben der beiden ist aufgrund ihrer Schuldhaftigkeit für immer beschattet.

Konsequenterweise sind die Pariser Szenen in tristem Schwarzweiß gehalten, während die an der Côte d’Azur spielenden Rückblenden farbig sind. Preminger selbst hielt das komplett in Frankreich entstandene Werk bis zuletzt für seine beste Arbeit — eine Auffassung, die 1958 nur von wenigen geteilt wurde: Obschon das Resultat der zweiten Zusammenarbeit von Preminger und Seberg ungleich besser war als »Saint Joan«, erlebte »Bonjour Tristesse« an den US-Kinokassen einen herben Reinfall. Die amerikanische Kritik warf dem Streifen vor, »nicht französisch genug« zu sein. In Frankreich indes wurde »Bonjour Tristesse« geradezu euphorisch gefeiert. So schwärmte am 12. März 1958 ein junger Filmkritiker namens François Truffaut in den »Cahiers du cinéma« wie folgt: »Der Film ist eine Frauen-, das heißt Schauspielerinnenkunst. Die Arbeit des Regisseurs besteht darin, hübsche Frauen hübsche Dinge machen zu lassen, und für mich sind die großen Momente des Kinos die, in denen die Begabung eines Regisseurs mit denen einer von ihm geführten Schauspielerin zusammenfällt. Griffith und Lillian Gish, Sternberg und Marlene, Fritz Lang und Joan Bennett, Renoir und Simone Simon, Hitchcock und Joan Fontaine, Rossellini und Magnani, Ophüls und Danielle Darrieux, Fellini und Masina, Vadim und Bardot. In Zukunft können wir Preminger und Jean Seberg dazuzählen. […] Immer, wenn Jean Seberg auf der Leinwand ist, das heißt, den ganzen Film über, hat man nur Blicke für sie, so graziös ist sie noch in der beiläufigsten Bewegung, so genau in jedem Blick. Die Form ihres Kopfes, die Silhouette, der Gang, alles an ihr ist vollkommen, und neu auf der Leinwand ist ihre Art von Sexappeal; sie ist auf den Millimeter genau geleitet, kontrolliert und geführt von ihrem Regisseur, der auch ihr Verlobter sein soll, was nicht überraschen würde, denn für eine solche Genauigkeit im Ausdruck braucht es einfach Liebe. In blauen, seitlich geschlitzten Shorts, in weiten Hosen, im Rock, im Abendkleid, im Badeanzug, im Männerhemd mit wehenden Schößen, im Männerhemd, die Schöße überm Bauch verknotet […] — so trägt Jean Seberg, kurzes aschblondes Haar auf dem Pharaonenkopf, die blauen Augen weit geöffnet, aufblitzend in jungenhaftem Schalk, auf ihren schmalen Schultern den ganzen Film, der im Übrigen ein einziges Liebesgedicht ist, von Otto Preminger ihr gewidmet.«

Wenn man heute, 57 Jahre nach seiner Uraufführung, etwas an »Bonjour Tristesse« bekritteln möchte, so wäre das David Niven, der als französischer Playboy schlicht und ergreifend fehlbesetzt ist: Er bleibt jederzeit der englische Gentleman, den er so oft gespielt hat. Herausragend ist neben Seberg vor allem Deborah Kerr, die, eingekleidet in Givenchy, als einsame, vom Leben enttäuschte Frau eine wahre Glanzleistung liefert. Dies war ihr erster Auftritt an der Seite von David Niven, dem noch vier weitere — unter anderem in Eye of the Devil — folgen sollten.
In weiteren Rollen sind Martita Hunt, Juliette Gréco und Elga Andersen zu sehen. Seltsamerweise ist der Film in Deutschland nach wie vor erst ab 18 Jahren freigegeben.
Mit diesem Filmtipp gratuliere ich Jean Seberg, die heute 77 Jahre alt geworden wäre.

André Schneider

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