Filmtipp #744: Lisa und der Teufel

Lisa und der Teufel

Originaltitel: Lisa e il diavolo; Regie: Mario Bava; Drehbuch: Mario Bava, Alfredo Leone; Kamera: Cecilio Paniagua; Musik: Carlo Savina; Darsteller: Telly Savalas, Elke Sommer, Sylva Koscina, Gabriele Tinti, Alida Valli. Italien/Spanien/BRD 1973.

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»Sowohl auf der visuellen wie auch auf der auditiven Ebene erreicht dieser Film mehr als Bavas Vorgänger die Qualität eines delirierenden Traumspiels.« (Dr. Marcus Stiglegger)

Als Lisa macht Elke Sommer eine Rundreise durch Spanien. In Toledo, dem mysteriösen Städtchen mit den verwinkelten Gassen und vielen Treppen, betrachtet sie ein Fresko, das den Teufel abbildet, und verlässt unfreiwillig ihre Reisegruppe — und damit den Pfad der Realität. Sie findet sich in einer Art Halbwirklichkeit wieder und nimmt den Zuschauer gleich mit. Es ist ein gespenstischer Ort. Toledo ist auf einmal menschenleer, der große Marktplatz scheint verschwunden. Telly Savalas trägt eine lebensechte Puppe unterm Arm, die einem Verstorbenen ähnelt, und sieht ganz so aus wie der Teufel auf dem Fresko. Lisa sucht Zuflucht in der unheimlichen Villa Alida Vallis, die mit der ihr eigenen, fast dämonischen Größe eine blinde Contessa mimt. Ihr melancholischer Sohn Maximilian (Alessio Orano, der spätere Gatte Ornella Mutis) und ihr Butler (Savalas) machen einen gruseligen Eindruck, doch Lisa alias Elke ist bereits verwoben in ein undurchdringliches Netz. Der Film nimmt nicht an Fahrt auf, es ist vielmehr ein leiser Sog in einen lyrischen, verwirrenden Alptraum, in welchem die Grenzen zwischen Leben und Tod verwischen. Brutale Morde, dunkle Geheimnisse, Intrigen- und Ränkespiele — und am Ende scheint es, als würde der Leibhaftige selbst die Fäden ziehen. Selbst im rettenden Flugzeug gibt es kein Entkommen…

»Ein klassischer Geisterfilm in der Tradition der italienischen Schauerfilme aus den Sechzigern? Ein bizarrer, gotischer Psychothriller? Lyrischer Nachtmahr? Oder doch ein pechschwarzes, nekrophiles Märchen? ›Lisa e il diavolo‹ ist von allem etwas. Es ist wie schlafwandeln in einem höllischen Märchenschloss«, resümierte Christian Ade diesen ungewöhnlichen Film, der sicher nicht Mario Bavas bester, wohl aber sein schönster sein dürfte. »Lisa e il diavolo« ist eines jener Filmerlebnisse, denen man ansieht, anhört, anfühlt, dass es dem Macher ein Herzensanliegen war. Ja, dieser Streifen war über viele Jahre hinweg Bavas Lieblingsprojekt gewesen, doch erst nach dem internationalen Erfolg von »Gli orrori del castello di Norimberga« (1972, ebenfalls mit Elke Sommer) gab ihm der Produzent Alfredo Leone grünes Licht und ein Budget von einer Million Dollar.
Die Dreharbeiten begannen am 10. September 1972 und wurden am 28. November in Madrid abgeschlossen. Der Film wurde komplett ohne Ton aufgenommen, alle Geräusche und Dialoge wurden nachträglich synchronisiert. Um seine Schauspieler in die richtige Stimmung zu bringen, ließ Bava während des Drehs Joaquin Rodrigos »Concierto de Aranjuez« spielen, welches von Maestro Carlo Savina für den Soundtrack adaptiert und varriert wurde.
Wie immer baute Bava auf eine prächtig-intensive Farbpalette. Die Villa gleicht einem Märchenschloss, das Dekor ist erlesen und morbide: Ein Festschmaus fürs Auge! So wurde Alida Valli von Bava in lilafarbene Gewänder gesteckt. Lila, so der abergläubige Bava, sei eine Unglücksfarbe, und tatsächlich verliefen die Arbeiten alles andere als glimpflich: Burt Lancaster, Bette Davis, Anthony Perkins und Ivan Rassimov sagten kurz vor Drehbeginn ihre Mitwirkung ab und mussten durch Savalas, Valli, Orano und Tinti ersetzt werden. Joe Hyams, Elke Sommers damaliger Ehemann, erkrankte während der Aufnahmen dramatisch und musste von seiner Frau über 300 Kilometer (Landstraße!) ins nächste Krankenhaus gefahren werden; er wäre fast gestorben. Nebendarsteller Espartaco Santoni wurde polizeilich vom Drehort abgeführt; er hatte sich wegen Bigamie vor Gericht zu verantworten. Eine Lungenentzündung ließ Sylva Koscina für einige Tage ausfallen und Gabriele Tinti verknackste sich den Knöchel. Die herbstlichen Regenfälle sorgten dafür, dass der Drehplan umdisponiert werden musste. Dafür genoss Mario Bava komplette künstlerische Freiheit und war mit dem fertigen Resultat mehr als glücklich. Traurigerweise musste die Welt ein ganzes Jahrzehnt warten, bevor sie den Film, den Bava intendiert hatte, zu sehen bekam: Als er Anfang 1973 mehreren Verleihern präsentiert wurde, wollte ihn keiner haben — trotz durchaus positiver Publikumsreaktionen (u. a. in Cannes). Produzent Leone schäumte vor Wut und ließ im April 1974 ohne Bavas Zustimmung zusätzliche Szenen drehen, in denen er Elke Sommer grüne Erbsensuppe auskotzen und barbusig fluchen ließ — »The Exorcist« (Regie: William Friedkin), gerade der erfolgreichste Film der Welt, ließ grüßen. Die Szenen wurden mehr oder weniger willkürlich in Bavas Ausgangsmaterial eingeschnitten und 1975 unter dem Titel »The House of Exorcism« in die Kinos gebracht. Die Kritiken waren katastrophal, die verstümmelte Version von Bavas Vision ein Flop. Der Regisseur war nach dieser niederschmetternden Erfahrung desillusioniert. Er drehte zwar noch zwei Filme, schien dabei aber ohne Antrieb und Engagement. Er erlag am 25. April 1980 im Alter von 65 Jahren einem Herzinfarkt.

André Schneider

4 thoughts on “Filmtipp #744: Lisa und der Teufel

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