Filmtipp #484: Moos auf den Steinen

Moos auf den Steinen

Originaltitel: Moos auf den Steinen; Regie: Georg Lhotzky; Drehbuch: Georg Lhotzky; Kamera: Walter Kindler, Kurt Junek; Musik: Friedrich Gulda; Darsteller: Erika Pluhar, Heinz Trixner, Louis Ries, Johannes Schlauer, Fritz Muliar. Österreich 1968.

Moos auf den Steinen

 »…alles hat eine Zukunft, auch die Vergangenheit.« (Georg Fritsch)

Zwei Autoren, Petrik (Trixner) und Mehlmann (Ries) verschlägt es für ein Wochenende auf ein halb zerfallenes, barockes Schloss im Marchfeld. Die beiden Männer verbindet so etwas wie eine innige Feindschaft, die hinter einer freundschaftlichen Fassade verborgen liegt. Petrick ist idealistisch und erfolglos, Mehlmann geschäftstüchtig und hart. Während ihres Aufenthaltes im Schloss veranschaulichen die beiden Männer sehr unterschiedliche Vorstellungen von »ihrem« Nachkriegs-Österreich. Das Schloss und seine Bewohner symbolisieren in diesem Kontext das traumatisierte Land und das Verhältnis der jungen Literaten zu ihm.

»Moos auf den Steinen«, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Georg Fritsch (1956 erschienen), entstand zu einer Zeit, als der österreichische Film komplett am Boden lag: die Hochkonjunktur des Heimatfilms war vorüber, und das Filmförderungsgesetz trat erst Anfang der 1980er in kraft. So war »Moos auf den Steinen« eine von lediglich sieben (!) österreichischen Produktionen, die 1968 ihren Weg ins Kino fanden. Er lief im September 1968 beim Cork International Film Festival und ging auch für Österreich ins Rennen um die Oscarnominierungen (leider erfolglos). Es war (und ist) beileibe kein kommerzieller Film. Der damals blutjunge André Heller, der den Streifen unter falschem Namen mit seinem Erbe finanziert hatte, verlor durch dieses Werk sein ganzes Geld, konnte aber im Anschluss die Hauptdarstellerin Erika Pluhar, zu jener Zeit bereits gefeierte Burgschauspielerin, zu seiner Frau nehmen. Inhaltlich und stilistisch stellte die Literaturverfilmung einen Quantensprung im deutschsprachigen Film dar; man könnte fast von dem Versuch einer österreichischen nouvelle vague sprechen, die sich unglücklicherweise nicht durchzusetzen vermochte. Dennoch gilt Georg Lhotzkys Film als erster Vertreter des Neuen Österreichischen Films. Das vibrierende Eigenleben der Tonspur — der gesamte Film wurde tonlos gedreht und anschließend nachsynchronisiert — verleiht dem Ganzen eine dynamische Künstlichkeit. Die Filmhistorikerin Sylvia Szely bemerkt dazu: »Immer nahe am Körper, konterkariert der Ton die im Bild sichtbaren Raumverhältnisse. Geräuschkulissen (nicht unähnlich John Lennons ›Revolution 9‹ aus dem […] Weißen Album, das ebenfalls ’68 erschien) lassen die traumatischen Erinnerungen an den Krieg plastisch werden. Gespräche zerfallen, Dialoge werden konsequent durchkreuzt, jeder scheint einfach vor sich hin zu reden.« — Da wären zudem noch die Godard’schen Schnitte, der späte und recht abrupte Wechsel vom Schwarzweiß zu Farbe sowie die atmosphärisch klug aufgebauten Bildfolgen — oft wird durch Sträucher oder Gitter gefilmt, es wird viel mit Spiegelungen gearbeitet — erzeugen eine Stimmung zunehmender Unklarheit und Verunsicherung.
Der in Tschechien geborene Regisseur Lhotzky konnte sich leider nie so recht etablieren. Lediglich beim Fernsehen fand er bis 1991 regelmäßig Beschäftigung. Er starb am 28. November 2016 im Alter von 79 Jahren in Wien.
Kurze Anmerkung: Da kein Plakat zu finden war, habe ich ein Szenenbild für diesen Artikel verwendet.

André Schneider

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