Filmtipp #589: Paranoia

Paranoia

Originaltitel: Paranoia; Regie: Umberto Lenzi; Drehbuch: Marcello Coscia, Bruno Di Geronimo; Kamera: Guglielmo Mancori; Musik: Nino Rota, Gregorio García Segura; Darsteller: Carroll Baker, Jean Sorel, Anna Proclemer, Luis Dávila, Alberto Dalbés. Italien/Frankreich/Spanien 1970.

Die psychisch etwas labile Rennfahrerin Helen (Baker) wird von ihrem Ex-Mann Maurice (Sorel) nach Mallorca eingeladen. Das verwundert sie, denn die Trennung war seinerzeit alles andere als freundschaftlich. Dennoch nimmt sie die Einladung an und macht sich auf den Weg — um auf der Baleareninsel überrascht festzustellen, dass Maurice wieder verheiratet ist und die Einladung nicht von ihm, sondern von seiner neuen Frau Constance (Proclemer) kam. Diese ist nämlich der zahllosen Eskapaden ihres Gatten müde geworden und möchte ihn gerne mit Helens Hilfe aus dem Weg räumen. Mithilfe eines größeren Geldbetrages und einer zärtlichen Füßelei unterm Dinnertisch kann sie Helen schlussendlich zu dem gemeinsamen Mord überreden. Auf einer Yacht soll es geschehen. Doch leider geht — wie so oft im Film — alles schief: statt Maurice geht Constance tot über Bord. Die verschreckte Helen deckt ihren Ex, während dieser mit einem Millionenerbe rechnen kann. Doch dann taucht Constances Tochter aus erster Ehe (Marina Coffa, eine traumschöne und viel zu jung verstorbene Schauspielerin) auf, und die glaubt keine Sekunde an einen Unfall…

Oh, wie hatte ich mich auf das Release von »Paranoia« gefreut! Als ein vergessenes Giallo-Meisterwerk angepriesen, waren die Erwartungen hoch. Der unlängst verstorbene Altmeister Lenzi hatte schließlich einige großartige Genre-Filme geschaffen, und X-Rated hat sich wie üblich die größte Mühe mit der Aufmachung gegeben. So kam »Paranoia« Anfang des Monats als opulentes Mediabook heraus: BluRay, DVD und Booklet in schickem Design und mit tollen Extras (u. a. einem Interview mit Lenzi). X-Rated verlangt für diese Editionen ein Heidengeld — etwa 45 Euro —, aber leider ruckelt die DVD immer ein wenig; der Film bleibt zwei- bis dreimal stehen, springt dann nach vorn, und man muss zurückspringen. Das war auch bei Tutti i colori del buio und El ojo del huracán schon der Fall gewesen. Die deutsche Synchronisation von »Paranoia« ist taufrisch und so hundsmiserabel, dass sie einem fast den Spaß an der Sache verdirbt. Glücklicherweise kann man unter den verschiedenen Sprachfassungen auswählen, so dass man die Wahl hat. Daumen hoch dafür!

Hollywood meinte es mit Carroll Baker, die diesen Monat übrigens ihren 87. Geburtstag feiert, nicht gut. Trotz einer Oscarnominierung — 1957 für »Baby Doll« (Regie: Elia Kazan) — stagnierte die Karriere der blonden Schönheit schon früh. Bei Warner Bros. unter Vertrag, hatte man ihr den Sexbomben-Stempel aufgedrückt und sie entsprechend vermarktet. Sie sollte eine zweite Monroe werden. (Diese war ein Produkt der 20th Century Fox gewesen.) Verkannt und sträflich unterfordert, rebellierte Baker ab den frühen Sechzigern gegen ihren Brötchengeber — mit dem Resultat, dass sie immer wieder suspendiert wurde, weil sie Rollen ausschlug. Die Schauspielerin wurde zunehmend depressiv; sie gab später zu, zeitweise suizidal gewesen zu sein. Ihrem Mann war eigentlich alles recht, solange sie das Geld nach Hause brachte. Ende der 1960er wandte sie sich dem italienischen Kino zu, da sie dort freier und abwechslungsreicher arbeiten konnte. Mit Umberto Lenzi drehte sie zwischen 1969 und 1972 vier Filme. »Paranoia« war der dritte — und vermutlich der schlechteste. Er hat seine interessanten Momente, bleibt aber in der Gänze zu spannungsarm und uneinheitlich, um mit den großen Werken des Genres mithalten zu können. Die Besetzung agiert solide, und das Skript ist eine Melange aus Intrigen-Dramolett und Mittelmeer-Krimi mit den handelsüblichen Wendungen, die einen, wenn man schon ein paar Gialli gesehen hat, nicht mehr vom Hocker hauen. Das Ende ist sehr abrupt und unbefriedigend. Alles Dinge, die man verschmerzen kann. Was aber wirklich zu bedauern ist, ist die Lieblosigkeit in Sachen Ausstattung, Musik, Bildgestaltung und Schnitt. War El ojo del huracán filmtechnisch ein Fest für die Sinne, bleibt »Paranoia« optisch und inszenatorisch weit hinter seinen Möglichkeiten zurück, so dass er unterm Strich nicht mehr als ein fader Krimi von der Stange bleibt.
Sorel und Baker hatten schon in Il dolce corpo di Deborah zusammen gespielt, der zwar heute etwas angestaubt wirkt, aber trotzdem mehr Charme besitzt als »Paranoia«. Mit Filmen wie dem thematisch nicht unähnlichen Un posto ideale per uccidere, dem spannenden Sette orchidee macchiate di rosso oder dem bizarren Spasmo bewies Lenzi, was für ein guter Regisseur er tatsächlich war. — »Paranoia« wird häufig mit dem kurz zuvor entstandenen »Orgasmo« (Regie: Umberto Lenzi) verwechselt, da dieser in den USA unter dem Titel »Paranoia« lief und ebenfalls Carroll Baker in der Hauptrolle hatte. »Paranoia« indes wurde in »A Quiet Place to Kill« umbenannt.

André Schneider