Filmtipp #117: Taras Bulba

Taras Bulba

Originaltitel: Taras Bulba; Regie: J. Lee Thompson; Drehbuch: Waldo Salt, Karl Tunberg; Kamera: Joseph MacDonald; Musik: Franz Waxman; Darsteller: Tony Curtis, Yul Brynner, Christine Kaufmann, Sam Wanamaker, Brad Dexter. USA 1962.

Taras Bulba

Nikolaj Gogols berühmter Roman, ein mächtiger Schinken, war bereits zweimal verfilmt worden (1936 in Frankreich, 1938 unter dem Titel »The Rebel Son« (Regie: Adrian Brunel, Albert de Courville, Alexis Granowsky) in England), als er Anfang der Sechziger von Hollywood in ein ebenso aufwendiges wie hirnloses Spektakel verwandelt wurde. Getreu dem Motto »Je mehr, desto besser« wurden die kriegerischen Auseinandersetzungen von Kosaken und Polen im 16. Jahrhundert opulent in Szene gesetzt. Auf historische Genauigkeit erhob man keinen Anspruch, und das Ganze geriet auch ein Quäntchen zu langatmig…
     Im Mittelpunkt steht die Belagerung der von den Polen besetzten Stadt Dubno durch den Kosakenfürsten Taras Bulba (von Yul Brynner mit gebieterischer Erhabenheit gespielt) und dessen Horden. Sein Sohn Andrei (Curtis) hat sich ausgerechnet in die schöne polnische Prinzessin Natalia (Kaufmann) verliebt und wird schließlich, wegen des Versuchs, sie zu retten, von seinem eigenen Vater als Verräter getötet.

Produzent Harold Hecht und Regisseur J. Lee Thompson (Cape Fear) wollten einen epischen Historienschinken schaffen, und oberflächlich betrachtet waren die Zutaten dieses Breis richtig gut: Die erstklassige Besetzung und der rasante, mitreißende, oscarnominierte Score von Franz Waxman sind phantastisch und die Spezialeffekte beeindruckend. Die Schlacht- und Massenszenen von »Taras Bulba« sind spektakulär, doch leider sind diese Sequenzen so ausufernd lang geraten, dass der Zuschauer irgendwann nicht mehr weiß, wer hier eigentlich gegen wen kämpft — und somit das Interesse verliert. Diese meisterhaft inszenierten Szenen fanden unglücklicherweise keine Entsprechung in dem idiotischen Drehbuch von Waldo Salt und Karl Tunberg, das viel Gewicht auf die verkitschte Romanze à la Romeo und Julia zwischen unglaubwürdigen Pappkulissen legte. Dass der an sich interessante Vater-Sohn-Konflikt zwischen Brynner und Curtis nicht überzeugt, dürfte vor allem der Tatsache, dass Brynner nur vier Jahre älter war als sein Filmsohn, geschuldet sein. Dafür sind die Funken, die zwischen Curtis und Kaufmann fliegen, umso schöner (und echt).
     Die Dreharbeiten begannen 1961 und zogen sich aufgrund diverser Schwierigkeiten und Skandale ungewöhnlich lange hin. Die Außenaufnahmen fanden in den argentinischen Pampas statt, die überzeugend die ukrainischen Steppen darstellen sollten, und es gab permanente Probleme mit den einheimischen Komparsen. Um die Militärszenen drehen zu können, kontaktierte Harold Hecht die argentinische Armee und bot ihr 30.000 Dollar (damals ungefähr 120.000 Mark!) an, um sich für eine Woche 2.000 Soldaten auszuleihen. Diese wurden abwechselnd als Kosaken und Polen verkleidet, um zwischendurch immer mal wieder Reißaus zu nehmen, da ihnen das Salär zu wenig war. Mit zusätzlichen Zahlungen konnten sie zur Weiterarbeit bewogen werden. Dann stellte sich heraus, dass der 130 Kilogramm schwere Kleindarsteller Mickey Finn, der eine Nebenrolle spielte, weder reiten noch fechten konnte. Er wurde dafür von Tony Curtis vor dem gesamten Team bloßgestellt und war verständlicherweise für den Rest des Drehs missmutig und unkooperativ. Laut Curtis’ Memoiren war Thompson »ein energischer Regisseur, der wusste, wie man ein Set unter Kontrolle hielt«, aber gegen die Streitereien zwischen Yul Brynner und Tony Curtis blieb er ebenso machtlos wie gegen das Liebesdrama, das sich hinter den Kulissen abspielte: Durch einige italienische Filme und das Vergewaltigungsdrama Town Without Pity war Hollywood auf die damals 16jährige Christine Kaufmann aufmerksam geworden. Noch während der Dreharbeiten zu »Taras Bulba« erhielt sie für Town Without Pity den Golden Globe und galt als neuer aufstrebender Star am Hollywoodfirmament. Schon bei ihrer Ankunft in Argentinien verliebte sich Curtis Hals über Kopf in seine junge Filmpartnerin — Kaufmann schrieb später, sie hätten bereits am ersten Abend miteinander geschlafen —, was seine Frau Janet Leigh zur Abreise und ihn zur Verfolgung bewegte, was den Dreh fürderhin verzögerte. In Los Angeles, wo auf dem Gelände der United Artists die Innenaufnahmen entstanden, mussten Curtis und Kaufmann ihre Romanze heimlich leben, da sie minderjährig war und ihm, wenn die Sache aufgeflogen wäre, eine Gefängnisstrafe gedroht hätte. Trotzdem kochte die Gerüchteküche, was Harold Hecht klugerweise ausnutzte, um mehr Kinotickets zu verkaufen: »Taras Bulba« wurde zu einem respektablen Hit. Janet Leigh reichte noch 1962 die Scheidung ein, und ein Jahr später wurde Christine Kaufmann, inzwischen 18 Jahre alt, die neue Mrs. Curtis. Sie sagte »The Fall of the Roman Empire« (Regie: Anthony Mann) und »Lolita« (Regie: Stanley Kubrick) ab, drehte dafür mit Curtis die harmlos-charmante Salonkomödie Wild and Wonderful und zog sich im Anschluss für einige Jahre aus dem Filmgeschäft zurück, um Ehefrau und Mutter zu sein.
     Tony Curtis wäre heute 88 Jahre alt geworden. Dieser sehenswert-schlechte Film ist somit also eine Geburtstagsempfehlung.

André Schneider