Filmtipp #166: Night Must Fall

Night Must Fall 

Originaltitel: Night Must Fall; Regie: Richard Thorpe; Drehbuch: John Van Druten; Kamera: Ray June; Musik: Edward Ward; Darsteller: Robert Montgomery, Rosalind Russell, Dame May Whitty, Alan Marshal, Merle Tottenham. USA 1937.

Night Must Fall

Das Remake mit Albert Finney — hier nachzulesen — gehört seit den frühen 1990ern zu meinen Lieblingsfilmen. Jetzt sah ich endlich die Originalverfilmung aus Hollywood, die sich durchaus auch sehen lassen kann und sich etwas näher an Emlyn Williams’ Stück bewegt
     Emlyn Williams war ein englischer Schauspieler und Schriftsteller, der heute leider ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Lediglich eingefleischte Hitchcock-Fans dürfte er noch ein Begriff sein: Er schrieb das Drehbuch zu dessen ersten »The Man Who Knew Too Much«-Verfilmung und spielte eine kleine Rolle in »Jamaica Inn« (1939), Hitchcocks letztem englischen Film, bevor dieser nach Los Angeles übersiedelte. Mit dem Bühnen-Thriller »Night Must Fall« war Williams als Dramatiker der große Coup gelungen, das Stück lief sensationelle 80 Wochen am West End und Broadway. Dabei spielte der damals 30jährige auch die Hauptrolle und wurde über Nacht zum Star. Neben ihm spielte Dame May Whitty, Jahrgang 1865, die ihre Rolle auch in der Filmversion von 1937 spielen durfte und so in den Genuss einer späten Filmkarriere kam; die 72jährige wurde für ihre Leistung für einen Oscar als Beste Nebendarstellerin nominiert. Williams’ Rolle, die des Psychopathen Danny, wurde aus kommerziellen Gründen mit einem klassischen MGM-Filmstar besetzt: Robert Montgomery (Mr. & Mrs. Smith), Frauenschwarm und Matinee-Idol, ansonsten mehr auf »leichte« Filme abonniert und darüber hinaus aufgrund seiner geschmackvollen Anzüge als Hollywood’s best dressed man tituliert, wagte mit »Night Must Fall« einen nicht eben unriskanten Imagewechsel — mit Erfolg: auch er wurde mit einer Oscarnominierung bedacht.
     Auf die Handlung von »Night Must Fall« möchte ich an dieser Stelle nicht noch einmal eingehen: sie ist dieselbe wie in Karel Reisz’ Night Must Fall, allerdings ganz klassisch im Sinne Hollywoods aufbereitet, mit schlichter, sauberer Kameraarbeit, gefällig-pompöser Musik und einer straff geführten Schauspielerriege — fast ausnahmslos amerikanische Schauspieler, die Engländer spielen. In amerikanischen Sets, die England darstellen sollen. Die US-Fassung ist etwa 20 Minuten länger als das Remake, und Mrs. Bramsons Tochter (Rosalind Russell) ist in dieser Fassung ihre Nichte. Auch ist die alte Dame ungleich unsympathischer: eine übellaunisch-bittere, verstockte Matriarchin, die argusäugig über ihren Besitz wacht und jedem (außer Danny) misstraut.
     Es ist schwer, Robert Montgomery und Albert Finney (Two for the Road) miteinander zu vergleichen. Beide Schauspieler leisteten überzeugende Arbeit, hätten aber unterschiedlicher kaum sein können: Montgomery, 1904 in Boston geboren, war eben ein ganz typischer Hollywood-Zögling der frühen dreißiger Jahre gewesen, der 33 Jahre jüngere Finney entstammte der britischen Theatertradition. Die Filme, ebenfalls rund 30 Jahre auseinander, entziehen sich ebenso eines Vergleichs. Mir gefällt die englische Verfilmung einen Tick besser, aber »Night Must Fall« ist in sich ein so brillantes, spannendes Stück, dass mit den richtigen Schauspielern nichts schief gehen kann, und die sind in beiden Inszenierungen erste Sahne. Die 1937er Version ist im englischsprachigen Raum bekannter — sie wurde bei uns bis heute nicht gezeigt —, während das Remake, das seinerzeit bei der Berlinale uraufgeführt wurde, als fast vergessen gilt.
     Das Stück hatte übrigens 1999 sein Broadway-Revival mit Matthew Broderick und wurde kurz darauf auch am West End (mit Jason Donovan) wieder gespielt. Ehrlich: Ich würde alles geben, Marc Bluhm diese Rolle einmal spielen zu sehen!

André Schneider