Filmtipp #588: Tödliche Absichten

Tödliche Absichten

Originaltitel: Mother’s Boys; Regie: Yves Simoneau; Drehbuch: Barry Schneider, Richard Hawley; Kamera: Elliot Davis; Musik: George S. Clinton; Darsteller: Jamie Lee Curtis, Peter Gallagher, Joanne Whalley [Joanne Whalley-Kilmer], Vanessa Redgrave, Luke Edwards. USA 1993.

Es wäre ein cheap shot, genüsslich einen Topf voll Häme über »Mother’s Boys« auszukippen, einem Film, der kaum ein Zehntel seiner Produktionskosten einspielte und vom Gros der Kritiker verspottet wurde. Man kann die Mängel des Thrillers nicht leugnen, vom psychologisch unausgereiften Drehbuch bis hin zum praktisch nicht vorhandenen Regiekonzept. Dass Yves Simoneau, 1955 in Québec geboren, mit seinem siebten Kinobeitrag ein veritabler Spannungsfilm gelungen ist, lässt sich jedoch nicht verneinen. Jamie Lee Curtis holt das Optimum aus ihrer an und für sich lückenhaft geschriebenen Rolle heraus, und ihre drei Film-Söhne Luke Edwards, Colin Ward und Joey Zimmerman spielen vorzüglich. Das größte Plus des Streifens war, ist und bleibt für mich der Auftritt Vanessa Redgraves, die als Curtis’ Mutter Lydia einen ebenso starken wie bewegenden Eindruck hinterlässt. Ihretwegen guckte ich mir diesen Film in den 1990ern regelmäßig mit großer Begeisterung an.

Drei Jahre ist es her, dass Jude Madigan (Curtis) ihre Familie sang- und klanglos verlassen hat. Kein Wort der Erklärung, kein Lebenszeichen, nichts. Sie war einfach vom Erdboden verschwunden. Für ihren Mann Robert (Gallagher) und ihre drei Söhne Kes (Edwards), Michael (Colin Ward) und den kleinen Ben (Joey Zimmerman) war Judes Verschwinden die Hölle. Besonders Kes, ihr Ältester, hat furchtbar gelitten. Doch irgendwann ging das Leben der Madigans weiter. Robert ist nun mit der aparten Schulleiterin Colleen Harland (Whalley) liiert, die Jungs führen ein halbwegs normales Leben. Als Jude über ihren Anwalt (Joss Ackland) erfährt, dass Robert die Scheidung eingereicht hat, kommt sie zurück und will ihr früheres Leben zurück — um jeden Preis. Ihr Versuch, Robert zu verführen, schlägt fehl. Er besteht weiter auf der Scheidung. Dann beginnt Jude, Callie zu belästigen. Sie manipuliert Kes und hetzt ihn gegen ihre Nebenbuhlerin auf, indem sie behauptet, dass Callie es ist, die die Wiedervereinigung der Familie verhindert. Gemeinsam mit seinen Brüdern heckt Kes einen Plan aus, um Callie »zu erschrecken«…

Die Spannung nimmt an Fahrt auf, wenn Lydia (Redgrave) vom Plan ihrer Enkel erfährt und nach einem unglücklichen Treppensturz im Krankenhaus landet. Als ihre Tochter sich an ihr Bett setzt und ihre Hand nimmt, erfahren wir etwas über Judes Kindheit, die offenbar durch sexuellen Missbrauch durch ihren Vater beschattet wurde. Dies wäre eine Erklärung für ihr erratisches und soziopathisches Verhalten. Als Lydia ihre Tochter beschützen und ihren Mann verlassen wollte, nahm dieser sich das Leben. Ihr Leben lang hatte Jude ihrer Mutter die Schuld für den Tod ihres Vaters gegeben.

Leider spielt Joanne Whalley (selbst für ihre Verhältnisse) ziemlich schwach und bringt die Balance des Gesamtgefüges in eine Schräglage, die dem Film alles andere als gut tut. Auch Peter Gallagher unterliegt Curtis’ starker Präsenz, die weniger in ihrem Spiel, sondern in ihrer wuchtigen Persönlichkeit fußt. — Unterm Strich ist »Mother’s Boys« auch rund 25 Jahre nach seiner Entstehung ein ordentlich unterhaltender Streifen über Familienbande und das, was Verlassens- bzw. Verlustängste in uns anrichten können. Der Look des Films atmet den Geist der Neunziger, und Jamie Lee Curtis sieht als kalte Blondine in ihrem weißen Rollkragenpullover einfach umwerfend gut aus.

André Schneider