Filmtipp #806: Verdacht auf Liebe

Verdacht auf Liebe

Originaltitel: The Unbelievable Truth; Regie: Hal Hartley; Drehbuch: Hal Hartley; Kamera: Michael Spiller; Musik: Jim Coleman; Darsteller: Adrienne Shelly, Robert Burke, Chris Cooke [Christopher Cooke], Julia McNeal, Katherine Mayfield. USA 1989.

The Unbelievable Truth

Robert Burke spielt Josh, der für einen Mord, den er nicht begangen hatte, 15 Jahre im Gefängnis saß. Dort absolvierte er, der nicht einmal einen Führerschein hat, die Ausbildung zum Automechaniker. Im Knast wurde aus ihm ein schweigsamer Einzelgänger. So sehen wir ihn am Anfang des Films über die Straßen wandern, immer auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Er hat eine starke Wirkung auf das schwache Geschlecht. Viele halten ihn irrtümlicherweise für einen Priester. In einem Drugstore trifft er die von Adrienne Shelly verkörperte Audry, die wie er ein Bücherwurm ist und davon träumt, die Welt zu verändern. Sie, die ohne es zu wollen den Männern reihenweise den Kopf verdreht, verschafft Josh einen Job in der Werkstatt ihres Vaters (Cooke). In der Kleinstadt verbreiten sich schnell die kühnsten Gerüchte und Spekulationen über Joshs vermeintliche Taten. Während Josh sich trotz allem langsam einlebt, geht Audry nach Manhattan, um dort zu modeln. Da Josh ihr Liebesbegehren stets zurückgewiesen hatte, wendet sie sich aus gekränktem Stolz ab. Am Ende, nach vielen Wirrungen und Begegnungen mit schrägen Charakteren, steht allerdings ein märchenhafter Schluss: Beide finden zueinander und die süße Audry küsst ihren schüchternen Josh auf den Mund.

Der erste Teil der Hartley’schen »Long Island Trilogy« liefert einen ebenso kritischen wie liebevoll-sarkastischen Blick auf die Menschen in den New Yorker Vororten (in denen Hartley selbst aufwuchs), die den American Dream nach wie vor träumen und sich mit ihrer Kleinkariertheit selbst im Wege stehen. In nur elf Drehtagen entstanden, wurde Hal Hartleys Erstlingswerk seinerzeit von der Kritik geradezu hymnisch gefeiert: »[Der Film] verbindet ein rigoroses soziales Gewissen mit prickelndem komödiantischem Geist«, stand im »Rolling Stone«, und die »Daily Variety« ergänzte: »Dieser treffsichere Blick auf sich rasch verändernde Beziehungen hat etwas von dem trockenen Humor Jim Jarmuschs.«
»The Unbelievable Truth« ist trocken, geradezu spröde und lakonisch gespielt, ausnehmend schön fotografiert und legt ein angenehmes Tempo an den Tag, das auch Hartleys spätere Arbeiten auszeichnete. Mit Edie Falco, Paul Schulze und Matt Malloy sind hier auch in den Nebenrollen spätere Hartley-Veteranen vertreten. Neben Robert Burke brilliert die zuckersüße, damals 22jährige Adrienne Shelly in ihrer ersten Hauptrolle. Die hochbegabte Autorin und Schauspielerin, die später u. a. noch in Hartleys »Trust« (1990) mitwirken sollte, wurde im November 2006 im Alter von nur 40 Jahren in ihrem New Yorker Büro überfallen und ermordet.

André Schneider

27. April 2022

Mit der ruhigen, raschen Heimreise war es vorbei, als uns in Karlsruhe die Nachricht über einen Polizei-Großeinsatz in Offenburg und Lahr erreichte. Bombendrohung. Zwei mutmaßliche Täter flüchtig. Gut und gern drei Stunden stand der ICE im Bahnhof. Mit viel Verhandlungsgeschick und Geduld erkämpfte ich mir einen Taxi-Gutschein ab Offenburg; die Bahn hatte mir doch tatsächlich ein Hotel andrehen wollen. »Zwanzig Kilometer vor meiner Haustür werde ich ganz bestimmt nicht ins Hotel gehen«, hatte ich gesagt und die mürrische Bahn-Mitarbeiterin schließlich und endlich überzeugt. Um kurz nach Mitternacht ging es weiter, doch als wir um 1:20 Uhr in Offenburg eintrafen, gab es keine Taxis. Kleinstadt. Alle sechs Fahrer waren bereits unterwegs. Vorm Bahnhof warteten etwa 100 übermüdete Fahrgäste, die noch nach Lahr, Kehl oder in andere Dörfer in der Region mussten. Mit viel Glück erwischten eine hübsche deutsche Studentin, die auch nach Strasbourg musste, und ich einen gutmütigen Taxifahrer, der seinen wohlverdienten Feierabend noch um ein Stündchen verschob und uns nach Hause fuhr.
Wenige Stunden später, ich hatte kaum ausgeschlafen, erreichte mich die E-Mail vom Gesundheitsamt, dass mein Corona-Test positiv sei und ich mich unverzüglich in Isolation zu begeben habe. Bald darauf zeigten sich die ersten Symptome in Form von leichten Kopfschmerzen und hohem Fieber. Als das Thermometer über 40 Grad anzeigte, ließ ich spätabends noch den Notarzt kommen. Er spritzte mir ein fiebersenkendes Mittel, das mich schlafen ließ. Nach zwei weiteren Tagen zwischen Bett und Badewanne ging es mir am Wochenende wieder einigermaßen gut.

Homme de Fer

Am Wochenende waren die Stichwahlen hier in Frankreich. Es sah nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Macron und Le Pen aus, das letzten Endes von Macron entschieden wurde. Leider lag die Wahlbeteiligung bei nur knapp über 60%, aber wer will’s den Leuten verübeln? (Gäbe es nicht so etwas wie die PARTEI, hätte ich in Deutschland auch nichts, was ich reinen Gewissens wählen könnte. Hier in Frankreich gibt es immerhin noch eine recht starke Linke, und die Franzosen sind auch viel eher bereit, für ihre Überzeugungen auf die Straße zu gehen. Beides trifft auf Deutschland nicht zu, man hat sich einer großen Einheitspartei, bestehend aus CDU/CSU, SPD, FDP, AfD und Grünen, hingegeben. Es wird auch kritiklos alles geschluckt. Dass aus einer ehemaligen Friedenspartei eine wirtschaftsliberale Kriegspartei geworden ist, ist normal. Dass die SPD in Sachen Sozialpolitik mit der FDP kongruent ist, stößt niemandem mehr auf. SPD und Grüne haben seit Schröder massiv die Axt an den Sozialstaat gelegt und damit den Grundstein für das gelegt, was Deutschland anno 2022 um die Ohren fliegt.) So oder so bin ich erleichtert, dass der rechte Kelch noch einmal an uns vorüber gegangen ist, und vielleicht gibt es in den kommenden Jahren doch ein paar positive Entwicklungen.

Am Kanal

Der Prozess von Depp und Heard wird live im Netz übertragen, und obwohl ich weder von ihm noch von ihr ein großer Fan bin, bin ich von diesem Fall gleichermaßen gefesselt und berührt. Vor allem sehe ich Johnny Depp, einen bald 60jährigen, von Drogen und Alkohol gebrochenen Mann, der einer eiskalt berechnenden, psychotischen und gewalttätigen junge Frau auf den Leim gegangen ist. Er wirkt tieftraurig und hat Schwierigkeiten, die »richtigen« Worte zu finden. Seine Schwester musste im Zeugenstand der ganzen Welt von einer Kindheit erzählen, die sie und ihr Bruder zuvor mit großer Mühe aus der Öffentlichkeit gehalten hatten. Mitarbeiter und Freunde erzählen von exzessiven Ausbrüchen seitens seiner Ex-Frau, die der Verhandlung mit versteinerter Miene beiwohnt: Eine Frau, die nach einem Streit ins Bett ihres Mannes kotete, ihm mit einer Flasche einen Finger abtrennte und ihn über Jahre hinweg verbal erniedrigte. Seine Familie, keine Kinder und er tun mir unendlich leid.

26. April 2022

Blick aus meinem Wohnzimmerfester am 26. April 2022. Was für ein schöner Frühlingstag!

»Was man von hier aus sehen kann« strotzt nur so von schönen Sätzen, die man unterstreichen möchte. Zum Beispiel: »Keiner ist alleine, solange er noch wir sagen kann.« Heute werde ich mir nochmal »Die Mitte der Welt« (Regie: Jakob M. Erwa) angucken. Ich glaube, das ist das Beste, was ich in dieser Isolation machen kann. Nebenbei übersetze ich ein wenig.
Liebe Grüße,

André

18. April 2022

Noch 65 Seiten, dann habe ich das erste Buch für meinen neuen Arbeitgeber fertig übersetzt. An guten Tagen schaffe ich zehn, manchmal zwölf Seiten. Ich gebe mir Mühe, das Ganze auch stilistisch ansprechend zu gestalten.

Wieder Berlin. Wieder Frühling. Kurz vor meiner Abreise: Ian in Quarantäne. Symptome nur mittelschwer. Meine Tests nach wie vor negativ. Hinter mir liegen einige angespannte Tage. Habe ein paar meiner Herzensmenschen wiedergesehen. Sie fehlen mir in der neuen Heimat doch sehr. In Strasbourg bin ich oft allein. Langsam fehlt mir auch das Fahrrad; ich habe das Gefühl, mich zu wenig zu bewegen. Vielleicht fühle ich mich deshalb so schwer. Auch seelisch.
Werde nach meiner Ankunft in Frankreich einen langen Spaziergang machen. Die Nebenstraßen in Krutenau sind hübsch; in einem der Hinterhöfe steht eine prächtige Magnolie. Ich freue mich auf das von Sandra Hüller gelesene Hörbuch von »Was man von hier aus sehen kann« und auf ruhige Abende in meinem gemütlichen Salon. (Werde noch diesen Monat ein paar schöne Fotos von meiner Wohnung machen, um sie mit Euch zu teilen.) Ende des Monats habe ich meinen Beratungstermin bei der Steuerberaterin. Es wird auch Zeit! Die Verunsicherung die Finanzen betreffend knabbert allmählich an meiner Lebensqualität.

Februar 2022

Auf Netflix läuft gerade die erste Adaption eines Romans von Karin Slaughter als Mini-Serie: »Pieces of Her« mit Toni Collette. So fesselnd, dass Ian und ich alle Folgen in nur einer Nacht durchguckten. Natürlich hat die Serie hier und da kleinere Schwächen, aber in ihrer Gänze ist sie so packend erzählt, dass ich sie uneingeschränkt empfehle. »Crashing« ebenso, eine Fingerübung von Phoebe Waller-Bridge, die als Prequel von »Fleabag« gesehen werden kann.

Theoretisch müsste ich die Filme von Jess Franco (oder Jesús Franco) lieben, haben sie doch alle Ingredienzen, die ich mag: exotische Schauplätze, schmissige Musik (psychedelic jazz), rassige Frauen und (meist) einen Spannung verheißenden Plot. Einzelne Standbilder aus seinen Werken lassen große Kunst vermuten, zumindest aber unterhaltsamen Trash. So verlockend die Einzelzutaten auch sind, so zeigen mir seine Filme, dass es auf die Zusammenstellung, die Dosierung und die Wechselwirkung ankommt. Ich war wirklich guten Willens und habe es immer wieder versucht, aber ich werde mit Jess Franco einfach nicht warm. Es ist mir ein Rätsel, wie er es schaffte, trotz guter Voraussetzungen so öde Streifen zu fabrizieren. Am Fließband! (Als Regisseur hatte er nicht weniger als 200 Filme zu verantworten.) Dass das noch finanziert wurde! Gut, große Teile seiner Filmographie bestehen aus den sogenannten Abschreibungsfilmen (Produktionsland: Liechtenstein!), aber trotzdem. Ich gebe zu, dass ich sehr auf Soledad Miranda stehe. Was für eine Erscheinung! Ihretwegen habe ich mich im Sommer 2020 durch »Sie tötete in Ekstase« (1970), Francos Remake von Truffauts »La mariée était en noir« (1968, mit Jeanne Moreau), gequält. (Von »Vampyros Lesbos« (1970) hatte ich mich noch gut unterhalten gefühlt, weil ich ihn nicht als einen Spielfilm wahrnahm, der eine Geschichte erzählten wollte, sondern als eine Art überlanges Performance-Video oder als Musikclip.)
Nun sah ich zum ersten (und auch letzten) Mal seinen Klassiker »Der Teufel kam aus Akasava« (1971), Mirandas letzten Film. (Ganz nebenbei: Alle drei Filme entstanden zwischen dem 10. Juni und Ende Juli 1970 in Spanien, Soledad Miranda verunglückte bereits am 18. August tödlich in der Nähe von Lissabon.) Die Schauspielerin, die abwechselnd von Beate Hasenau und Renate Küster synchronisiert wurde, war mal wieder umwerfend, und auch sonst konnte Franco auf eine Spitzenbesetzung zurückgreifen, von Ewa Strömberg über Siegfried Schürenberg, Walter Rilla, Blandine Ebinger (!), Paul Muller und Fred Williams bis hin zu Horst Tappert (!!), aber der Film war so verworren, langweilig und leider auch hässlich gestaltet, dass ich partout keinen Spaß damit haben konnte. Diese Zooms! Dieses peinliche Fehlen einer mise-en-scène! Und wo bitte war der Beleuchter? Im Urlaub? Selbst die Schauplätze waren absolut verschenkt! Ernsthaft, das war mein vorerst letzter Franco!

Salon

Es hängt! Das Poster von Laurent Durieux, das mir Mirko damals geschenkt hat. Wundervoll gerahmt von Mr. Bricolage.

Mir ist klar, dass ich als guter Blogger mal wieder einen politischen Artikel schreiben sollte, doch das würde mich zurzeit nur noch mehr frustrieren. Diesbezüglich bringt Robert Zion momentan die klügsten Beiträge. (Lesetipp!) Stattdessen: Johnny Depp und Amber Heard beerdigen gerade ihre Karrieren. Eine Vorstellung, die gut in unsere schmuddeligen Zeiten passt. Reality TV in seiner widerlichsten Form. Immerhin löst das Schauspiel das sinnbefreite Gesülze über Will Smiths Oscar-Ohrfeige ab! Zuletzt hatte man den Wunsch, es möge doch endlich ein Kamerateam in Beverly Hills von Tür zu Tür fahren, bis sich jede und jeder einmal zu Wort gemeldet hat und wir das Thema abhaken können.
Schöne Restostern wünscht Euch

André