Filmtipp #182 & #183: Der große Ziegfeld & Die gute Erde

Als sie vor vier Jahren ihren 100. Geburtstag feierte, titelte eine deutsche Tageszeitung: »Deutschland hat den Superstar!« — Die Rede ist natürlich von Luise Rainer, geboren am 12. Januar 1910 in Düsseldorf, die einzige Deutsche, die in der Sparte Beste Hauptdarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, sie war die erste Schauspielerin, die diese Auszeichnung gleich zweimal hintereinander erhielt — 1937 und 1938 —, und sie ist heute, 2014, mit 104 Jahren die älteste noch lebende Oscarpreisträgerin überhaupt. Sie hat alle überlebt und, was mir besonders imponiert: Die Frau ist geistig noch voll da. Inzwischen ist sie nach einem Sturz auf eine Gehhilfe angewiesen, aber noch 2003 schloss sie ein spätes Comeback gar nicht mal aus: »Wenn ich ein gutes Angebot bekommen sollte, mache ich noch einen Film.«
Insgesamt war die Filmkarriere Rainers relativ kurz. Zwischen 1932 und 1943 drehte sie nur ein Dutzend Filme, danach trat sie nur noch äußerst sporadisch im Film oder in Fernsehserien auf. Ihre bis heute letzte größere Filmrolle spielte sie 1997 in dem Drama »The Gambler« (Regie: Károly Makk) nach Dostojewski. Für »POEM« (Regie: Ralf Schmerberg), einer Collage von Gedichten, kehrte sie 2003 nach 68 Jahren noch einmal kurz zurück nach Deutschland und spielte in ihrer Muttersprache. 2011 erhielt sie in Berlin einen Stern auf dem Boulevard der Stars und wurde dafür aus ihrer Wahlheimat London eingeflogen.
Entdeckt wurde Rainer von keinem Geringeren als dem großen Max Reinhardt, der sie in den frühen Dreißigern am Theater in der Josefstadt in Wien inszenierte und berühmt machte. Bemerkenswert für die damalige Zeit — es war die Zeit des deutschen Expressionismus — war Luise Rainers impressionistische, natürliche, fast filmische Spielweise. Ihre Karriere in Deutschland währte nicht lang. Die Nazis kamen an die Macht, und die Lage der 25jährigen Tochter eines jüdischen Kaufmanns wurde schnell prekär. Als 1935 ein Talentscout von MGM auf sie aufmerksam wurde und ihr den hollywoodüblichen Siebenjahresvertrag anbot, ergriff sie — auch auf Max Reinhardts Zuraten hin — die Gelegenheit und emigrierte. Ihr erster Film in den Vereinigten Staaten war »Escapade« (Regie: Robert Z. Leonard) mit William Powell (The Thin Man). Für ihren zweiten US-Film, »The Great Ziegfeld«, ebenfalls mit Powell, erhielt sie ihren ersten Oscar. Die Szene, in der ihre Figur ihrem geschiedenen Mann am Telefon zu seiner neuen Hochzeit gratuliert und dabei ihre Tränen hinter einem Lächeln verbirgt, wurde zu einer der berühmtesten der Filmgeschichte. Es folgte das aufwendige Epos »The Good Earth«, in dem Rainer die chinesische Bäuerin O-Lan spielte, die für ihre Familie durch die Hölle geht. Für ihr ergreifendes, fast stummes Spiel erhielt sie ihren zweiten Oscar. Kurzzeitig war Luise Rainer der Star Hollywoods, gefragter noch als die Garbo und galt als »die größte Schauspielerin der Welt«.
Leider galt die Individualistin von Anfang an bei MGM nicht nur als kompliziert, sie war außerdem nicht als Glamourgirl zu »verwerten«. Sie sträubte sich, das Hollywoodspiel mitzuspielen, trug in ihrer Freizeit Hosen und einfache Blusen, fuhr Fahrrad und erbat sich nach ihrem zweiten Oscar auch noch ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihrer Rollen (was ihr verwehrt wurde). Studioboss Louis B. Mayer schlachtete Rainers dramatisches Talent für eine Reihe schwerer Kostümschinken und Melodramen aus, die in den Zeiten der Wirtschaftskrisen und des sich anbahnenden Weltkriegs nicht besonders erfolgreich waren. Als sie sich 1938 über die mangelnde Qualität der Drehbücher beklagte, zeigte sich Mayer belustigt und sagte ihr, dass er sie »gemacht« habe und sie ohne das Studio gar nichts sei. Daraufhin kündigte sie fristlos: »Nicht Sie haben mich gemacht, Gott hat mich gemacht! Sie sind jetzt 60, ich bin 20. Wenn ich 40 bin, das Alter einer erfolgreichen Schauspielerin erreicht habe, werden Sie tot sein.«
Bis zu ihrem nächsten Film, dem Kriegsdrama »Hostages« (Regie: Frank Tuttle), vergingen fünf Jahre, in denen sie unter anderem am Broadway unter der Regie von Lee Strasberg spielte. In Ibsens »Lady from the Sea« trat sie 1950 noch einmal erfolgreich am Broadway auf, aber abgesehen von einigen sporadischen Fernsehrollen — es waren rund zehn in fünf Jahrzehnten — war ihre Karriere passé. Fellini hatte sie 1960 für »La dolce vita« engagiert, doch als sie, in Rom angekommen, das Drehbuch gelesen und festgestellt hatte, dass sie eine Bettszene mit Mastroianni spielen sollte, reiste sie empört ab. Fellini soll noch am Flughafen vor ihr auf die Knie gefallen sein.
Mit Einstein war sie befreundet, die Garbo verehrte sie. Während des Krieges half sie vielen deutschen Künstlern bei der Einreise in die USA. Unter ihnen war auch Bertolt Brecht, der so von ihr fasziniert war, dass er seinen »kaukasischen Kreidekreis« für sie schrieb. Sie spielte das Stück jedoch nie, weil der Brecht ihr unsympathisch war. Aus heutiger Sicht ist ihre Sturheit einfach liebenswert; eine typische Steinbock-Frau wie Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Hanna Schygulla, Jane Fonda, Christine Kaufmann oder Tippi Hedren.
1936 verliebte sich Luise Rainer in den Dramatiker Clifford Odets, damals auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Sie heirateten 1937. Odets galt als gewalttätig, hatte Affären (unter anderem mit Frances Farmer, deren tragisches Ende er wohl mitverschuldete) und verachtete das System, das ihn reich gemacht hatte. Nach zweieinhalb Jahren ließ die Rainer sich von ihm scheiden: »Er wollte beides, die große Schauspielerin und die kleine Hausfrau. Das konnte ich ihm nicht bieten.« — Ihre zweite Ehe war glücklicher: 1945 heiratete sie den Verleger Robert Knittel und bekam eine Tochter, Francesca. Rainer und Knittel blieben bis zu seinem Tod 1989 zusammen. Zwar nahm Rainer in den vierziger Jahren die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an, seit 1945 jedoch lebt sie in London. Sie wohnt heute am Eaton Square in der Wohnung, die einst Vivien Leigh gehörte. In besagtem Interview von 2003 sagte sie: »I always lived more than I worked. Which doesn’t mean that I do not love my profession and every moment I was in it gave me great satisfaction and happiness.«
Zum 104. Geburtstag dieser starken Frau heute also ihre Oscar-Filme als Empfehlung.

Der große Ziegfeld

Originaltitel: The Great Ziegfeld; Regie: Robert Z. Leonard; Drehbuch: William Anthony McGuire; Kamera: Oliver T. Marsh, Ray June, George Folsey, Karl Freund, Merritt B. Gerstad; Darsteller: William Powell, Myrna Loy, Luise Rainer, Frank Morgan, Virginia Bruce. USA 1936.

the great ziegfeld

In Deutschland hätte man »The Great Ziegfeld« wohl als Revuefilm bezeichnet, tatsächlich ist der Streifen eine Art Genre-Mix aus Musical, Komödie, Melodram und Biopic, angelehnt an das turbulente Leben des schillernden Theaterproduzenten Florenz Ziegfeld (Powell), dessen erste Ehe mit Anna Held (Rainer) an seinen zahllosen Affären zerbricht. In zweiter Ehe heiratet er die berühmte Schauspielerin Billie Burke (Loy), doch auch hier verheddert er sich in seinen außerehelichen Abenteuern. In finanzieller Hinsicht werden ihm schließlich seine beruflichen Extravaganzen zum Verhängnis, und am Ende sieht er sein Lebenswerk in Trümmern.
Ein mit 185 Minuten durchaus ausuferndes Spektakel, das seine für damalige Verhältnisse exorbitanten Kosten von 1,5 Millionen Dollar spielend wieder einholte: Über drei Millionen fuhr »The Great Ziegfeld« 1936/37 ein. Die Opulenz, mit der der Streifen inszeniert wurde, ist auch heute noch bemerkenswert. Die berühmteste Revuenummer des Films, »A Pretty Girl is Like a Melody«, dauert rund sieben Minuten, wurde mehrere Wochen geprobt und kostete 220.000 Dollar. 180 Tänzerinnen und Tänzer sind in dieser einen Szene zu sehen!
Myrna Loy (Midnight Lace), die im Vorspann an zweiter Stelle genannt wird, tritt erst nach 135 Minuten zum ersten Mal auf. Für sie und Powell war es bereits die vierte Zusammenarbeit, Luise Rainer stand zum zweiten Mal mit ihm vor der Kamera.

»The Great Ziegfeld« wurde für sieben Oscars nominiert und gewann schließlich drei: Bester Film, Beste Hauptdarstellerin, Beste Tanzregie. Luise Rainer, die sich gerade in einer Ehekrise mit Odets, der eifersüchtig auf ihren Erfolg war, befand, hatte eigentlich keine Lust gehabt, an der Zeremonie teilzunehmen, zumal sie als Europäerin gar nicht genau wusste, was dieser Academy Award eigentlich ist (»Ein Lob von Max Reinhardt hatte mir mehr bedeutet als dieser Oscar.«). Als Louis B. Mayer hörte, dass sie nicht an der Feierlichkeit teilnehmen wollte, explodierte er und ließ die Schauspielerin zwei Stunden vor der Verleihung zu Hause abholen, wo sie ihre Besucher in Pyjama und Lockenwicklern empfing. Ihre beiden Oscars sollten bei ihr kein allzu gutes Zuhause finden: Der eine endete als Türstopper, den anderen schenkte sie einem Umzugshelfer (»Er hatte ihn so sehnsüchtig angeschaut, da konnte ich nicht Nein sagen.«), so dass ihr die Academy einen »frischen« Ersatz-Oscar schicken musste.

Die gute Erde

Originaltitel: The Good Earth; Regie: Sidney Franklin; Drehbuch: Talbot Jennings, Tess Slesinger, Claudine West; Kamera: Karl Freund; Musik: Herbert Stothart; Darsteller: Paul Muni, Luise Rainer, Walter Connolly, Tilly Losch, Charley Grapewin. USA 1937.

the good earth

Der 1931 veröffentlichte epische Roman von Pearl S. Bucks hatte sich vom Start weg zu einem enormen Bestseller gemausert, den Pulitzer-Preis gewonnen und 1933 in dramatisierter Form seine Broadway-Premiere erlebt. Irving Thalberg, MGMs Produktionschef, sah das Stück mit Claude Rains in New York und sah in dem Stoff das geeignete Material für ein wahrhaft großes Leinwandepos, obwohl MGM-Boss Louis B. Mayer tumb fragte: »Wer will schon einen Film über chinesische Farmer sehen?«
Nur kurz zur Story: Wang Lung (Muni) ist ein einfacher Reisbauer, der gemeinsam mit seiner Frau, der Küchensklavin O-Lan (Rainer), die bescheidene Farm in einen erfolgreichen Betrieb verwandelt. Nach einer langen Dürreperiode muss die Familie, zu der mittlerweile auch drei Kinder gehören, ums Überleben kämpfen, und schließlich sogar die Farm verlassen. Im Süden des Landes gerät die Sippe in die Wirren von Naturkatastrophen und Revolution…

»The Good Earth« wurde mit seinen rund 140 Minuten Lauflänge ein wahrer Mammutfilm, MGMs teuerstes Unternehmen seit der 1925er Stummfilm-Version von Ben Hur (Regie: Fred Niblo). Die Tragödien, die sich hinter der Kamera abspielten, dehnten die Produktionszeit auf über drei Jahre aus. Bereits 1934 war George Hill mit der Inszenierung betraut worden und hatte nicht nur umfangreiche Hintergrundaufnahmen gefilmt, sondern auch 18 Tonnen Ausstattungsmaterial, darunter ganze Farmhäuser, mitgebracht. Seine Frau Frances Marion sollte das Drehbuch schreiben. Doch nachdem Hill aufgrund seines Alkoholismus während einer Drehbuchkonferenz kollabierte, nahm er sich mit einem Kopfschuss das Leben. Victor Fleming ersetzte ihn, ein Autorinnen-Trio sprang für die verzweifelte Witwe ein, und die Arbeiten konnten fortgesetzt werden. Dann jedoch fiel Fleming wegen Krankheit aus, und Sidney Franklin beendete »The Good Earth«, der entgegen Louis B. Mayers Prognose ein Bombenerfolg wurde — obwohl die Hauptrollen von Europäern gespielt wurden und, den Gesetzen Hollywoods folgend, nur die unwichtigen Parts mit Asiaten besetzt waren. Die überwältigenden Spezialeffekte, die den brillanten Schauspielerleistungen in nichts nachstanden, dürften für diesen Erfolg nicht unerhebliche gewesen sein. Man hatte alle verfügbaren Mittel und Tricks eingesetzt; besonders die erschreckende Szene mit der Heuschreckenplage bleibt hier im Gedächtnis. Bei der Oscar-Verleihung 1938 holte »The Good Earth« zweimal Gold, ausgezeichnet wurde neben Luise Rainer verdientermaßen Karl Freunds exquisite Kameraarbeit.

André Schneider