Knife of Ice
Originaltitel: Il coltello di ghiaccio; Regie: Umberto Lenzi; Drehbuch: Umberto Lenzi, Antonio Troiso; Kamera: José F. Aguayo Jr.; Musik: Marcello Giombini; Darsteller: Carroll Baker, Alan Scott, Ida Galli [Evelyn Stewart], George Rigaud, Eduardo Fajardo. Spanien/Italien 1972.
»Il coltello di ghiaccio« beginnt mit einer Rückblende, in welcher die Cousinen Martha und Jenny einem Stierkampf beiwohnen. Der Titelvorspann endet mit einem Zitat: »Fear is a knife of ice which penetrates the senses down to the depth of conscience.« Umberto Lenzi schreibt diesen Satz Edgar Allan Poe zu, in Wahrheit aber stammt er von ihm selbst. Der Stierkampf ist für die Geschichte des Films nicht weiter relevant, Lenzi wollte lediglich zeigen, wie unterschiedlich Martha (Baker) und Jenny (Galli) auf den Anblick von Blut reagieren.
Martha ist nach einem Schock verstummt. Sie hatte mitansehen müssen, wie ihre Eltern bei einem Zugunglück grausam ums Leben kamen. Die damals 13-jährige wuchs danach behütet bei ihrem Onkel Ralph (Rigaud) auf, und ihre Cousine Jenny wurde ihre beste Freundin. Das scheußliche Unglück liegt 15 Jahre zurück, als Martha ihrem Onkel auf dessen Landsitz mal wieder einen Besuch abstattet. Die mittlerweile als Sängerin weltberühmte Jenny kommt ebenfalls zu Besuch, wird allerdings kurz nach ihrer Ankunft in der Garage ermordet — mit einem Messer. Der herbeigerufene Inspektor (Franco Fantasia) glaubt, dass ein Serienkiller sein Unwesen treibt, da kurz zuvor bereits eine weitere Frauenleiche gefunden worden war. Beide Frauen waren jung und blond, ähnelten vom Typ her also der armen Martha, die fortan mit der Angst lebt, das nächste Opfer sein zu können…
Das nächste Opfer, die dunkelhaarige Annie (Silvia Monelli), war die Haushälterin von Onkel Ralph. Die Polizei lag also falsch. Ein zunächst verdächtiger Satanist (Mario Pardo) stellt sich als harmloser, drogensüchtiger Hippie heraus. Der Kreis der Verdächtigen ist dennoch nicht gerade klein: Onkel Ralphs Arzt Dr. Laurent (Scott) hat kein wirkliches Alibi für die Tatzeiten, der Chauffeur des Hauses (Fajardo) ist äußerst zwielichtig und unheimlich und Pater Martin (José Marco) scheint einen Hang zu minderjährigen Mädchen zu haben…
Umberto Lenzi und Carroll Baker hatten ab 1969 bereits drei Filme zusammen gedreht, die sich heute einer großen Anhängerschaft erfreuen. Nachdem beide 1970 anderweitig beschäftigt waren, kamen sie 1972 für die italienisch-spanische Co-Produktion »Il coltello di ghiaccio« ein viertes und letztes Mal zusammen. Zuvor hatte Lenzi gemeinsam mit dem Drehbuchautor Gianfranco Clerici einen Thriller drehen wollen, der auf den Manson-Morden fußte, entschied sich dann aber für einen mediokren Kriegsfilm mit Jack Palance, während Carroll Baker in rascher Folge La última Señora Anderson, »Captain Apache« (Regie: Alexander Singer) und »Il diavolo a sette facce« (Regie: Osvaldo Civirani, mit Stephen Boyd und George Hilton) drehte. »Il coltello di ghiaccio« sollte zunächst ein Remake von The Spiral Staircase werden, doch Lenzi merkte schon bei der Stoffentwicklung, dass sein Werk sich nicht mit Siodmak würde messen können, also machte er eine Kehrtwende. Im Vergleich zu den drei Vorgänger-Filmen bekam Baker in »Il coltello di ghiaccio« eine weniger dekorative, eher schwache Rolle, die sich erst im Handlungsverlauf langsam entwickelt. Die Innenaufnahmen entstanden in den Studios in Rom, die Außenaufnahmen in Katalonien und in der Nähe von Madrid, wie es der Produktionsvertrag zwischen Italien und Spanien vorschrieb. Auch in Sachen Nacktheit und Gewalt musste sich Lenzi unter Rücksichtnahme auf die spanische Produktionsseite deutlich zurücknehmen, und das Budget, das sieht man leider rasch, war bescheidener als das seiner vorigen Filme.
Zu den größten Schwächen des Films gehören einige bei schönstem Sonnenschein gedrehte Nebelszenen, die nicht überzeugen und in der Gesamtheit des Werkes wie ein Störfaktor wirken. (Es war die erst zweite Kinoarbeit des noch jungen Kameramannes.) Dazu kommen die ungelenken, viel zu dick aufgetragenen Versuche Lenzis, die Verdächtigen verdächtig erscheinen zu lassen; ein Manko, das Lenzi später selbst einräumte. Schließlich wäre noch der männliche Hauptdarsteller zu nennen: Alan Scott, ein US-Amerikaner mit dem Charisma eines abgelaufenen Joghurts, dem aus gutem Grund die große Karriere als Schauspieler versagt geblieben war. Scott gibt eine wirklich lahme Performance, die das Gleichgewicht des Films ins Wanken gebracht hätte, wenn die übrigen Schauspieler nicht so souverän agiert hätten.
»Il coltello di ghiaccio« hatte es anno 1972 bei der starken Konkurrenz etwas schwer auf dem giallo-Markt. Die Einspielergebnisse blieben weit hinter denen der anderen Lenzi-Baker-Filme zurück. Lenzi meinte später, der Film sei in den USA sehr erfolgreich gewesen, doch das stimmte leider nicht: Dies war der einzige seiner Filme mit Carroll Baker, der in den Vereinigten Staaten keine Kinoauswertung fand. Dennoch ist dies der Film der beiden, der mir am besten gefiel, was ich allerdings nicht fundiert begründen kann.
André Schneider