Filmtipp #862: Monocle blickt voll durch

Monocle blickt voll durch

Originaltitel: Le monocle rit jaune; Regie: Georges Lautner; Drehbuch: Jacques Robert, Albert Kantof, Colonel Rémy [Rémy]; Kamera: Maurice Fellous; Musik: Michel Magne; Darsteller: Paul Meurisse, Robert Dalban, Olivier Despax, Barbara Steele, Renée Saint-Cyr. Italien/Frankreich 1964.

Le monocle rit jaune

Georges Lautner ging den ganz klassischen Weg. Nach dem Militärdienst studierte er in Paris Politikwissenschaften und heuerte dann beim Film an, wo er sich vom zweiten zum ersten Regieassistenten hocharbeitete, vor allem bei Robert Darène. Als Sohn der Schauspielerin Renée Saint-Cyr war Lautner von klein auf mit der Film- und Theaterwelt vertraut gewesen. Als er 1958 mit der Komödie »La môme aux boutons« als Regisseur debütierte, beherrschte er sein Handwerk aus dem Effeff. Zu jener Zeit war der europäische Film in einer lebhaft-vibrierenden Aufbruchstimmung: nouvelle vague in Frankreich, Neorealismus in Italien, Free Cinema in England. Lautner verweigerte sich diesen Neuerungen und drehte weiterhin brave Unterhaltungsfilme von der Stange. Ab 1961 begann seine produktivste Phase. Er drehte die ersten beiden Monocle-Filme und dazwischen noch »En plein cirage« (1962, mit Martine Carol), »Le septième juré« (1962, mit Bernard Blier), »Des pissenlits par la racine« (1964, mit Louis de Funès), »Les Barbouzes« (1964, mit Lino Ventura) und Les tontons flingueurs, die allesamt solide Publikumserfolge wurden und auch heute noch gerne im französischen Fernsehen gezeigt werden.
Anfang 1964 flog Lautner mit seiner Ehefrau und Assistentin Carole, seiner Mutter sowie seinem treuen Kameramann Maurice Fellous nach Hongkong, um dort den dritten und letzten Teil der Monocle-Reihe zu inszenieren. Die Dreharbeiten zu dieser karg budgetierten Produktion verliefen weniger reibungslos, als es für einen Lautner-Film üblich war. Zunächst einmal musste man einen Co-Produktionsvertrag mit der in Rom ansässigen Laetitia Film abschließen, der Georges Lautner zwang, Barbara Steele zu engagieren, was Paul Meurisse auf die Palme brachte: Er fand es unter seiner Würde, eine Schauspielerin als Partnerin zugewiesen zu bekommen, die sich mit billigen Horrorfilmen einen Namen gemacht hatte, und ignorierte Steele in einer verächtlichen Art und Weise, die den Regisseur so schockierte, dass er sich schwor, nie wieder mit Meurisse zu arbeiten. Außerdem bekam das Team nicht immer die notwendigen Drehgenehmigungen von den Hongkonger Behörden, sodass oft unter prekären Bedingungen gedreht werden musste, teilweise sogar mit versteckter Kamera. Meurisse war in bester Spiellaune; sein Dromard ist putzig wie eh und je. Es ist eine Freude, ihm beim Radfahren mit Zigarre, bei tänzerischen Schießereien und beim »Einsteigen« ins Auto (er springt hinein wie in einen Pool!) zuzusehen.

»Le monocle rit jaune« ist ebenso spannend und komisch wie die ersten beiden Teile, funktioniert über weite Strecken aber auch einfach als Musikvideo. Der jazzige Soundtrack von Michel Magne untermalt minutenlange Bildsequenzen von belebten Hongkonger Straßen, die in einem Farbfilm weitaus exotischer und schöner gewirkt hätten. Das karge Schwarzweiß von Fellous’ Kamera verhilft diesem stellenweise etwas zu düster und stellenweise etwas zu albern geratenen Film zu einer Wochenschau-Ästhetik, die eines gewissen Charmes nicht entbehrt.
Die Geschichte ist rasch erzählt: Dromard (Meurisse) wird vom französischen Geheimdienst beauftragt, Attentate zu untersuchen, die sich gegen Mitarbeiter und Einrichtungen der weltweiten Atomforschung richten. Dromards Vorgesetzter (Henri Nassiet) nennt ihm zwei Verdächtige, einen Mann, einen gewissen Bergourian (Pierre Richard, ein Namensvetter des berühmten Komikers), und eine Frau. In Begleitung von Poussin (Dalban) beobachtet er einen Verdächtigen, während er mit dem Schiff nach Hongkong fährt. Dort wird Bergourian ermordet, sobald er das Schiff verlassen hat. Die Frau (Steele) scheint an dem Mord nicht unbeteiligt zu sein…
Frédéric de la Pérouse (Despax), ein Attaché des Konsulats, bringt sie bei einem ehemaligen Legionär, Elie Meyeritsky (Marcel Dalio), unter. Dromard findet heraus, dass hinter den Anschlägen eine Sekte steckt, die die atomare Gefahr mit Gewalt bekämpfen will und deren nächstes Ziel ein amerikanischer Atomflugzeugträger ist, der auf der Reede von Hongkong anlegen soll…

Lautner erlaubt sich hier einige kecke Spielereien. So gibt es nach ca. 67 Minuten eine Choreographie mit chinesischen Banditen, die er aus West Side Story übernommen hat, und Lino Ventura absolviert einen winzigen, augenzwinkernden Auftritt, so wie es Paul Meurisse am Ende von Les tontons flingueurs getan hat. Elga Andersen fehlt leider schmerzlich, und Barbara Steele kann sie in ihrer kleinen, blass entwickelten Rolle kaum ersetzen. Dafür tritt Michel Duplaix als Assistent des Colonels auf, während er im vorherigen Film, L’Œil du Monocle, für den britischen Geheimdienst arbeitete und bei einer Schießerei in einem korsischen Restaurant getötet wurde. »Le monocle rit jaune« startete am 16. September 1964, also vor gut 60 Jahren, in den französischen Kinos. Das italienische Publikum kam im April 1965 in den Genuss des Streifens, während er in Deutschland seine unrühmliche Erstaufführung erst 1993 im Fernsehen hatte.

André Schneider

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