Filmtipp #570: And Then There Were None

And Then There Were None

Originaltitel: And Then There Were None; Regie: Craig Viveiros; Drehbuch: Sarah Phelps; Kamera: John Pardue; Musik: Stuart Earl; Darsteller: Maeve Dermody, Charles Dance, Toby Stephens, Burn Gorman, Aidan Turner. GB 2015.

Mit ihrem 26. Kriminalroman gelang Agatha Christie 1939 der ganz große Coup: Der Roman wurde ein Bestseller — heute ist er mit weit über 100 Millionen verkaufter Exemplare weltweit der erfolgreichste Vertreter seines Genres. In England zunächst unter dem Titel »Ten Little Niggers« veröffentlicht, kam das Buch ein Jahr später in den USA unter Rücksichtnahme auf die afro-amerikanische Bevölkerung als »And Then There Were None« auf den Markt. In Deutschland erschien das Buch zuerst unter dem Titel »Letztes Weekend«, später wurde daraus »Zehn kleine Negerlein«, »Da waren’s nur noch neun« und schließlich »Und dann gab es keines mehr«. Einige Auflagen in Großbritannien trugen unter Bezugnahme auf den im Buch so evidenten klassischen Kinderreim den Titel »Ten Little Indians«. 1943 kreierte Christie höchstpersönlich eine Bühnenadaption ihres Erfolgsromans; das Stück wurde ein Hit am West End und ab 1944 auch am Broadway. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe das Meisterwerk seinen Weg auf die Leinwand finden würde. 1945 war es schon soweit, René Clair inszenierte den Stoff für die Fox und wurde dafür in den höchsten Tönen gelobt, obgleich das Drehbuch von Dudley Nichols sehr frei mit der literarischen Vorlage umging. Es war die erste von insgesamt acht Verfilmungen. 20 Jahre nach Hollywood nahm sich der englische »Miss Marple«-Regisseur George Pollock des Stoffes an; in Deutschland lief der glanzlose Krimi unter dem Titel »Geheimnis im blauen Schloss«. Shirley Eaton, Hugh O’Brian, Mario Adorf, Marianne Hoppe und Daliah Lavi waren hier mit von der Partie. Die berühmteste, allerdings auch schlechteste Verfilmung wurde von B-Produzent Harry Alan Towers verbrochen: Unter der Regie von Peter Collinson standen Charles Aznavour, Elke Sommer, Oliver Reed, Adolfo Celi, Stéphane Audran, Gert Fröbe, Herbert Lom, Richard Attenborough, Alberto de Mendoza sowie die komplett talentfreie Gattin des Produzenten (Maria Rohm) vor der Kamera. Gedreht wurde im Iran. Die anderen Verfilmungen erspare ich mir und Euch.

Zu Weihnachten 2015 strahlte die BBC die bislang beste Adaption des Klassikers als Dreiteiler aus. Zwar nahm sich auch diese Version einige Freiheiten heraus, unter den bisherigen Verfilmungen ist sie allerdings jene, die sich am genauesten ans Buch hält. (Alle anderen Verfilmungen orientierten sich an dem Theaterstück, nicht am Roman.) Weitgehend werkgetreu und elegant inszeniert, wartet dieses TV-Ereignis überdies mit einer brillant aufspielenden Besetzung auf; mit Charles Dance, Miranda Richardson und Sam Neill sind einige Veteranen mit an Bord. — »And Then There Were None« hat nichts mit Miss Marple oder Hercule Poirot zu tun. Der Humor fehlt praktisch gänzlich. Das Buch gilt als Agatha Christies düsterster Roman und ist nicht unumstritten. Neben dem unappetitlich ins Auge fallenden Rassismus kann man sich vor allem an dem zentralen Thema der Geschichte reiben: Selbstjustiz. Schon in »Mord im Orientexpress« hatte Christie ihre zweifelhafte Haltung zu ebendieser offenbart. Dort ließ sie die Täter davonkommen, da ihr Mord »gerechtfertigt« war. Wenn der Arm des Gesetzes nicht greift, muss man es eben selbst in die Hand nehmen. Während das Gros von Christies Kriminalromanen angenehm leichte Kost ist, ist »And Then There Were None« ein handfester Thriller, der auf einem wahrlich beklemmenden Fundament fußt. Zehn Personen erhalten je eine Einladung nach Soldier Island (in der Originalfassung hieß das Eiland noch Nigger Island), einer winzigen Insel vor der Küste Devons. Dort angekommen, warten sie auf ihren Gastgeber, einen gewissen U. N. Owen — »unknown« ausgesprochen —, der sich aber nicht blicken lässt. Stattdessen ertönt eine Stimme von einer Schallplatte, die alle Anwesenden beschuldigt, für einen oder mehrere Todesfälle verantwortlich zu sein. Kurz darauf stirbt bereits der erste der zehn Gäste. Noch denken die anderen nicht an eine Mordserie. Als kurz darauf die zweite Person stirbt, glauben sie nicht mehr an einen Zufall. Nachdem sie Haus und Insel durchsucht haben, müssen sie feststellen, dass sich außer ihnen niemand mehr auf der Insel befindet. Der Mörder muss also unter den verbliebenen Personen sein. Bald schon traut keiner mehr dem anderen. Ein gruseliges Detail sind zehn kleine Figuren, die am Tage der Ankunft auf dem großen Esstisch standen: Nach jedem Mord verschwindet eine von ihnen. Als wäre das nicht genug, kommen U. N. Owens Gäste haargenau so ums Leben, wie es in dem Kinderreim von den »Ten Little Indians« beschrieben wird…

Craig Viveiros’ Inszenierung erlaubt sich einige Seitenhiebe auf die englische Klassengesellschaft, der Verlogenheit und Ignoranz der upper class wird die geerdete, aber bildungsferne Arbeiterschicht gegenübergestellt. Die Verfilmung entstand in enger Zusammenarbeit mit Mathew Prichard, dem Enkel und Nachlassverwalter Agatha Christies. Die Dreharbeiten begannen im Juli 2015. Als Drehorte dienten Cornwall (Mullion Cove, Kynance Cove, Holywell Bay), das Harefield House in Hillingdon sowie die Bahnstrecke der South Devon Railway zwischen Totnes und Buckfastleigh. Mit über sechs Millionen Fernsehzuschauern war »And Then There Were None« ein richtiger TV-Hit und fuhr allerbeste Kritiken ein.

Heute wäre Markus’ 48. Geburtstag gewesen. Da er Agatha Christie sehr mochte, widme ich ihm diesen heutigen Filmtipp. Die DVD ist als Import aus England ganz leicht und kostengünstig beschaffbar und bietet kurzweilige 180 Minuten. Ein absolutes Muss für jeden Krimi-Fan! (Die anderen Verfilmungen könnt Ihr anschließend getrost aus Eurer Sammlung entfernen, hab ich letztes Jahr auch gemacht.)

André Schneider

20 thoughts on “Filmtipp #570: And Then There Were None

  1. Super Tip. Leider habe ich die Erstausstrahlung im britischen TV verpasst und würde den so gern einmal sehen, weil ich schon das Buch geliebt habe.

  2. Sehr gut. Ich bin mir sicher, es wird Dir gefallen. Bin gespannt, Deine Meinung zu lesen. Liebe Grüße zum Wochenende — und Gratulation zu Deinem wunderbaren Blog, ich habe da heute ein wenig gestöbert. 🙂

  3. Ach, das freut mich. Im Moment liegt der Schwerpunkt dort eher bei Medien, TV-Serien und Musik. Ab und zu gibt’s auch mal etwas zu meinem Hobby, dem Nähen – aber im Moment fehlt da ein bißchen die Motivation.

  4. Och ja, das ist manchmal so. Das Schöne am Bloggen ist ja, dass es da keine Vorschriften gibt (außer jenen, die man sich selbst setzt). Man schreibt, wonach und wie einem gerade ist. Wenn das Nähen wieder Thema ist, wird es auch wieder Thema. Du scheinst schreibmäßig jedenfalls “im Fluss” zu sein. 🙂

  5. ja, das stimmt, aber ich glaube, ich habe einen fehler gemacht, als ich schrieb, ich hätte mir die DVD bei amazon bestellt. was ich bestellt habe, war eine serie mit aidan turner. das kommt davon, wenn man zu viele blogs gleichzeitig liest

    LG
    Ulrike

  6. Jetzt ist das gute Stück bei mir eingetroffen, und ich bin schon vom ersten Teil restlos begeistert. Gruselige, düstere Atmosphäre, tolle Darsteller – danke für den Tip.

  7. … und gestern teil 2 und 3 inclusive bonusmaterial angeschaut, was ich sonst nie tue. Z.B. wusste ich nicht, dass der Enkel von Agatha Christie selbst in diesem Projekt eine wichtige Position hatte. War eine Investition, die sich wirklich gelohnt hat.

  8. Oh, hatte ich das mit dem Enkelsohn gar nicht geschrieben? Na, dann ist es mir wohl beim Schreiben “entwischt”. Aber auf jeden Fall ist die Edition eine sehr gute gewesen, rundum gelungen. Freut mich, dass Du auch eine gute Zeit damit hattest.

  9. Ich glaube, ich schaue ihn mir die Tage mal wieder an. Ist ja schon ein halbes Jahr her. Wirklich rundum gelungen, schön atmosphärisch, toll gespielt, mit viel Liebe zum Detail in Sachen mise-en-scène, Ausstattung, Bildgestaltung etc. Doch, doch, davon gerne mehr. 🙂

  10. Pingback: Filmtipp #606: Zeugin der Anklage | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  11. Pingback: Filmtipp #654: The Bad Education Movie | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  12. Pingback: Filmtipp #662: Kill or Cure | Vivàsvan Pictures / André Schneider

  13. Pingback: Filmtipp #819: Score | Vivàsvan Pictures / André Schneider

Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.