Filmtipp #836: Paras – Goldraub in der Luft

Paras — Goldraub in der Luft

Originaltitel: Objectif : 500 millions; Regie: Pierre Schoendoerffer; Drehbuch: Pierre Schoendoerffer, Jorge Semprún; Kamera: Alain Levent; Musik: Pierre Jansen; Darsteller: Bruno Cremer, Marisa Mell, Jean-Claude Rolland, Étienne Bierry, Pierre Fromont [P. Fromont]. Frankreich 1966.

Objectif 500 millions

»Objectif : 500 millions« ist ein höchst interessantes Kriminaldrama mit Anleihen beim film noir. Regisseur Schoendoerffer hatte sich mit einer Reihe von Kriegsreportagen einen Namen gemacht. Nach seiner Zeit bei der Marine wurde er 1951 als Kameramann der französischen Armee in den Indochina-Krieg geschickt und geriet dort in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Freilassung nahm er seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter wieder auf; für seine Dokumentation »La Section Anderson« (1967) erhielt er 1968 unter anderem einen Oscar und einen Emmy. Wiederkehrende Motive seiner Dokumentar- und später auch Spielfilme waren die Seefahrt, der Krieg und der Versuch des Menschen, sich in einer gleichgültigen, kriegstreiberischen Welt zu behaupten. Sein berühmtester Film wurde der 150 Minuten lange und mit 30 Millionen US-Dollar budgetierte »Diên Biên Phu« (1992, mit Donald Pleasence), in dem er noch einmal ganz nüchtern und detailliert die Mechanik des Krieges am Beispiel der Indochina-Niederlage der Franzosen thematisierte. 2007 wurde Schoendoerffer zum Präsidenten der Académie des Beaux-Arts gewählt. Er starb am 14. März 2012 im Alter von 83 Jahren in Clamart.

Jean Reichau (Cremer) wird aus dem Gefängnis entlassen, wo er wegen Untergrundaktionen im Algerienkrieg einsaß. Sein Dasein ist ohne Perspektive, er ohne Mittel und Antrieb, als sich ihm wie aus dem Nichts die Möglichkeit bietet, ganz leicht an schnelles Geld zu kommen: Eine geheimnisvolle Frau spricht ihn an. Sie nennt sich Yo (Mell) und nimmt ihn mit nach Orly, wo sie gemeinsam ein Flugzeug observieren, welches gerade mit Postsäcken beladen wird. Einmal monatlich, so berichtet sie, wird hier eine große Geldsumme verladen. In ihrer Wohnung wartet Pierre (Rolland) auf die beiden. Er ist ein ehemaliger Kamerad Reichaus, ein Verräter und für dessen Gefängnisaufenthalt verantwortlich. Er hat gemeinsam mit Yo einen Plan ausgearbeitet und unterbreitet seinem alten Kameraden einen lukrativen Geschäftsvorschlag. Kurz verliert Reichau die Nerven und lehnt den Coup ab, doch schließlich ist die Verlockung nach einem sorglosen Leben, nach Freiheit und Unabhängigkeit so groß, dass er wieder Kontakt zu Yo aufnimmt…

Bruno Cremer Marisa Mell

In ebenso klaren wie dunklen Schwarzweißbildern schildert Schoendoerffer in »Objectif : 500 millions« eine kriminelle Aktion ehemaliger Algerien-Kämpfer, denen es nicht gelingt, ins Zivilleben zurückzufinden. Der Regisseur versteht es, den kritischen Stoff auch formal ansprechend aufzubereiten, man fühlt sich an die besten Filme der nouvelle vague erinnert, an Malle oder Godard. Den eingängigen Titelsong singt France Gall. »Objectif : 500 millions« ist ganz ohne Zweifel auch heute noch einer von Marisa Mells stärksten Filmen — und praktisch der einzige, der mehr als »nur« gut unterhalten will. Sie spielt das Fotomodell Yo, das den von Cremer hervorragend dargestellten Veteranen zu einem Goldraub überredet. Sie tut dies geradezu beiläufig. In extravaganter haute couture und mit weiß geschminkten Lippen, mit ruhigem Erzählduktus und weichen Bewegungen vereinnahmt sie die Szenerie, sie ist hier einfach umwerfend. Yo ist ein Fremdkörper, ihre auffälligen Kostüme geben lassen sie wie ein Alien erscheinen. In Schoendoerffers von Männerfilmen geprägtem Œuvre ist sie die einzige zentrale Frauenfigur. Regisseur und Hauptdarstellerin entwickelten sie gemeinsam als selbstbestimmte, kantige Frau, die in einer patriarchalen Welt ihren Mann steht: Yo ist die mit Abstand interessanteste, facettenreichste und mysteriöseste Figur in Mells gesamter Filmkarriere.

»Objectif : 500 millions« ist ein subtiler und eigenartig ruhiger Thriller, brillant im Aufbau und in der formalen Gestaltung. Die Psychogramme der drei zentralen Charaktere sind einwandfrei ausgearbeitet: »Als Fundament für die Geschichte rund um den ehemaligen Sträfling, der keinen Anschluss mehr an das normale Leben findet, dient ebenfalls eine unterschwellige Kriegsfolgen-Thematik, die immer wieder verhalten einschießt, und schließlich ein unmissverständliches Fazit liefert, ohne jedoch aufdringlich zu wirken.« (Thomas Hübner)
Bei mehrmaliger Sichtung fällt eine diskrete Verliebtheit zum Detail auf, die Schoendoerffers einzigen Genre-Film zu einem zeitlosen Augen- und Ohrenschmaus werden lässt. Dass ihn das Thema Krieg auch hier nicht kalt ließ, macht diesen dunklen Krimi zu einem beklemmend-tragischen Vermächtnis. Lange Zeit war »Objectif : 500 millions« in der Versenkung verschwunden, nur selten lief er im französischen Fernsehen. Erst 2022 erschien ein liebevoll aufgemachtes Mediabook, welches dieses prachtvolle Stück Kino endlich wieder verfügbar machte.

André Schneider

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