Filmtipp #206: Die nackten Tatsachen

Die nackten Tatsachen

Originaltitel: Don’t Make Waves; Regie: Alexander Mackendrick; Drehbuch: Ira Wallach, George Kirgo, Maurice Richlin; Kamera: Philip H. Lathrop; Musik: Vic Mizzy; Darsteller: Tony Curtis, Claudia Cardinale, Sharon Tate, Robert Webber, Joanna Barnes. USA 1967.

don't make waves

»Mein nächster Film […] war nicht viel besser. Es war die Filmversion des Buches ›Muscle Beach‹ […]. Die Handlung war schlichtweg lächerlich, aber ich sagte zu, da ich einen Anteil an den Einnahmen erhielt. Als Martin Ransohoff von MGM mich nach einem guten Regisseur fragte, schlug ich Alexander Mackendrick vor, mit dem ich ›Sweet Smell of Success‹ gedreht hatte, und als sich MGM dazu entschloss, Sandy [Mackendricks Spitzname, Anm. d. A.] zu nehmen, gaben sie mir noch einen Bonus, weil ich ihn mit ins Boot geholt hatte.
     […] Ich mochte ihn, weil er gut zu seinen Schauspielern war. Wie viele andere Schauspieler brauchte auch ich die ständige Bestätigung, dass ich gut war, und Sandy war hervorragend darin. Während unserer gemeinsamen Arbeit sagte er zu mir: ›Tony, ich so froh, dass du in diesem Film mitspielst. Du bist der beste amerikanische Schauspieler, den ich kenne.‹ Sandy schaffte es immer wieder, mir das Gefühl zu geben, dass ich vielleicht doch ein besserer Schauspieler war, als ich dachte. Es brauchte nicht viel, um mich zu deprimieren, aber er wirkte dieser Tendenz immer entgegen.
     Ich war mir sicher, dass der Film mit Sandy als Regisseur interessanter wurde und sich von allen anderen abhob. Marty Ransohoff war offen genug, um Sandys Art zu befürworten. Meine einzigen Bedenken hingen mit dem Perfektionismus zusammen, für den Sandy bekannt war, und tatsächlich bekamen wir wieder einmal Probleme mit dem Zeitplan und dem Budget. Ransohoff beklagte sich darüber, dass Sandy nicht schnell genug arbeitete, und er mochte das Endprodukt […] nicht. Auch hier hielt sich Sandy mit Einzelheiten auf, die keinen anderen interessierten, zum Beispiel die Innenausstattung des Wagens, die Titel der Bücher, die ich mit mir herumtrug, und so weiter.« (Tony Curtis, »Vom Straßenjungen zum Hollywood-Star«)

Ein animierter Vorspann, der schmissige Titelsong von den Byrds — und schon befinden wir uns an der malerischen Küste Südkaliforniens, wo sich Carlo Cofield (Curtis) nach einer langen Autofahrt gerade ein kleines Päuschen gönnt und die Landschaft bewundert. Leider währt seine gute Laune nicht lange, da sein Käfer mit seinem gesamten Hab und Gut nach einem merkwürdigen Unfall — dessen Details ich an dieser Stelle ausspare — mit der temperamentvollen Italienerin Laura (Cardinale) in Flammen aufgeht. Um den nunmehr Mittellosen ein wenig aufzumuntern, macht Laura ihn mit ihrem reichen Geliebten Rod (Webber) bekannt, der sein Glück in der Swimmingpool-Branche gemacht hat, und schon bald ist der gewitzte Cofield als Pool-Händler ebenso erfolgreich. Romantische Komplikationen ergeben sich aus der Bekanntschaft mit der attraktiven Kunstluftspringerin Malibu (Tate), die ihn vor dem Ertrinken rettet, und durch das Auftauchen von Rods angeblich bettlägerigen Ehefrau (Barnes), die hinter die außerehelichen Aktivitäten ihres Gatten gekommen ist und dummerweise die Zügel zu seinem Erfolg in der Hand hat…
     Eine völlig überdrehte Satire mit Liebe zum Detail, in der sich alles um Wassersport, gutes Wetter, den schönen Schein, Astrologie und Körperkult zu drehen scheint. Einer von Schwarzeneggers Vorgängern, der damals amtierende Mr. Universe David Draper, spielt Sharon Tates muskelbepackten Lover, und Mort Sahl, Ann Elder, Edgar Bergen (Vater von Candice) sowie Jim Backus (als er selbst) liefern spaßige Auftritte ab. — Schaut man sich »Don’t Make Waves« heute an, sticht vor allem Sharon Tates witzige Vorstellung als tollpatschiger Engel, der einen gefährlichen Sport betreibt, heraus. Zwar war dies nach Eye of the Devil und The Fearless Vampire Killers, die 1965/66 in England produziert wurden, schon die dritte Filmarbeit der bildschönen Texanerin, da »Don’t Make Waves« jedoch noch vor den anderen beiden Filmen in den USA startete, konzentrierte sich die Werbekampagne für den Film hauptsächlich auf sie: »1967 is the year Sharon Tate happens!«, lautete eine der Schlagzeilen, denn in jenem Jahr liefen gleich vier Streifen mit dem Nachwuchsstarlet an. (Außer den bereits genannten kam auch noch »Valley of the Dolls« (Regie: Mark Robson) in die Lichtspielhäuser.)

Für Tony Curtis (Taras Bulba, Some Like It Hot), in den 1960ern vergleichbar mit einem Brad Pitt oder George Clooney, war die Arbeit an »Don’t Make Waves« in gleich mehrerlei Hinsicht frustrierend. Der smarte Superstar hatte es sich seit seinen Anfängerjahren zur Gewohnheit gemacht, bei jedem Film seine Partnerin(nen) zu verführen, doch bei diesem hatte er Pech: Claudia Cardinale war mit einem einflussreichen italienischen Produzenten liiert, und Curtis bekam von Martin Ransohoff persönlich eine »Finger weg!«-Anweisung, und Sharon Tate war gerade frisch in Roman Polanski verliebt. Als wäre das nicht genug gewesen, verliebte sich Ransohoffs Geschäftspartner John Calley auch noch in Curtis’ damals hochschwangere Ehefrau Christine Kaufmann (ihre zweite Tochter Allegra kam während der Dreharbeiten zur Welt). Zwar beherrschten sich Calley und Kaufmann und lebten ihre Liebe erst nach der Scheidung zwei Jahre später, trotzdem dürften die Gefühle der beiden das Aus der Ehe beschleunigt haben. Curtis war es nicht gewohnt, von einer Frau verlassen zu werden — normalerweise war er derjenige, der ging; Kaufmann war die einzige seiner fünf Ehefrauen, die ihm den Laufpass gab und darüber hinaus auch noch auf Abfindung, Unterhalt und seinen guten Namen verzichtete! —, und hasste seine Ex zeitlebens für diese Kränkung.
     Auch Sharon Tate empfand die Arbeit an diesem Film als unangenehm. Zunächst einmal wurde grundlos ihr Gehalt auf 750 Dollar die Woche gekürzt. Sie litt darunter, von ihrem Freund getrennt zu sein und schrieb ihm zahllose Briefe nach London, in denen sie sich über die angespannte Stimmung am Set beklagte. Grund für diese war unter anderem der tödliche Unfall eines der Stuntmen, Bob Buquor, gewesen, der während des ausgedehnten Drehs einer Fallschirm-Sequenz vor der Küste Malibus ertrunken war.

Zwischen 1962 und 1966 waren zahllose beach movies produziert worden. Bikinis plus Party plus Strand plus Romanze und ein wenig sex comedy — und schon waren die Kassen voll. In der BRD liefen diese Streifen, sofern sie überhaupt in den hiesigen Verleih kamen, nur mäßig; der kalifornische Lebensstil war den Deutschen wohl zu fremd, vielleicht sogar unheimlich. Als im Sommer 1966 die Dreharbeiten zu »Don’t Make Waves« begannen, war die beach movie-Welle gerade auf ihrem Höhepunkt, doch als der Film im Juni 1967 in den US-Kinos startete, war die Popularität des Subgenres bereits stark abgeflaut. Dabei hatte man dem Drehbuchautor Ira Wallach (Boys’ Night Out), der auch der Verfasser der Romanvorlage gewesen war, mit Maurice Richlin einen der oscargekrönten Pillow Talk-Autoren zur Seite gestellt; es sollte kein reines beach movie werden, sondern eine Persiflage auf den Californian way of life — und (natürlich) eine familienfreundliche Komödie à la Doris Day.
     Heute wird der Film von namhaften Kritikern sogar als »Juwel« (Leonard Maltin) bezeichnet, 1967 mochte ihn wirklich niemand: »It’s a terrible movie«, vertraute Sharon Tate ganz offen einem Reporter an. Der Film fuhr knapp über eine Million US-Dollar ein, die in keinem Verhältnis zu den Kosten standen. Für den damals 55jährigen Alexander Mackendrick, dessen bekanntester Film The Ladykillers mit Alec Guinness sein dürfte, wurde es die letzte Regiearbeit. 1969 begann er, Filmregie am Californian Institute for the Arts zu unterrichten. Er starb 1993 im Alter von 81 Jahren in seiner Wahlheimat Los Angeles.
     Für mich verbinden sich mit »Don’t Make Waves« einfach herrliche Erinnerungen an meine Kindheit. Ich entsinne mich noch ganz deutlich, dass ich den Film nicht sehen konnte, weil ich am nächsten Tag zur Schule musste; meine Mutter zeichnete ihn mir auf Video auf. Jahrelang schauten meine Schwester und ich uns den Film immer wieder an, oben rechts war das DDR2-Logo zu sehen. Besonders die Szenen am Schluss, wo Carlo Cofields Haus nach einem Erdrutsch auf dem Kopf steht, haben wir geliebt. Und ich war verrückt nach Sharon Tate, die in ihrer somnambulen Naivität einfach alles in den Schatten stellt.

André Schneider