Filmtipp #207 & #208: Vierzehn Stunden & Kurier nach Triest

Meine heutigen Empfehlungen sind zwei recht unbekannte Werke aus dem reichen Schaffen Henry Hathaways, der so feine Filme wie 23 Paces to Baker Street für die 20th Century Fox aus der Taufe gehoben hat und eigentlich nie so richtig Würdigung erfuhr. Umso mehr lohnt es sich, seine kleinen Perlen heute zu entdecken.

Vierzehn Stunden

Originaltitel: Fourteen Hours; Regie: Henry Hathaway; Drehbuch: John Paxton; Kamera: Joseph MacDonald [Joe MacDonald]; Musik: Alfred Newman; Darsteller: Paul Douglas, Richard Basehart, Barbara Bel Geddes, Debra Paget, Jeffrey Hunter. USA 1951.

14 hours

Am 26. Juli 1938 stürzte sich der 26jährige John W. Warde von dem Sims des 17. Stockwerks eines New Yorker Wolkenkratzers, nachdem er zuvor 14 Stunden dort ausgeharrt hatte und es Verwandten und Polizisten nicht gelungen war, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
     Dieses tragische Ereignis, das von einer gaffenden Menschenmenge verfolgt worden war und landesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, bot die Vorlage für dieses packend erzählte und glaubwürdig gespielte Drama. Dass der Selbstmörder mit seiner Homosexualität haderte, durfte im Film natürlich nicht durchklingen, also schrieb man Barbara Bel Geddes die Rolle seiner abtrünnigen Freundin auf den Leib. Auch der Schluss wurde abgemildert, und der Springende landet in einem von der Polizei aufgespannten Sicherheitsnetz. Nichtsdestotrotz blieb der Stoff brisant und aufregend genug, um das Publikum über 90 Minuten bei der Stange zu halten, was Hathaways straffer Regie und den vorzüglichen Schauspielerleistungen geschuldet ist. Richard Basehart spielt den traurigen jungen Mann mit Selbsttötungsabsichten, Paul Douglas ist als Verkehrspolizist zu sehen, dem es zumindest ansatzweise gelingt, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen, und Agnes Moorehead absolviert einen kurzen, aber denkwürdigen Auftritt als besorgte Mutter. Doch »Fourteen Hours« beschäftigt sich mitnichten nur mit der Hauptfigur, sondern untersucht vor allem die sich ansammelnde Gruppe von Schaulustigen und stellt eine Vielzahl von Personen vor, zum Beispiel ein junges Paar (Paget, Hunter), das sich im Laufe der 14 Stunden behutsam näher kommt, und eine Frau, die das Geschehen aus einem gegenüber liegenden Fenster einer Anwaltskanzlei verfolgt und sich entschließt, ihre bereitliegenden Scheidungspapiere doch nicht zu unterzeichnen. Diese Frau wird von keiner Geringeren als Grace Kelly (in ihrer allerersten Filmrolle) gespielt.

Gut 65 Jahre nach seiner Entstehung ist »Fourteen Hours« ein interessantes Experiment geblieben. So wurde beispielsweise — abgesehen vom Vor- und Abspann — auf eine Filmmusik verzichtet, was 1951 für einen Studiofilm absolut unüblich war. Außerdem gelang es Hathaway und dem Produzenten Sol C. Siegel, einige Aufnahmen vor Ort in Manhattan zu drehen. Das 52stöckige Hochhaus, Adresse: 140 Broadway, wurde 1967 abgerissen. Trotzdem entstand der Großteil des Streifens auf dem Studiogelände der 20th Century Fox. Für ihre überzeugende Arbeit wurden die Filmarchitekten Lyle R. Wheeler, Leland Fuller, Thomas Little und Fred J. Rode für einen Oscar nominiert, während Henry Hathaway als einer der Hauptfavoriten beim Filmfestival in Venedig gehandelt wurde.
     Unter den über 60 Schauspielern, die in diesem ungewöhnlichen Kammerspiel zum Teil in Klein- und Kleinstrollen durchs Bild huschen, finden sich Joyce Van Patten (The Goddess), Janice Rule (Bell Book and Candle), John Randolph, Harvey Lembeck, Brian Keith (Reflections in a Golden Eye), Richard Beymer (West Side Story), David Burns (The Great Ziegfeld), Ossie Davis und John Cassavetes. Viele von ihnen standen damals erst am Anfang ihrer Karriere. Andere Schauspieler des Films, zum Teil bereits etablierte Stars, traten in »Fourteen Hours« (vorerst) zum letzten Mal auf: Howard Da Silva, Martin Gabel (Marnie), Jeff Corey (Brute Force), Leif Erickson (der Ex-Ehemann Frances Farmers) und Barbara Bel Geddes wurden — ebenso wie der Autor des Films — 1951 von McCarthy und seinem »Komitee für unamerikanische Aktivitäten« auf die Schwarze Liste gesetzt, was einem Berufsverbot in Hollywood gleichkam. Zu diesem Zeitpunkt war »Fourteen Hours« bereits abgedreht, allerdings hatte 20th Century Fox den Film aus Pietät für ein halbes Jahr auf Eis gelegt, nachdem sich die Tochter des Studiobosses Spyros Skouras am Tag der Preview aus dem Fenster gestürzt hatte.
     Hathaway lässt seine Hauptdarstellerin erst in der letzten Viertelstunde des Films auftauchen — aber was für eine Vorstellung! Barbara Bel Geddes’ Filmkarriere hatte in den späten 1940ern viel versprechend begonnen; »I Remember Mama« (Regie: George Stevens) hatte ihr 1949 sogar eine Oscarnominierung eingebracht. Mit Filmen wie »The Long Night« (Regie: Anatole Litvak) und »Caught« (Regie: Max Ophüls) sollte sie zum Star aufgebaut werden. Nachdem ihr Name auf der Schwarzen Liste gelandet war, war sie sieben Jahre nicht mehr im Film zu sehen. Erst, nachdem sie am Broadway in Tennessee Williams’ »Cat on a Hot Tin Roof« brilliert hatte, wurde sie 1957 von Alfred Hitchcock in »Vertigo« besetzt. Später unterbrach sie ihre Karriere erneut, als sie ihren schwerkranken Mann pflegte und kurz darauf an Brustkrebs erkrankte. So kam ihre Karriere erst verhältnismäßig spät in Schwung, als sie 1978 als grundgute Miss Ellie in der Seifenoper »Dallas« in ihren Beruf zurückkehrte.

Kurier nach Triest

Originaltitel: Diplomatic Courier; Regie: Henry Hathaway; Drehbuch: Casey Robinson, Liam O’Brien; Kamera: Lucien Ballard; Musik: Sol Kaplan; Darsteller: Tyrone Power, Patricia Neal, Stephen McNally, Hildegard Knef [Hildegarde Neff], Karl Malden. USA 1952.

diplomatic courier

Lange hatte ich nach diesem Film gesucht — hier hatte ich bereits darüber geschrieben —, aber erst in diesem Jahr kam ich endlich in den Genuss, ihn zu sehen.
     »Diplomatic Courier« ist ein klassischer Spionagethriller aus der Zeit des Kalten Krieges, der mit den genreüblichen Zutaten — vom Doppelagenten bis hin zum obligatorischen Mikrofilm — hergestellt wurde. Tyrone Power (Son of Fury), damals schon etwas angegraut, aber dennoch eines der kräftigsten Zugpferde von 20th Century Fox, spielt den amerikanischen Nachrichten-Kurier Mike Kells, der in Salzburg ein wichtiges Dokument entgegennehmen soll, in dem der genaue Zeitplan für eine sowjetische Invasion in Jugoslawien zu finden ist. Doch bevor es zur Übergabe kommt, wird Mikes Kontaktmann ermordet, und er muss sich selbst auf die Suche nach dem Papier machen. Dabei spielen zwei mysteriöse Damen (Neal, Knef) eine nicht unwichtige Rolle…

Der ausschließlich auf dem Studiogelände der Fox entstandene Streifen ist, das muss an dieser Stelle betont werden, erstaunlich gut gealtert. In der zweiten Hälfte gewinnt der elegante Thriller so sehr an Rasanz, dass dem Zuschauer keine Zeit bleibt, sich über die Löcher in der grob gestrickten Handlung oder die alberne politische Schwarzweißmalerei Gedanken zu machen. Wie alle Hathaway-Filme ist auch »Diplomatic Courier« einwandfrei gespielt und inszeniert.
     Ihr Name wird im Vorspann zwar (wie üblich) an vierter Stelle geführt, aber Hildegard Knef (The Man Between) ist die eigentliche Hauptdarstellerin des Films. Patricia Neal (Breakfast at Tiffany’s), damals schon ein Star, tritt vergleichsweise sporadisch auf, während Knef und Power nach dem ersten Drittel praktisch die Handlung tragen. »Diplomatic Courier« ist der mit Abstand beste von Knefs vier US-Filmen. Leider hat sie die deutsche Synchronisation seinerzeit nicht übernommen, man sollte »Diplomatic Courier« — wie »Fourteen Hours« übrigens auch — im englischen Originalton genießen.
     Wer gut aufpasst, kann Charles Bronson, Lee Marvin und E. G. Marshall (Town Without Pity) in kleinen Rollen entdecken.

André Schneider

 

18 thoughts on “Filmtipp #207 & #208: Vierzehn Stunden & Kurier nach Triest

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