Filmtipp #604: Death Watch – Der gekaufte Tod

Death Watch — Der gekaufte Tod

Originaltitel: Death Watch/La mort en direct; Regie: Bertrand Tavernier; Drehbuch: David Rayfiel, Bertrand Tavernier; Kamera: Pierre-William Glenn; Musik: Antoine Duhamel; Darsteller: Romy Schneider, Harvey Keitel, Harry Dean Stanton, Max von Sydow, Bernhard Wicki [Bernard Wicki]. Frankreich/BRD 1980.

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Als »Death Watch« im Rahmen der Berlinale 1980 seine deutsche Uraufführung erlebte, stieß er allgemein auf wenig Gegenliebe. Man hielt Bertrand Taverniers beklemmende Dystopie für unrealistisch, absurd und geschmacklos. Heute, keine 40 Jahre später, hat die Realität den Film längst eingeholt. In gewisser Weise ist »Death Watch«, entstanden nach dem Roman »The Continuous Katherine Mortenhoe, or The Unsleeping Eye« von David Compton, ein prophetischer Science-Fiction-Film, zeichnet er doch das Bild einer Welt, in der die Medien allgegenwärtig sind. Es geht um die Unvereinbarkeit menschlicher Würde mit der zehrenden Sensationsgier des Fernsehens, welches die letzte private Bastion des Seins penetriert und ausschlachtet: das Sterben.

Katherine Mortenhoe (Schneider) hat es als Schriftstellerin nicht leicht. Ihr sprechender Computer Harriet unterbricht ständig ihren Schreibfluss, da nur neue und erfolgsträchtige Gedanken und Formulierungen zulässig sind. Auch Schimpfwörter und derbe Kraftausdrücke sind verboten. (Stichwort: political correctness.) Die Geschichte von »Death Watch« beginnt in einer architektonisch ebenso opulenten wie tristen Stadt — gefilmt wurde in Glasgow und Umgebung —, in der einerseits urbanes Leben pulsiert, andererseits aber die traditionsreichen alten Häuser dem langsamen Verfall preisgegeben werden. Zeitlich befinden wir uns in einer Art Niemandsland, wohl aber in einer nahen Zukunft. Dank des erzielten medizinischen Fortschritts sterben die Menschen kaum noch an Krankheiten und werden sehr alt. Die Massenmedien, allen voran das Fernsehen, sind allmächtig geworden. Die TV-Konsumenten sind einerseits übersättigt, andererseits ist die Gier nach neuen Bildschirmsensationen exponential gestiegen. Die Fernsehmacher sind bemüht, die Wünsche der Zuschauer mit allen Mitteln zu erfüllen. Besonders beliebt ist die neue Sendereihe »Death Watch«, in welcher die letzten Tage von jung sterbenden Menschen live im Fernsehen übertragen werden. (Stichwort: reality TV.) Als Katherine von ihrem Arzt erfährt, dass sie unheilbar krank ist und nicht mehr lange zu leben hat, verkauft auch sie ihren Tod an den Sender NTV. Dafür erhält sie (oder besser: ihre Erben) ein stolzes Sümmchen Geld. — Als dann kurz darauf die Belagerung durch Fotografen und Journalisten beginnt, begreift Katherine, mit was für menschenverachtenden Ausmaßen sie es hier zu tun hat. Sie wird regelrecht gehetzt und entscheidet, dass sie sich ihr Recht auf ihren privaten Tod nicht nehmen lassen will und flieht. Doch NTV hat bereits einen jungen Mann namens Roddy (Keitel) auf sie angesetzt, der sie als vermeintlicher Freund begleitet. Roddy war im Auftrag des Senders eine neuartige Minikamera ins Gehirn implantiert worden, die alles, was er sieht, aufnimmt und in die Sendezentrale überträgt. Roddy ist eine lebende Kamera. Nur darf er seine Augen nie länger als eine Minute schließen, sonst würde er unheilbar erblinden…
Tavernier ist ein in Form und Inhalt beeindruckender Thriller gelungen, dessen geradezu opulent flirrenden Breitwand-Bilder von der üppigen Kargheit der schottischen Highlands mit all ihrer Schönheit und Leere nachhaltig verstören. Ein unangenehm beängstigendes Werk fürwahr. Er nimmt unsere »Big Brother«-Gegenwart vorweg. Eine neue Art der Pornographie gewissermaßen. Einer der traurigen Kernsätze des Films lautet: »Alles interessiert uns, aber nichts kümmert uns mehr.«

Die mit französischen und westdeutschen Geldern finanzierte Produktion wurde ausschließlich an Originalschauplätzen und in englischer Sprache gedreht. Bernhard Wicki hat einen bewegenden Auftritt als Katherines Vater und Eva Maria Meinecke, die in insgesamt vier Filmen mit Romy Schneider vor der Kamera stand, ist als Ärztin mit von der Partie, während Bill Nighy und Robbie Coltrane in winzigen Nebenrollen zu sehen sind. Leider muss der Zuschauer auch Vadim Glowna ertragen, wird aber durch die Mitwirkung von erstklassigen Akteuren wie Max von Sydow, Harry Dean Stanton, Thérèse Liotard und William Russell mehr als entschädigt. — Seinerzeit kein allzu großer Erfolg, wurde »Death Watch« 2012 in den USA erneut in die Kinos gebracht und erfuhr endlich die Würdigung — auch bei den Kritikern —, die ihm zusteht. In meinen Augen ist dies einer der besten Filme aus Taverniers Œuvre; nur wenige Streifen sind so vielschichtig und profund.

Romy Schneider gibt als Katherine Mortenhoe eine ihrer eindrucksvollsten Vorstellungen — allerdings auch eine, die den Zuschauer sehr mitnimmt. Sie war der festen Überzeugung, drei Viertel der Rolle hätten direkt mit ihr zu tun. Kurz vor Drehbeginn im April 1979 hatte sich ihr Ex-Mann Harry Meyen in Hamburg erhängt. Während sie das Begräbnis vorbereitete, wurde sie von der deutschen Presse gnadenlos verfolgt. Sie fühlte sich, ähnlich wie ihre Filmfigur, diesen Grenzüberschreitungen gegenüber schutzlos. Wieder einmal lässt Romy Schneider hier die Grenzen zwischen der Rolle und ihrer Person verschwimmen. So sieht sie in einer der helleren Sequenzen des Films einigen Kindern beim Fußballspielen im Park zu. Ein blonder Junge dreht sich zu ihr um, sie kommt auf ihn zu und kniet nieder, während ihr Gesicht in einem strahlenden Lächeln zerfließt. Dieser Junge wurde von David gespielt, dem damals 12jährigen Sohn von ihr und Meyen. Kaum anderthalb Jahre später, im Juli 1981, verunglückte der Junge tödlich, und zehn Monate später starb auch Romy Schneider. — Vor einiger Zeit äußerte eine Freundin die Vermutung, dass Romy Schneider gar nicht tot sei. Die Theorie: Schneider hatte einfach die Schnauze voll von dem ganzen Trubel und wollte abtauchen. Alain Delon, Michel Piccoli, Jean-Claude Brialy und ihre Freunde hatten das große Bohei mit der Beerdigung dann schick und medienwirksam aufgezogen, damit sie in Ruhe weg konnte. Sie verkauft heute Kräuterkissen in der Provence und ist glücklich. Ein tröstlicher Gedanke. Sollte er stimmen: Liebe Rosemarie Albach, ich gratuliere hiermit herzlichst zum 80. Geburtstag! Danke für die Filme!

André Schneider

9 thoughts on “Filmtipp #604: Death Watch – Der gekaufte Tod

  1. ich finde nicht, daß du ahnung von film hast. romy schneiders beste rollen waren die in “sissy”, der rest war langweilich. ich mag deine filmtipps nicht.

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