Drehtagebuch »Alex und der Löwe«

Vor fünf Jahren, am 6. Juni 2009, fiel die erste Klappe für Alex und der Löwe — was für eine ereignisreiche, aufregende, harte und auch schöne Zeit es damals war! Mit dem Drehbuch hatte ich schon im Herbst 2008 begonnen, und das Frühjahr des Folgejahres stand ganz im Zeichen der Vorbereitungen. Bis zum 30. August hatten wir zwar nur 19 Drehtage, aber in meinem Kalender zähle ich nicht weniger als 37 Proben- und Besprechungstage vor und zwischen den Drehs. Wenn ich nicht umschrieb, probte, Team, Equipment und Drehorte organisierte, Rollen besetzte und umbesetzte, verdiente ich das Geld für den Dreh bei meinem Nebenjob in der Provinz. Es war die Zeit, in der ich mich wieder an die Siebentagewochen gewöhnen musste. Bis zum 27. Februar 2011 sollte ich noch für Alex und das Folgeprojekt durcharbeiten; 2010 hatte ich zwischen April und Oktober ganze fünf Tage frei.
     Während des Alex-Drehs habe ich, anders als bei Blues beispielsweise, kaum Tagebuch geführt. Ich hatte einfach nicht die Muße. Die paar Randnotizen in meinem Kalender sind heute tatsächlich eher verwirrend, und gerade die negativen Begebenheiten habe ich weitestgehend verdrängt, aber vier ausführlichere Texte aus dieser Zeit gibt es dennoch: Ich hatte sie seinerzeit für unseren Alex und der Löwe-Blog verfasst, damit man im Internet überhaupt auf unseren Film aufmerksam wird. Der Blog existiert schon lange nicht mehr, aber die Textchen habe ich gerettet. Viel Spaß bei der Zeitreise!

Hermann Eppert als Philipp.

Hermann Eppert als Philipp.

22. Mai 2009, Pre-Produktion.
     In zwei Wochen geht es los und das Abenteuer Film beginnt erneut. Drei Jahre nach den letzten Eigenproduktionen Half Past Ten und Blues gehe ich mit lieben, treuen Freunden wieder dieses Wagnis ein. Alex und der Löwe lautet der Titel dieses Projekts, das mich bereits seit gut einem Jahr beschäftigt und mich vor eine ganze Reihe neuer Herausforderungen stellt.
     Zunächst einmal habe ich noch nie einen explizit schwulen Film gemacht — und hatte es auch nie vor! —, und eine romantische Liebeskomödie schon gar nicht. Die Stoffe, mit denen ich bislang schwanger gegangen war, waren meist düsterer, abgründiger Natur gewesen. Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass es so schwer ist, eine »leichte Komödie« zu schreiben! Schließlich soll alles stimmen; es soll verrückt und glaubwürdig sein, romantisch und albern, leicht, aber nicht banal — es ist eine Gratwanderung. Nachdem ich wochenlang verkrampft und kopflos eine möglichst ausgefallene Story hatte ausbrüten wollen, stolperte ich über ein Zitat von Howard Hawks: »Wenn du Charaktere hast, kannst du den Plot vergessen.« — Meine Rettung! Mit diesem Rezept im Hinterkopf fiel das Backen leichter.
     Im Vergleich zu früheren Filmen, bei denen ich schon bei der Konzeption darauf achtete, die Handlung auf wenige (Dreh-)Orte und Personen zu beschränken, ist Alex und der Löwe fast selbstmörderisch umfangreich. 17 Sprechrollen mussten besetzt, neun Drehorte klar gemacht werden. Wenn man ein gutes Budget hat, ist das mit den Drehorten kein Problem. Nun finanziere ich dieses Projekt  wie üblich aber alleine und aus eigener Tasche. Organisatorisch ein kleiner Höllenritt, den ich neben meinen bezahlten Jobs und diversen Krankheiten (sechs Wochen am Stück) quasi beiläufig absolvieren musste.
     Die ersten Hürden sind genommen, und ich bin erleichtert und froh, ein wunderbares Schauspieler-Ensemble für dieses Projekt zu haben; alte Freunde und neue Bekannte. Das Team besteht aus Menschen, die ich seit langem kenne, die ich mag und denen ich uneingeschränkt vertraue. Was wohl am wichtigsten ist, da ich das Ganze als Drehbuchautor, Produzent, Hauptdarsteller und Regisseur zu tragen habe.

2009: Was für ein Jahr! Während ich hier schreibe, kühle ich gerade den rechten Fuß, damit die Bänderdehnung — Herr André knickte am Montag ungeschickterweise am Bordstein seitlich um und schlug lang hin — nicht zu sehr schmerzt und ich flugs wieder arbeitsfähig bin.
     Die letzten Monate waren so arbeitsreich, dass mir kaum Zeit zum schreiben blieb und ich das Bloggen an sich in Frage stellte. (Für mich, nicht generell.) In jeder — wirklich jeder! — freien Minute ging’s um Alex und der Löwe.
     Ich bin freudig erregt und mehr als gespannt, was die kommenden Wochen und Monate bringen werden. Und ich verspreche, Euch hier auf dem Laufenden zu halten. Genießt das Wochenende!

Teepäuschen: Margarita Rasbasch und ich.

Teepäuschen: Margarita Rasbasch und ich.

30. Juni 2009, die ersten Drehs.
     Michael Jackson, Farah Fawcett und Pina Bausch sind tot, der Sommerhimmel ist mehr lehmgrau-dunstig als blau, und der Arbeitsmarathon dauert an. Siebentagewochen, manchmal vier, manchmal 16 Stunden Arbeit pro Tag, 16 Wochen lang. Kaum Zeit für Reflexionen.
     Chaotisch lief’s an, und nicht selten verließen mich Kraft und Lust — wenn beispielsweise zwei Tage vor dem Drehtermin das Café, das uns zunächst begeistert zugesagt hatte, absagte oder ein Schauspieler 24 Stunden vor Drehbeginn umbesetzt werden musste. Wir haben keine(n) Maskenbildner(in), die Tonmänner wechseln sich ab, die Kostüme sind teurer als erwartet, Termine schieben sich hin und her. Aber: dieser Arbeitsprozess gestaltet sich kreativer und produktiver als so manch anderer Dreh, und ich bin begeistert über den Spaß, den wir miteinander haben. Die Regie habe ich nach zwei Drehtagen komplett abgegeben. Yuri Gárate ist großartig, es ist eine Freude, von ihm geführt zu werden. Stefan, Gari und Arne ergänzen sich hinter der Kamera fabelhaft, bei aller Freude und Lachen wird diszipliniert gearbeitet.
     Vier Szenen sind bereits »im Kasten«. Hilfreich waren da die lieben Leute vom Karvana und vom Stattcafé, die uns ungestört arbeiten ließen und mehr als kulant und großzügig waren, und auch in der Privatwohnung in der Schreinerstraße — Alex’ Wohnung im Film — war’s ein Riesenvergnügen. Zwischen den Drehs proben wir. Die »Clique« — Sascia Haj, Udo Lutz, Beate Kurecki und ich — versteht sich privat ausgezeichnet, und wir freuen uns schon unbändig auf den 12. Juli.
     Ein besonderes Vergnügen waren die zwei Drehtage mit Hendrik Trost, der Alex’ Ex-Freund Daniel spielte. Ein phantasievoller, intensiver Kollege, über den Udo nicht untreffend sagte: »Hendrik ist Jack Nicholson.« Es war — und das ist nicht leichtfertig dahin geschrieben — eine Ehre, mit ihm spielen zu dürfen. Ja, und auf einigen Bildern vom Dreh wirkt er tatsächlich jacknicholsonesk.
     Wenn weder gedreht noch geprobt wird, bereiten wir die künftigen Drehtage vor, suchen Statisten, Drehorte, Musiken, Kostüme und kümmern uns um den Rohschnitt. Wir haben es uns zum erklärten Ziel gemacht, Alex und der Löwe noch in diesem Jahr fertig zu stellen.
     Wir haben uns bereits bei Facebook und MySpace ausgebreitet, bei Twitter bin ich auch, dort gibt’s regelmäßiger Neuigkeiten. Ich werde mich in circa einem Monat wieder melden und wünsche Euch allen einen sonnig-fröhlichen Sommer.

Hendrik, Sascia & ich bei der Abschlussfeier im Karvana.

Hendrik, Sascia & ich bei der Abschlussfeier im Karvana.

31. August 2009, nach dem letzten Drehtag.
     Gestern war der letzte und längste Drehtag: die Bikiniparty. Einer der Schauspieler kam zugekokst bis unter die Schädeldecke zur Arbeit; es war wohl eine fette Party im Berghain. Yuri brachte Familie und Freunde als Statisten mit, und vor Drehbeginn verlosten wir die Bikinis. Ich erwischte den mit Abstand hässlichsten, aber immerhin: Ich passte in eine 36, wie Beate mir anerkennend mitteilte. Im fertigen Film wird diese Szene wohl ziemlich lange dauern, acht Minuten mindestens. Für einen Drehtag eigentlich ein unmögliches Arbeitspensum, aber wir haben es geschafft. Gegen Mitternacht haben wir Marcus’ Wohnung aufgeräumt und geräumt, danach war die Abschlussfeier im Karvana. Todmüde sank ich auf der Bank im Kavana in mich zusammen. Meine Arme bildeten einen kleinen Äquator des Glücks um Chelitos Bauch.

Beate Kurecki als Kerstin.

Beate Kurecki als Kerstin.

30. Oktober 2009, Post-Produktion.
     Aus meinem Vorhaben, mich alle vier Wochen mit einem Eintrag zu melden, wurde leider nichts; zwischenzeitlich wurde unser Weblog echt sträflich vernachlässigt, ich hoffe, Ihr seht’s uns nach.
     Der Dreh ab Juli war eine harte Schule. Der Hauptdarsteller wurde umbesetzt — nach Roberto Guerras und Frank C. Marx’ Ausscheiden wurde die Rolle Jo Weil und Michael Schumacher angeboten, bevor ich mich letzten Endes für Marcel Schlutt entschied.
     Als ein Drittel unseres Films abgedreht war, fiel unserem ursprünglichen Kameramann, der das Drehbuch seit einem halben Jahr kannte, auf, dass er keine Lust hatte, einen schwulen Film zu machen: »Und wenn ich keinen Bock habe, nütze ich euch eh nichts.« Dies demonstrierte er zur Unfreude aller Beteiligten mehr als deutlich, so dass wir schließlich froh waren, als er endlich ging und niemand mehr den Fortgang der Arbeit mit albernen Handyspielereien und schlechten Energien behinderte. Das Problem war: Ich hatte Alex und der Löwe nur machen können, weil von Anfang an klar war, dass er die Kamera machen und sein eigenes Equipment mitbringen würde. Als er ging, nahm er das natürlich mit, und so musste ich fortan Kamera-, Licht- und Tonequipment mieten. Nexfilm räumte mir einen Rabatt von sensationellen 56% ein, dennoch galt es, in Windeseile rund 4.000 Euro aufzutreiben. Manchmal wusste ich am Donnerstag noch nicht, wie ich den Dreh am Samstag bezahlen sollte! Gottlob, es ist überstanden, und für die zweite Hälfte des Drehs hatten wir einen motivierten, besseren und professionelleren Kameramann, mit dem auch kreatives Arbeiten möglich war: Matthias Stocklöw alias Ütz, ein toller Mensch!
     Während der Proben stellte sich heraus, dass Alex und der Löwe zusätzliche Szenen brauchte. Als Produzent, Hauptdarsteller und immer wieder aufs Neue gefragter Autor sah ich mich einer Überlastung ausgesetzt, die mich in eine bedrückte Stimmung versetzte. Dem Himmel sei Dank konnte ich die Regie komplett an Yuri Gárate abgeben, der mir — besonders in der strapaziösen zweiten Hälfte des Drehs — eine große Hilfe wurde. Ohne ihn hätten wir es nie und nimmer geschafft!
     Margarita Rasbasch kümmerte sich ab Anfang Juli als Maskenbildnerin um die Schauspieler, Ronny Sarkolowski kleidete Udo »Tobi« Lutz ein, Klaus Jablinski erklärte sich Ende August bereit, Alex und der Löwe zu schneiden. Kleine Wunder passierten: Ein mir bis dato nur via E-Mail bekannter Herr aus Antwerpen lieh mir das Geld, das ich brauchte, um den Dreh abschließen zu können, Timm TV bot uns an, die Post-Produktion bei ihnen im Sender zu machen und schloss mit uns einen Vertrag über acht Fernsehausstrahlungen von Alex und der Löwe im kommenden Jahr ab, ich lernte Pierre Sanoussi-Bliss und Harald Pignatelli kennen, die mehr als wunderbar waren, mich unterstützten und mir mit hilfreichen Ratschlägen Mut machten.
     Der Rohschnitt ist nun — rund zwei Monate nach Drehschluss — fertig und übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Die DVD liegt nun bei den Berlinale-Leuten, während wir uns schleunigst an die »Feinarbeit« machen: Nachsynchronisieren, Farbkorrektur, Bild und Ton abmischen… Noch bin ich dabei, die Sache mit den Musikrechten zu klären. Léonard Lasry, Tanja Ries, Boris Steinberg, Emmanuel Moire und Corinne Douarre zeigen sich hilfsbereit.
     Über den Fortgang des Ganzen halte ich Euch auf dem Laufenden. Kommt gut in den November!

Sascia Haj als Steffi.

Sascia Haj als Steffi.

Tja, und seit November 2009 blogge ich nun wieder regelmäßig. Alex und der Löwe zog noch viel Schlimmes nach sich, wurde jedoch — gemessen an den Produktionsumständen — ein kleiner Erfolg: Die Reaktionen aus den USA waren euphorisch, und die Franzosen lieben den Streifen. Insofern hat mir der Film, aller Widrigkeiten zum Trotz, schon einige Türchen geöffnet. Und das Gros der bösen Stimmen zu dem Film stammt, das weiß ich heute, von Menschen, die mir ganz bewusst schaden wollten (und dieses hehre Ziel auch erreicht haben).
     Ich hatte Alex und der Löwe seit 2011 nicht mehr gesehen. Am Wochenende jedoch wurde ich überredet, ihn einzulegen und zu gucken. Es ging. Der Groll über den miesen Ton, der Unmut über die uneinheitliche Kameraarbeit, die Scham ob der Längen — vor allem die Bikiniparty ist viel zu lang geworden —, all das ist zu ertragen, denn ich kann heute, nach fünf, sechs Jahren, sagen: Das Drehbuch war gut! Die Schauspieler waren gut! Die Chansons waren himmlisch gut!
     Mit diesem Beitrag schicke ich Euch nun in die letzte Juni-Woche. Genießt sie!

André

P.S.: Wer den Film noch nicht hat, kann ihn sich hier bestellen. Den Soundtrack von Léonard Lasry gibt es hier. Und wer noch mehr Drehtagebücher lesen möchte, kann hier für Blues und hier für Le deuxième commencement klicken.