Filmtipp #474: Prêt-à-Porter

Prêt-à-porter

Originaltitel: Ready to Wear; Regie: Robert Altman; Drehbuch: Robert Altman, Barbara Shulgasser; Kamera: Jean Lépine, Pierre Mignot; Musik: Michel Legrand; Darsteller: Marcello Mastroianni, Sophia Loren, Kim Basinger, Julia Roberts, Anouk Aimée. USA 1994.

pret-a-porter

Die Qualitätsschwankungen in Robert Altmans Œuvre sind so frappierend, dass man die einzelnen Werke kaum in Zusammenhang bringen kann: Können Meisterwerke wie »M.A.S.H.« (1970), »Nashville« (1975) und »Short Cuts« (1993) und Filmdreck wie beispielsweise »Popeye« (1980), »Beyond Therapy« (1987) oder die unsägliche Grisham-Verfilmung »The Gingerbread Man« (1997) von ein- und demselben Regisseur stammen? Er selbst gab zu, dass er einige Auftragsarbeiten nur halbherzig absolvierte, um im Anschluss Herzensprojekte wie »Kansas City« (1996) oder Gosford Park realisieren zu können. Mit »The Player« (1991) und anschließend mit »Short Cuts« etablierte sich Altman in den frühen Neunzigern als angry old man der US-amerikanischen Filmindustrie. Nach einer Serie von Flops hatte er die Kritiker wieder für sich gewonnen: In kunstvoll ineinander verschlungenen Pinselstrichen malte er das Panoramabild einer werte- und ziellosen Gesellschaft. In beiden Fällen hatte er es geschafft, die größten Stars der Branche vor die Kamera zu holen und ihre fein ausgearbeiteten Episödchen geschickt miteinander zu verbinden; eine elegante Zahnrad-Dramaturgie, könnte man sagen.

Die oberflächliche Scheinwelt der Pariser Modewelt zu sezieren, war Altman seit längerem ein wichtiges Anliegen gewesen. Für seine 15-Millionen-Dollar-Produktion konnte er wie üblich eine Bombenbesetzung zurückgreifen. Zudem stellten sich zahllose Models und prominente Designer (mitsamt ihren Kollektionen) zur Verfügung. Der Film wurde Anfang 1994 groß angekündigt, die Erwartungen waren dementsprechend hoch. Nino Cerruti brachte auf den Punkt, was erwartet wurde: »Von Zeit zu Zeit muss man wohl mal beleidigt werden, und wenn schon, dann von einer göttlichen Frau mit Geschmack und nicht von einer dummen Gans.« — Nur ging Altmans bewährtes Konzept diesmal leider nicht auf. Zu unausgegoren das Drehbuch, zu lieblos die Ästhetik, zu ungelenk das Resultat. Es gibt Momente, in denen das Star-Ensemble Funken sprühen lässt, szenenweise blitzt Altmans sarkastischer Blick wohlgefällig auf, aber das Ganze will trotz einer Lauflänge von 130 Minuten zu keiner Einheit finden. Vielleicht liegt es an der chaotischen Art und Weise, wie »Prêt-à-porter« gedreht werden musste: Während der Frühjahrsmodenschauen filmte Altman mit zum Teil sieben Kameras das Geschehen auf und vor den Laufstegen, um anschließend mit seiner Co-Autorin Barbara Shulgasser die einzelnen Storylines zu entwickeln und diese dann im Schnitt mit dem Dokumentarmaterial verschmelzen zu lassen. Es handelt sich um eine Farce, die mit schnellem Blick 30 Hauptcharakteren durch Paris folgt, doch statt sich auf die Darstellung exemplarischer Figuren zu konzentrieren, verliert sich Altman in dem bunten Zirkus der Modenschauen.
Jean-Pierre Cassel erstickt als Designer-Legende Olivier de la Fontaine an einem Schinkensandwich, und Marcello Mastroianni springt als unschuldig Mordverdächtiger in die Seine. Sophia Loren gibt die glückliche Witwe, Kim Basinger wieselt als rasende Reporterin selbstironisch und schwungvoll durch den Film, Ute Lemper schreitet als hochschwangeres Model nackt über den Laufsteg. Stephen Rea spielt einen irischen Star-Fotografen, der von drei konkurrierenden Magazin-Cheffinnen (Linda Hunt, Tracey Ullman und Sally Kellerman) umgarnt wird. Anouk Aimée ist als Modezarin zu sehen, deren bankrottes Unternehmen von ihrem geldgierigen Sohn (Rupert Everett) verscherbelt wird. Lauren Bacall ist eine farbenblinde Designerin, Forest Whitaker und Richard E. Grant haben eine heimliche Affäre, Danny Aiello ist als Transvestit unterwegs, während Julia Roberts und Tim Robbins als geiles Journalisten-Pärchen den ganzen Film ihr Hotelbett nicht verlassen. Darüber hinaus sind Rossy de Palma, Chiara Mastroianni, Tara Leon, Georgianna Robertson, Lili Taylor, Tom Novembre, Anne Canovas, Lyle Lovett, Teri Garr, François Cluzet, Michel Blanc sowie Jean Rochefort als Inspektor mit von der Partie. Man sollte nicht blinzeln, sonst könnte man einen der zahllosen Superstar-Kurzauftritte verpassen: es geben sich unter anderem Christy Turlington, Linda Evangelista, Naomi Campbell, Claudia Schiffer (damals noch mit David Copperfield an der Hand), Helena Christensen, Tatjana Patitz, Elsa Klensch, Björk, Montana, Lacroix, Gaultier, Thierry Mugler, Gianfranco Ferré, Sonia Rykiel, Cher und Harry Belafonte die Ehre, und ständig trampelt jemand in Hundescheiße.

Als der Film am 23. Dezember 1994 in den USA anlief, verpasste man ihm den Titel »Ready to Wear«, um das amerikanische Publikum nicht abzuschrecken. Trotzdem blieben die Zuschauer aus. Die Welt des schönen Scheins interessierte in Übersee kaum jemanden, und die Kritiken waren katastrophal — die schlimmsten, die Altman seit »Popeye« erhalten hatte. Immerhin mauserte sich der Soundtrack zu einem Hit: »Here Comes the Hotstepper« von Ini Kamoze schrieb weltweit schwarze Zahlen. Auch gab es ein paar Filmpreise: Julia Roberts erhielt den Yoga Award als beste ausländische Schauspielerin, Tracey Ullman wurde von der Boston Society of Film Critics als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet, das Ensemble teilte sich den Preis des National Board of Review, während Sophia Loren immerhin für einen Golden Globe nominiert wurde — wie auch der Film selbst. Das deutsche Publikum musste sich etwas gedulden, da Karl Lagerfeld es gar nicht komisch fand, im Film als »Dieb« bezeichnet zu werden und gegen die Macher klagte. Schließlich lief »Prêt-à-porter« im Frühjahr 1995 auch in der Bundesrepublik an; an der fraglichen Stelle wurde Forest Whitaker mit einem lauten Piep-Ton zensiert. — Warum ich den Film mag, kann ich bis zum heutigen Tage nicht eruieren. »Zoolander« (Regie: Ben Stiller) greift die Thematik weitaus kurzweiliger, bissiger, rundum besser auf.

André Schneider

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