10. März 2024

In der Vergangenheit habe ich einige »meiner« Stars in kleinen Portraits hier vorgestellt: Sandra Bernhard, Vanessa Redgrave, Marlon Brando, Sal Mineo, Albert Finney. Mein Vorhaben, jeden Monat ein Porträt zu verfassen, habe ich aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen ad acta gelegt, dabei gäbe es noch viele, über die ich gerne schreiben würde: Romy Schneider, Tippi Hedren, Kim Stanley, Oliver Reed, Patrick Dewaere und so weiter. Zur Feier des heutigen Tages bringe ich immerhin etwas ähnliches.
Meinen heutigen 46. Geburtstag verbringe ich fern der Arbeit und gebe mich voll und ganz meiner Erholung hin. 46, Wahnsinn! Und ich fühle mich besser denn je. Als ich 26 war, kam Deed Poll heraus. One Deep Breath erschien, als ich 36 war. Ich würde mir fürs neue Lebensjahr einen ähnlich guten Film wünschen. Wir werden sehen, was passiert. Wie und wo Sharon Stone ihren 66. Geburtstag verbringt, kann ich nicht wissen, allerdings möchte ich heute ein Interview mit Euch teilen, das Stone vor rund zwei Jahren dem »ICON Magazin« gegeben hat. Ihr Buch habe ich Euch ja bereits 2022 wärmstens ans Herz gelegt. Auch empfehle ich, sich mal durch ihr filmisches Werk zu arbeiten, da sie in meinen Augen zu den wandlungsfähigsten und besten Schauspielerinnen ihrer Generation gehört — und, ähnlich wie Melanie Griffith — bis heute unterschätzt wird.
Ich wünsche Euch, dass dieser 10. März ein besonders schöner und sonniger wird.

Euer André


»Der Schlaganfall hat mir Gesundheit, Geld und Ruhm genommen«

Bericht von Sven Michaelsen, ICON Magazin, September 2022.

Die Verhörszene im Thriller »Basic Instinct« machte Sharon Stone zum Superstar. Doch dann war schlagartig ihr ganz persönlicher Überlebensinstinkt gefragt. Wir sprachen mit der Amerikanerin über den Moment, der ihre Welt neu ordnete.

Sharon Stone 1

Es gibt Ereignisse, die eine Biografie für immer in zwei Teile zerschneiden, in ein Davor und ein Danach. Der Tag im September 2001, der das Leben von Sharon Stone in Stücke schlug, begann mit einem Schlaganfall und schweren Blutungen in Kopf und Wirbelsäule, die neun Tage nicht zu stoppen waren. Die Ärzte im Krankenhaus sahen nur eine Möglichkeit, ihr Leben zu retten: Eine sieben Stunden lange Operation, bei der 23 haardünne Platindrähte in die geschädigte Arterie eingeführt werden sollten. Ihre Chance, den Eingriff zu überleben: ein Prozent.

21 Jahre später hat die Schauspielerin im Schneidersitz auf der Wohnzimmercouch ihres Hauses in West Hollywood Platz genommen und erzählt, Kekse kauend, vom Untergang ihrer Weltkarriere. »Der Schlaganfall hat mir Gesundheit, Geld und Ruhm genommen. Hollywood verzeiht es dir nicht, wenn du von heute auf morgen von der Bildfläche verschwindest.«

ICON: Mrs Stone, was war Ihr erster Gedanke, als Sie aus der Narkose erwachten?

Sharon Stone: Dass es nicht nur um mich geht. Mein Adoptivsohn Roan war erst 18 Monate alt, als ich den Schlaganfall hatte. Als alleinerziehende Mutter Anfang 40 war ich doppelt dankbar, dass die Ärzte mir ein zweites Leben geschenkt hatten. Die ersten Monate brachten mich an meine Grenzen. Ich musste Pillen gegen die Schmerzen nehmen und Pillen gegen die durch die Schmerzen verursachte Depression. Es dauerte Jahre, bis ich genügend Kraft in mir spürte, um noch zwei weitere Söhne zu adoptieren. Heute sind meine Kinder 16, 17 und 22 Jahre alt. Ihre Mutter zu sein, war die beste Entscheidung meines Lebens.

In welchem seelischen Zustand waren Sie, als Sie das Krankenhaus verließen?

In manchen Momenten hatte ich das unheimliche Gefühl, die Operation habe meine DNA verändert. Plötzlich aß ich Curry-Gerichte gern und reagierte allergisch auf einige meiner Lieblingsgerichte. Viel schlimmer war, dass mein Körper mir nicht mehr gehorchte. Mein Gesicht hing schief, ich stotterte fünf Monate lang, und beim Gehen zog ich ein Bein nach. Ich konnte zwei Jahre lang nicht lesen und hatte mein Kurzzeitgedächtnis verloren. Jeden Tag musste ich mir die gleichen demütigenden Fragen stellen: Wo ist die Teetasse, die du gerade abgestellt hast? Dazu kam die Paranoia: Wem kann ich in meiner Hilflosigkeit vertrauen? Wer wird mir zur Seite stehen, statt mich für Geld an die Boulevardmedien zu verkaufen?

Hat der Schlaganfall Ihre Persönlichkeit verändert?

Ja, ich musste lernen, anderen wirklich zuzuhören und zu akzeptieren, mich wie ein Kind behandeln zu lassen, dem dauernd Vorschriften gemacht werden. Die wichtigste Veränderung war mein Entschluss, künftig stets bei der Wahrheit über mich zu bleiben. Wenn du kein Kurzzeitgedächtnis mehr hast, ist es sinnlos zu lügen. Um mit einer Lüge durchzukommen, musst du dich am nächsten Tag noch an sie erinnern können, denn sonst verhedderst du dich dauernd in Widersprüche.

Sharon Stone 2

Leiden Sie bis heute unter körperlichen Spätfolgen?

Meine Hörfähigkeit ist beeinträchtigt, und wenn bei einer Besprechung fünf Leute durcheinanderreden, wird der Druck in meinem Kopf so stark, dass ich »Ruhe!« rufen muss. Auch meine Geschicklichkeit hat gelitten, und ich muss damit leben, dass ich seit 21 Jahren jeden Tag Schmerzen habe. Trotz allem halten die behandelnden Ärzte den Grad meiner Genesung für ein Wunder.

Drei Jahre nach dem Sensationserfolg als bisexuelle Eispickel-Killerin in »Basic Instinct« wurden Sie 1995 für Ihre Darstellung in »Casino« von Martin Scorsese mit einem Golden Globe und einer Nominierung für den Oscar geehrt. Sechs Jahre später kam wegen Ihres Schlaganfalls das Aus. Kann man einen Sturz vom Olymp jemals verwinden?

Ich war zehn Jahre lang ein Superstar. Aber egal, wie glamourös deine Karriere war, wenn du längere Zeit aus dem Geschäft raus bist, musst du dich am Ende der Schlange anstellen, um wieder eine Rolle zu bekommen. John Travolta ist diesen dornigen Weg ebenso gegangen wie Robin Williams. Ich spiele bis heute Rollen, die mich gelegentlich stolz machen, und arbeite mit namhaften Regisseuren wie Steven Soderbergh. Neben der Schauspielerei habe ich viele Millionen Dollar Spenden gesammelt für Obdachlose und HIV-Infizierte. Im Scheinwerferlicht zu stehen gibt dem Leben keinen Sinn, Menschen zu helfen schon. Ich vermisse die frühere Version von Sharon Stone nicht. Ein großes Ego ist ein großes Hindernis auf dem Weg zu dir selbst.

Vergangenes Jahr haben Sie unter dem Titel »The Beauty of Living Twice« Ihre Memoiren veröffentlicht. Hatten Sie Vorbilder für Ihr Buch?

Ich schreibe seit meinem 14. Lebensjahr Kurzgeschichten und bin bis heute eine begeisterte Vielleserin. Niemanden bewundere ich mehr als Joan Didion. Sie hat das einzigartige Talent, Tragödien in einem lakonischen, fast beiläufigen Ton zu erzählen. Meine zweite Favoritin ist Flannery O’Connor. Sie kann Geschichten so intim und lebendig erzählen, als wären es Briefe an die beste Freundin. Den Erzählstil dieser beiden Frauen habe ich mir zum Vorbild genommen.

Eine Autobiografie zu schreiben hat etwas von einer Psychoanalyse. Was haben Sie beim Schreiben über sich gelernt?

Dass unsere Körperzellen ein Gedächtnis haben für unsere Familiengeschichte der letzten 100 Jahre. Ich habe zum Beispiel erst beim Schreiben begriffen, wie sehr mich die Ehe meiner Eltern geprägt hat. Mein halbes Leben lang war ich fest davon überzeugt, eine kaltherzige Mutter zu haben, die mich ablehnt und immer nur Augen für meinen Vater hat — ein Irrtum, wie ich inzwischen weiß. Wer sich mit seiner Familiengeschichte nicht auseinandersetzt, wird sich niemals selbst kennenlernen. Die Macht der Vergangenheit über unser Leben verschwindet erst, wenn wir uns dieser Vergangenheit stellen. Man wird dann vom Objekt zum Subjekt der eigenen Geschichte.

Was waren Ihre größten Hürden beim Schreiben?

Wie jeder Debütant musste ich erst einmal das Schamgefühl überwinden, dass andere meine Gedanken womöglich schon viel genauer und schöner formuliert haben. Als viel problematischer erwiesen sich aber die Menschen, die für den Verkauf meines Buchs zuständig waren. Kurz nach der Abgabe des Manuskripts starb mein Verleger Sonny Mehta, einer der charismatischsten Menschen, die es im Verlagsgeschäft je gegeben hat. Sein Nachfolger wollte mein Buch als sensationelle Enthüllungsstory vermarkten, und der Werbechef erklärte mir allen Ernstes, soziale Medien wie Instagram seien für den Verkauf meines Buchs völlig unerheblich. Mein Publicity-Manager war auch nicht besser. Er sagte Zeitschriften Celebrity-Geschichten über mich zu, ohne mich vorher zu fragen. Auch die Fernsehinterviews mit meiner Familie waren nicht mit mir abgesprochen. Hätte er mich gefragt, hätte ich Nein gesagt.

Sharon Stone 3

Stimmt es, dass Sie beim Vermarkten Ihres Buchs krank wurden?

Ja, als die Hälfte der Werbetour vorbei war, spielten meine Gesichtsmuskeln plötzlich verrückt, und ich konnte meine Augen nicht mehr öffnen. Ich glaube, mein Körper wollte mir damit sagen, dass ich etwas tue, was ich besser lassen sollte. Die Botschaft lautete: Lebe synchron mit deiner Seele, sonst macht sie dich krank. Ich wollte, dass mein Buch nicht wegen meiner Auftritte im Fernsehen gekauft wird, sondern wegen dem, was drinsteht. Inzwischen ist es in 17 Ländern erschienen. In den USA stand es auf Platz vier der Bestsellerlisten, in Großbritannien auf Platz eins. Leider gibt es noch keine deutsche Ausgabe.

Sie haben viel Unglück und Leid erlebt: sexuelle Übergriffe des Großvaters, Ihr Jugendfreund wurde von einem betrunkenen Autofahrer getötet, Abtreibung mit 18, neun Fehlgeburten — drei davon nach fünfeinhalb Monaten Schwangerschaft —, zwei Scheidungen, Tumore in beiden Brüsten, Ihr Bruder Michael wurde wegen des Handels mit Kokain zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, vergangenes Jahr starb Ihr Neffe und Patensohn mit nur elf Monaten an Multiorganversagen. Tun Wunden, die man zu Papier bringt, hinterher weniger weh?

Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil ich meine Verwundungen zuvor schon in Traumatherapien unterschiedlichster Art aufgearbeitet hatte. Dieser Prozess zog sich über viele, viele Jahre hin. Von Therapeuten habe ich gehört, man müsse einen Schmerz siebenmal zu Papier bringen. Erst das Lesen, Korrigieren und Wiederlesen ergebe für die Psyche einen reinigenden Effekt.

Haben Sie eine Art Katharsis gespürt, als Sie hinter den letzten Satz Ihres Manuskripts einen Punkt setzten?

Nein, aber Schreiben zwingt dich zur Genauigkeit. Wenn du Schwierigkeiten hast, einen Gedanken zu formulieren, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass du diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht hast. Wenn du dein Leben wie einen Rubik-Zauberwürfel aus allen möglichen Perspektiven betrachtest, werden auch deine Erinnerungen auf den Prüfstand gestellt: Erinnern andere Beteiligte dieselbe Szene womöglich ganz anders als du? Man lernt die eigenen Legenden und Halbwahrheiten kennen, die man erzählt, um sich das Leben erträglicher zu machen. Seine Memoiren zu schreiben macht einen nicht glücklich, aber am Ende hat man einen distanzierteren und objektiveren Blick auf sich.

Sie galten viele Jahre als Sexsymbol. Ist es mit 64 ein Unglück, als ikonische Schönheit gegolten zu haben, weil man zu oft nur noch mit Heimweh nach dem Damals des eigenen Körpers beschäftigt ist?

Sie werden lachen: Bis Anfang 30 mochte ich mein Spiegelbild nicht besonders. Als Teenager fand ich mich zu groß und zu kurvig und hatte die Stimme und die Schultern eines Jungen. Niemand hielt mich für sexy, aber weil ich das Auftreten der begehrten Mädchen beobachtete, wusste ich irgendwann, wie man sexy wirkt, ohne sich sexy zu fühlen.

Auf Ihrer Instagram-Seite sieht man neben Glamourfotos auch Bilder aus Ihrem Alltag, auf denen Sie unvorteilhaft aussehen. Unter ein Foto, das Sie im Bikini zeigt, schrieben Sie: »Dankbar unperfekt an einem perfekten Tag.« Gelingt es Ihnen, dem Alter mit Selbstironie zu begegnen?

Mit was denn sonst? Haben Sie eine Alternative für mich, wenn die Haut tut, was sie in meinem Alter nun mal tut? Schauen Sie sich meine Knie an. Soll mich ihr Anblick zum Klageweib machen? Zur Lebenskunst gehört die Einsicht, dass einem die innere Entwicklung wichtiger sein sollte als das unvermeidbare Schrumpelig-werden der Haut. Es ist spaßig, jung zu sein, weil man hübsch und dumm ist. Aber stellen Sie sich vor, man würde heute immer noch den gleichen Blödsinn wie damals von sich geben. Ab einem bestimmten Alter liebt man eher mit den Ohren als mit den Augen.

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Vor drei Jahren haben Sie sich für die portugiesische »Vogue« oben ohne fotografieren lassen. Gab es in Ihrem Kopf Stimmen, die Ihnen davon abrieten?

Sie denken offenbar, ich hätte dieses Foto sorgfältig erwogen, aber so war es nicht. Als ich mich beim Fotoshoot umzog, rief das Team plötzlich: »Stopp! Bleib so. Du siehst fantastisch aus.« Hätte ich eine große Sache daraus machen sollen? Ich habe mit Nacktheit nicht dieses typisch amerikanische Problem. Ich stamme aus einer ärmlichen Hillbilly-Gegend in Pennsylvania und bin ohne Körperscham und Prüderie aufgewachsen. Wir lebten zu sechst unter einem Dach, und es war nicht unüblich, in die Küchenspüle zu pinkeln, wenn die einzige Toilette im Haus besetzt war. Das ist das Erbe meiner irischen Vorfahren.

In Ihrem Buch findet sich der schwer übersetzbare Satz: »Style is what you do with what’s wrong with you.« Als Beispiele führen Sie Barbra Streisand, Danny DeVito und Cher an.

Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Haus und entdecken später einen baulichen Makel. Lösung eins: Sie geben viel Geld aus, um den Makel von Handwerkern reparieren zu lassen. Lösung zwei: Sie machen aus dem Makel etwas Cooles. Wie das geht? Mit Stil, Geschmack, Chic, Allure. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Leben: Hosen, die am Bund passen, sind mir immer zu kurz. Irgendwann beschloss ich, sie mit High Heels zu tragen und diese Kombination zu meinem Look zu erklären. Es funktionierte, die Leute waren begeistert. Auch beim Kochen kann man aus etwas Vergurktem mit ein bisschen Geschick etwas Genießbares machen.

Ihr IQ soll 154 betragen. Was haben Sie in 42 Jahren als Hollywood-Schauspielerin über Ruhm gelernt?

Dass er eine Tag- und eine Nachtseite hat. Die schönen Aspekte des Berühmtseins kennt jeder aus Glamour-Magazinen. Aber welcher Hollywoodstar von morgen weiß schon, wie es sich anfühlt, wenn du mit deinem Auto bei einem Stoppschild anhältst, und plötzlich springen zehn Verrückte auf das Wagendach, während zwei andere deine Nummernschilder abreißen, weil sie ein Souvenir von dir mit nach Hause nehmen wollen. Wie verhältst du dich? Aufs Gaspedal drücken und riskieren, Menschen zu verletzen? Nichts tun und zuschauen, wie dein Auto zu Schrott wird? Niemand bereitet dich auf solche Situationen vor. Ich werde nie vergessen, wie nach meinem Schlaganfall ein Arzt seine Diagnose an das Klatschblatt »People« gefaxt hat und darauf auch noch so stolz war, als hätte er gerade seine erste Rolle in einem Hollywood-Melodram gespielt.

Viele Ärzte oder Rechtsanwälte wünschen sich, dass ihre Kinder ebenfalls Arzt oder Rechtsanwalt werden. Schauspieler dagegen schlagen die Hände überm Kopf zusammen, wenn ihr Nachwuchs denselben Beruf ergreifen will. Was ist so bedrohlich an dem, was Sie tun?

Wenn du eine gebrochene, traumatisierte Figur spielst, musst du Tag für Tag extremste Gefühle in dir wachrufen. Wer glaubt, das könne er auch, sollte sich klarmachen, dass manche Szenen 13, 14 Mal gedreht werden. Viel Spaß dabei, 14 Mal hintereinander auf Kommando einen kompletten Nervenzusammenbruch zu spielen.

Welche Rolle hat Sie an Ihre Grenzen gebracht?

Als wir »Casino« drehten, war ich fünf Monate lang eine doppelzüngige, drogensüchtige Luxusprostituierte, die am Ende an einer Überdosis stirbt. Gedreht wurde meist nachts. Nachdem die letzte Klappe gefallen war, brauchte ich zehn Wochen, um meine Einzelteile wieder zusammenzusetzen. Wer wünscht seinen Kindern einen Beruf, in dem sie jeden Tag auf einem Hochseil ihr Innerstes nach außen kehren sollen? Außerdem respektieren uns die Menschen nicht. Wir Schauspieler gelten als egozentrisch, zickig und neurotisch. Keine Mutter wünscht sich, dass ihr Kind einen von uns heiratet.

Sie beschäftigen heute weder einen Agenten noch einen Manager. Wie kommen Sie an Rollen?

Wer mich erreichen will, weiß, wie das möglich ist. Warum soll ich einen Agenten entscheiden lassen, welche Drehbücher ich zu lesen bekomme und welche nicht. Diese Fremdbestimmung habe ich aus meinem Leben verbannt. Die Zeiten, in denen ich Probeaufnahmen mitgemacht habe, sind ebenfalls vorbei. Ich arbeite nur noch mit Regisseuren, von denen ich weiß, ich bin ihre erste Wahl.

Brennen Sie noch für die Schauspielerei?

Ich fühle mich vor der Kamera wohler als jemals zuvor, weil ich mehr Lebenserfahrung für meine Rollen mitbringe, aber der große Hunger ist vorbei. Ich habe bewiesen, was ich kann und wert bin. Dennoch meinen manche Regisseure und Produzenten, mich wie ein junges Ding behandeln zu können, das unbedingt bei den Cheerleader-Mädchen mitmachen möchte. Diese Leute lernen meine unversöhnliche Seite kennen — was meine Beliebtheit in dieser Stadt nicht gerade steigert.

Dreifache Mutter, Schauspielerin, Spendensammlerin, Werbefigur für Dolce & Gabbana: Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Ich male, lese buddhistische Texte, meditiere, mache Fitnessübungen und schreibe an meinem ersten Roman, der im Milieu organisierter Kriminalität spielt.

Laut Wikipedia hat Richard Gere Sie zur Buddhistin gemacht.

Das ist Bullshit — wie so vieles, was auf Wikipedia steht. Ich habe mit 14 den »Steppenwolf« von Hermann Hesse verschlungen. Seither lese ich buddhistische Texte. Wahr ist, dass Richard Gere mich dem Dalai Lama vorgestellt hat, als wir 1994 den Film »Intersection« gedreht haben.

Sie leben seit mehr als 20 Jahren ohne festen Partner. In der US-Fernsehsendung »The Drew Barrymore Show« kommentierten Sie das mit den Sätzen: »Ich habe es satt, Männer zu daten. Sie sind unehrlich, spielen Spielchen und sind meine Zeit nicht wert. Ich ziehe es vor, allein zu sein oder Zeit mit meinen Kindern oder Freunden von mir zu verbringen. Ich habe großartige Männerfreunde, aber wenn es um emotionale Reife in Beziehungen geht, leben Frauen und Männer auf verschiedenen Planeten.«

Gott weiß, dass ich Sex in meinem Leben hatte. Warum sollte ich mich schlecht fühlen, nur weil es keinen Vertreter der Spezies Mann gibt, mit dem ich unter einem Dach zusammenlebe? Ich habe es sogar mit der Dating-App Bumble versucht, aber seien Sie mal auf einer dieser Partnersuche-Plattformen als Sharon Stone unterwegs. Online-Dating führt zu gar nichts, wenn Sie einen berühmten Namen haben. Aber lassen Sie uns bitte das Thema wechseln, bevor ich mich wie bei einer Therapiestunde fühle.

Der wichtigste Mann in Ihrem Leben scheint Ihr Stylist Paris Libby zu sein. Alle Wege zu Ihnen führen über ihn. Auf Fotos sieht der Mann mit seinem langen Philosophenbart aus wie ein marxistisch gesinnter Denker der 68er-Zeit.

In meinem Umfeld sagen einige, ich hätte hellseherische Fähigkeiten. Als ich nach »Basic Instinct« selbst entscheiden konnte, wer mein Make-up und mein Styling macht, sagte eine Freundin: »Es gibt da einen Mann, der ebenfalls hellseherische Fähigkeiten hat. Ich will euch beide bekannt machen.« Paris hat früher der Kriminalpolizei bei der Aufklärung von Verbrechen geholfen. Als wir uns kennenlernten, war er Modedesigner und kleidete Celebritys ein. Heute ist er mein Seelenbruder und tagsüber eine Art Ehemann für mich. Wir wissen alles über den anderen und halten uns seit 30 Jahren die Treue. Ich beschütze ihn und er mich.

Was ist für Sie seine wichtigste Eigenschaft?

Dass ich mein wahres Selbst vor ihm nicht verstecken muss. Mit jeder Lüge, die wir über uns erzählen, verschließen wir uns ein bisschen mehr vor anderen. Fehlende Aufrichtigkeit ist einer der Gründe, warum so viele von uns einsam sind. Wer sein Ego über die Wahrheit stellt oder die Lügen anderer akzeptiert, führt keine Beziehung, sondern hat sich in einem Arrangement eingerichtet. Wenn Paris und ich ein Geheimnis haben, dann ist es hundertprozentige Aufrichtigkeit. Das ist sowohl brutal als auch rasend komisch.

Ein langjähriger Freund sagte Ihnen einmal: »Sharon, du bist wie ein Ferrari: Du siehst von außen gut aus, gehst aber nach fünf Meilen jedes Mal kaputt.« Sind Sie heute immer noch ein Ferrari oder eher ein SUV?

Wenn ich will, kann ich immer noch wie ein sündhaft teurer Sportwagen aussehen, den sich kaum einer leisten kann. Aber anders als Rita Hayworth oder Marilyn Monroe akzeptiere ich, was das Älterwerden mit einem Körper macht und bilde mir nicht ein, immer noch erotische Fantasien auszulösen. Dieser Realismus mir selbst gegenüber hat dafür gesorgt, dass meine Selbstachtung intakt geblieben ist. Gewalttätige Männer haben mich ins Straucheln gebracht, aber ich bin jedes Mal wieder aufgestanden. Diese Robustheit verdanke ich meinem Vater. Er war viele Jahre Schichtarbeiter in einer Fabrik und hat mir beigebracht zu sagen: »Bis hierhin und keinen Schritt weiter!«

Wann wurden Sie das erste Mal sexuell belästigt?

In der Schule, von einem Lehrer. Später vom Leiter der McDonald’s-Filiale, wo ich Aushilfe war. Was mir in Hollywood so alles zugestoßen ist, steht in meiner Autobiografie.

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Mit einem Satz aus Ihrem Buch zusammengefasst: »Es gab immer Bestien.«

Und es gab sie auch noch in den Zehnerjahren. Den Satz „Entweder vögelst du mit mir, oder du bist deine Rolle los“ habe ich in meinem Leben öfter gehört. Heute tun diese Männer mir gegenüber so, als sei nichts gewesen, oder sie sagen: »Andere Zeiten, andere Sitten.« Aber diese Unschuldsnummer akzeptiere ich nicht. Ich erwarte eine Entschuldigung und die Einsicht, dass ihre Taten kriminell waren.

Gibt es offene Rechnungen in Ihrem Leben?

Nein, ich habe in Therapien und Zwiegesprächen mit mir selbst lange daran gearbeitet, das Unverzeihliche zu verzeihen. Wer andere hasst, schadet sich selbst am meisten. Das musst du begreifen, sonst wirst du ein bitterer und gehässiger Mensch. Nur wer in sich selbst einen sicheren Zufluchtsort hat, findet Seelenfrieden und lebt in Harmonie mit anderen.

Der Gerichtsprozess von Amber Heard und Johnny Depp war eins der größten Fernsehspektakel aller Zeiten. Mit welchen Gefühlen hat eine Hollywood-Veteranin wie Sie das öffentliche Schlammcatchen der beiden verfolgt?

Interessant, dass Sie diese menschliche Tragödie als »Spektakel« bezeichnen, aber vielleicht müssen Journalisten so ticken. Mein jüngster Sohn hat sich sehr viel mehr für den Prozess interessiert als ich. Wir haben lange darüber diskutiert, ob man die Fernsehübertragungen aus dem Gerichtssaal als großen Spaß sehen darf, so als wäre das Ganze eine Art Pausenshow beim Super Bowl. Ich finde es fragwürdig, das Persönlichste zweier Menschen zur öffentlichen Besichtigung freizugeben. Im Kern ging es ja nicht um Beziehungsstreitigkeiten, sondern um so fundamentale Probleme wie Sucht und seelische Gesundheit. Daraus ein sensationalistisches Showformat zu machen, finde ich obszön.

Wenn Sie der 34 Jahre alten Sharon Stone, die gerade mit »Basic Instinct« weltberühmt geworden ist, einen Ratschlag geben könnten: Was würden Sie ihr mit der Erfahrung von heute mit auf den Weg geben?

Dasselbe wie allen, deren Karriere gerade durch die Decke geht: Mach dir immer wieder klar, dass jeder noch so große Erfolg eine Vorbedingung hat: den Zufall, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das sollte einen demütig machen, aber die meisten erfolgreichen Menschen sind felsenfest davon überzeugt, sie hätten ihre Erfolge allein ihrem Talent und Können zu verdanken. War ich bei »Basic Instinct« auf der Wunschliste der Produzenten die Nummer eins? Nein, ich war die 13. Wahl. Die zwölf Schauspielerinnen, die vor mir gefragt wurden, hatten die Rolle wegen der vielen Nacktszenen abgelehnt. Die Wahrheit ist eben selten filmreif.

Fotograf: Eric Michael Roy
Creative Director & Styling: Paris Libby
Haare & Make-up für Dolce & Gabbana Outfits: Fabienne Pauli
Haare & Make-up: Jo Baker; Foto-Assistenz: Thomas Henriksen
Original erschienen im ICON Magazin September 2022.

13. August 2023

Sir Alfred Hitchcocks 124. Geburtstag.
Ende Mai kaufte ich mir noch einmal alle fünf Hickling-Filme bei Optimale. Mein Beitrag zu seinem Œuvre war nicht bedeutend, es war also keine Eitelkeit, die mich zum Kauf bewog. Aber im Rückblick — sein erster Film erschien vor zehn Jahren — konnte ich noch einmal seine Genialität und seinen künstlerischen Mut bewundern. Schon in meiner Besprechung von Down in Paris notierte ich, wie literarisch seine Filme sind und dass jeder eine Art Fortschreibung der Hickling’schen Biografie in unterschiedlichen Genres ist: Little Gay Boy ist ein Tagebuch, One Deep Breath ein impressionistischer Text, »Where Horses Go to Die« (2016) ein Versuch im Surrealismus, »Frig« (2018) ein dunkles Gedicht und Down in Paris schließlich ein Roman oder ein table book. Antony wird bald seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm herausbringen, ich weiß nicht, ob er konkrete Pläne für einen weiteren Spielfilm hat. Da ich zurzeit nichts mehr vermisse als das Filmen, hege ich noch immer den Traum, noch ein drittes Mal mit ihm zu arbeiten. Der Kontakt zu Tommy Weber scheint eingeschlafen, der Film mit Alexandre wird (hoffentlich) 2024 gedreht. Hier und da strecke ich meine Fühler aus, aber es sollte schon künstlerisch wie menschlich passen, denn ich möchte nicht mehr irgendwas mit irgendwem drehen. Manchmal träume ich von einem neuen Projekt mit Barbara Kowa oder von einer Zusammenarbeit mit Stephan Rumphorst, doch beide sind sehr beschäftigt und weit weg. Daniel Rhyder möchte schon seit zehn Jahren mit mir drehen, aber irgendwie materialisiert sich kein Stoff, der uns beide ausreichend begeistert. Die Filme von Pau Masó haben sich in eine Richtung verändert, die mir nicht (mehr) gefällt, Tom Gerber habe ich seit Zürich 2012 nicht mehr gesehen und Markus Mörth traute ich mich seinerzeit nicht zu fragen, ob er sich eine Zusammenarbeit an einem Kurzfilm vorstellen könnte. Komisch, dass ich mir eine Arbeit in der Schweiz oder in Österreich vorstellen könnte, in Deutschland jedoch nicht (mehr). Am allerliebsten würde ich, wie ich es vor längerer Zeit einmal angedacht habe, jedes Jahr einen hübschen, kleinen Festivalfilm hier in Frankreich machen. 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018 war ich jeweils mit einem Film nach Paris zum Filmfestival eingeladen worden und erinnere mich mit großer Freude an die dortigen Begegnungen und Gespräche.

The Hickling Collection

Martin Freudenstein habe ich nach vielen, vielen Jahren unlängst zufällig (!!) im Bummelzug von Strasbourg nach Offenburg getroffen. Eine halbe Stunde haben wir uns unterhalten können, dann musste er in den ICE Richtung Kassel und ich zur Arbeit. Wie sehr ich Paris doch vermisse! In der Cinémathèque Française lief im Juli eine Retrospektive mit den Arbeiten von Eloy de la Iglesia, die ich so, so gerne gesehen hätte! Mir fehlen noch so viele seiner Werke in meiner Sammlung, sie sind teilweise wirklich schwer zu ergattern. Einer meiner liebsten Filmemacher; ich hätte nicht gedacht, dass er in Frankreich so populär ist.
Ich verbessere mein Französisch, indem ich Indochine, Michel Berger und Alex Beaupain höre und den zweiten Band der Birkin-Tagebücher (»Post-Scriptum«) im Original durchlese. Alexandre Lacroix hat einen philosophischen Exkurs ins Reich der Sinne veröffentlicht: »Apprende à faire l’amour« ist das interessanteste Sachbuch der letzten Jahre für mich. Lacroix provoziert eine profunde Auseinandersetzung mit dem sexuellen Selbst und schreibt angemessen humorvoll. Für den bevorstehenden Griechenland-Urlaub im September habe ich mir einen Roman von Doris Knecht gekauft, »Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe«. Arbeitsbedingt komme ich augenblicklich kaum dazu, etwas wirklich in Ruhe und zur Entspannung zu lesen oder zu schauen. Vor mir liegt ein ganzer DVD-Stapel mit Werken, die ich noch sichten und besprechen möchte: »Va voir maman… papa travaille« (Regie: François Leterrier), »The Witches« (Regie: Cyril Frankel), »Louise… l’insoumise« (Regie: Charlotte Silvera), »Escalade« (Regie: Charlotte Silvera, mit Carmen Maura), »Les Olympiades« (Regie: Jacques Audiard) und »Chronique d’une liaison passagère« (Regie: Emmanuel Mouret, mit Sandrine Kiberlain). Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich Perry Blakes Song über Charlie Chaplin und trinke einen Tee. Fast wie in alten Zeiten, es fehlt eigentlich nur das Räucherstäbchen. Meine Berliner Freunde vermisse ich noch immer, mein letzter Berlin-Trip ist mittlerweile vier Monate her.
Die Veröffentlichung der »Zwei Löwen im Goldfischglas« verzögert sich immer mehr, wird aber dafür schließlich und endlich professionell vonstattengehen. Es war eine lange, schwere, schmerzhafte und letzten Endes auch kostspielige Geburt. Ich werde sicher noch lange an dieser Erfahrung zu knapsen haben, es war unglaublich demütigend und ekelhaft. Umso mehr freue ich mich, dass der Roman endlich in guten Händen ist und Wertschätzung erfährt.

Damien Maurin_6

Photo © by Damien Maurin

Die Fotos, die Damien Anfang Januar von mir gemacht hat, kommen mir inzwischen, da ich gut 18 Kilo abgenommen habe, entsetzlich veraltet vor. Aber sie sind nach wie vor schön. Ich wünsche Euch allen einen gemütlichen Sonntag — und schaut ruhig mal wieder einen Hitchcock-Film!

André